Kolumne

Wenn die letzten Pessimisten optimistisch werden…

Stefan Riße · Uhr
Quelle: ImageFlow/Shutterstock.com

Michael Wilson von Morgan Stanley war der wohl am häufigsten zitierte Bär in den vergangenen Monaten. Er sagte Abstürze des US-Aktienmarktes von 20 Prozent voraus, die bis heute nicht gekommen sind. Im Gegenteil. Stattdessen sind die Märkte deutlich gestiegen. Er stützte seinen Pessimismus auf die schrumpfende Liquidität wegen des Quantitative Tightenings der US-Notenbank Federal Reserve (Fed). Fraglos eine Argumentation, die ich hier in dieser Kolumne auch immer wieder angeführt habe, um meinen Pessimismus zu begründen. Auch rechnete er mit sinkenden Unternehmensgewinnen, die sich ebenfalls bisher nicht einstellen wollen.

Auch er dürfte die Inflation als Umsatz- und Gewinntreiber unterschätzt haben. Die steigenden Kurse haben Wilson aber nun offensichtlich mürbe gemacht, so wie viele andere Anleger auch. Das zeigen die Stimmungsindikatoren, die nun plötzlich viel Optimismus anzeigen im Gegensatz zum Jahresbeginn. Er gesteht nun ein, sich geirrt zu haben. Zwar wechselt er nicht gleich ins Bullenlager, aber er sieht die Lage jetzt nicht mehr so dramatisch. Für mich ist das nur ein Zeichen dafür, dass wir uns dem Kipppunkt an den Aktienmärkten weiter genähert haben. Denn wie lautet ein altes Börsenbonmot: Wenn die letzten Pessimisten optimistisch werden, ist die Hausse am Ende. Will heißen, ich halte an meiner Prognose fest, dass uns noch ein stärkerer Absturz bevorsteht. Kommt dieser nicht mehr, dann funktionieren meine Uhren aus fundamentaler, monetärer und stimmungstechnischer Analyse nicht mehr.

Fehlende Marktbreite kein gutes Zeichen

Bereits in den vergangenen Jahren waren es vor allem die großen Technologiewerte, die den S&P 500 Index, aber auch den MSCI World und vor allem den Nasdaq Composite Index nach oben zogen. Lange Zeit sprach man von den „FAANMG“ Aktien. Diese Abkürzung stand für Facebook, Amazon, Apple, Netflix, Microsoft und Google. Netflix war dann irgendwann kein so extremer Highflyer mehr, aber das „N“ wurde durch Nvidia entsetzt und dazu gesellte sich noch Tesla. Mittlerweile spricht man von den sogenannten „Magnificient Seven“.

Im laufenden Jahr hat sich die extreme Dominanz dieser Titel noch verstärkt. So trugen bis Ende Mai die 20 größten Titel des S&P 500 Index 94 Prozent zur Gesamtperformance des Index bei, die restlichen 480 Aktien waren für nur sechs Prozent verantwortlich. Weltweit war dieses Phänomen nicht ganz so ausgeprägt wie in den USA, aber es war auch hier zu beobachten. Die 15 größten Aktien des bei ETF-Käufern so beliebten MSCI World Index sind in diesem Jahr für 69 Prozent der Performance verantwortlich. Die übrigen 1.497 machten den Rest aus. Eine solche Entwicklung wird allgemein als ungesund angesehen.

Wird die Aufwärtsentwicklung eines Aktienmarktes nur noch von wenigen Werten getragen, folgt absehbar eine Schwäche des Gesamtmarktes. Doch ganz so einseitig funktioniert die Betrachtung diesmal nicht. Denn die Werte, die seit Jahren stark nach oben laufen, liefern fundamental auch ab. Hohe Gewinnmargen und hohe Wachstumsraten zeichnen sie aus. Daher sind sie in der Lage, kontinuierlich eigene Aktien zurückzukaufen.

Enormer Stimmungsumschwung für Technologietitel

Durch den Anstieg in diesem Jahr ist die Bewertungsprämie für die großen Technologieaktien entsprechend hoch. Und nicht nur das. Mit dem Anstieg der Kurse ging ein enormer Stimmungsumschwung für dieses Aktien einher. Niemand misst das Sentiment für Technologiewerte so genau wie der Analyst und Publizist Mark Hulbert. Er wertet täglich Börsenbriefe aus, die Technologiewerte entweder zum Kauf oder zur Short-Positionierung empfehlen. Und während diese zum Jahreswechsel noch zu 28,6 Prozent netto Spekulationen auf fallende Kurse empfahlen, empfehlen sie nun zu 75 Prozent netto diese Titel zum Kauf. Damit steigen die Risiken enorm, insbesondere für die großen Techwerte.

Dadurch beinhalten ETFs auf die Indizes, in denen diese Aktien hoch gewichtet sind, ein enormes Klumpenrisiko. Es darf insofern nicht verwundern, sollte es in näherer Zukunft einen größeren Rückschlag geben. Denn nicht nur die Börsenbriefe für Technologieaktien in den USA sind derzeit zu euphorisch. Auch der Fund Manager Survey der Bank of America zeigt seit nunmehr vier Monaten „Long US Tech“ als den „Most Crowded Trade“, also als das beliebteste Investment der Antwortgeber dieser Umfrage, die immerhin 652 Milliarden Dollar verwalten. Bisher halten sich diese Aktien sehr gut, was auch daran liegen kann, dass der Juli statistisch einer besten Börsenmonate ist. Die nun folgenden Monate August und September gehören hingegen zu den schwächsten Börsenmonaten. Insofern könnten jetzt auch die große Werte, die die Indizes bisher nach oben gezogen haben, nach unten drehen. Die monetären Rahmenbedingungen sprechen eigentlich schon seit längerem dafür. Wenn Aktien in der Vergangenheit trotz bereits starker Euphorie noch lange weiter stiegen, dann meist, weil es von der Geldpolitik Rückenwind gab. Doch aktuell bläst den Aktien von dieser Seite der Wind ins Gesicht.

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