Kolumne

Hat diese Bitcoin-Rally ein (temporäres) Ablaufdatum?

decentralist.de · Uhr
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Liquidität ist alles an den Finanzmärkten. Gibt es zu wenig davon, sinken die Kurse von Vermögenswerten, da deren Angebot die Nachfrage in Form von überschüssigem Kapital übertrifft. Herrscht hingegen ein Überfluss an Liquidität, steigen die Preise von Vermögenswerten, da sie bevorzugt dort geparkt wird. Die Geldpolitik spielt eine entscheidende Rolle für die Liquidität. Geldpolitische Lockerung führt Liquidität in die Finanzmärkte, da die Zentralbanken Vermögenswerte – in der Regel Anleihen und andere besicherte Wertpapiere – in ihr Balancesheet aufnehmen und dafür Geld in Form von Bankreserven ausgeben.

Diese Bankreserven finden ihren Weg in die Märkte in Form von Krediten oder den Kauf von Staatsanleihen. Geldpolitische Straffung entzieht den Märkten hingegen Liquidität, da Zentralbanken keine Vermögenswerte mehr gegen Bankreserven eintauschen und vorhandene Wertpapiere auslaufen lassen.

Die derzeitige Rally wird aus einem bestimmten Topf finanziert

Die Situation ist weiterhin so, dass die US-Notenbank geldpolitische Straffung betreibt. Sie lässt Wertpapiere in ihrem Balancesheet auslaufen. Die Wertpapiere verfallen und das in diesem Zuge an die Fed zurückgezahlte Geld verschwindet aus dem System. Gleichzeitig gibt die US-Regierung vermehrt Staatsanleihen aus, um das Haushaltsdefizit zu finanzieren, was das Angebot an Anleihen in den letzten Monaten deutlich erhöht hat. Das an den Finanzmärkten bestehende Angebot aus Anleihen, Aktien und anderen Vermögenswerten hat in dieser Phase einer geringeren Nachfrage entgegengeblickt, was im Verlauf von 2022 zu einem heftigen Wertverlust bei diesen Assetklassen geführt hat, während die Marktzinsen der Anleihen entsprechend deutlich angezogen sind.

Im Zuge der Corona-Pandemie wurde die Liquidität durch eine extreme geldpolitische Lockerung der Federal Reserve jedoch massiv ausgeweitet. Die Fed reduziert diese Liquidität wie erläutert, doch das Tempo ist relativ gering. Ein großer Teil dieser überschüssigen Liquidität ist immer noch vorhanden, hat jedoch in einem Topf gesteckt, der von den Finanzmärkten abgeschnitten ist – der Reverse Repo Facility (RRP) der Federal Reserve. Auf dieses Instrument der US-Notenbank bin ich bereits in meiner letzten Kolumne näher eingegangen. Die Kurzerklärung: Das RRP dient dazu, überschüssige Liquidität aus dem Bankensystem zu ziehen und hilft der Zentralbank unter anderem, den Zinssatz am kurzen Ende zu kontrollieren.

Als Anreiz dafür, Geld dort zu parken, erhalten Geschäftsbanken einen Zins, der in etwa dem Leitzinssatz entspricht. Die extreme Schuldenpolitik der USA hat die Ausgabe kurzfristiger Staatsanleihen durch das Finanzministerium jedoch deutlich angekurbelt. Das hat zu gestiegenen Marktzinsen geführt, da weniger Käufer bereit sind, Anleihen zu niedrigeren Zinsen zu kaufen. Die Zinsen sind auf ein Niveau gestiegen, welches die Attraktivität der Reverse Repo Facility als Parkplatz für Kapital übertrifft. Infolgedessen leert sich dieser Topf bereits seit Monaten, da das Geld daraus in kurzfristige Staatsanleihen mit attraktiverem Zins fließt – und damit über Umwege auch in die Wirtschaft und in die Finanzmärkte. 

Teilweise durch die Zinszahlungen über Geldmarktfonds, teilweise über Regierungsausgaben. Nachdem das RRP in der Spitze 2,4 Billionen Dollar enthalten hatte, hat es sich im Verlauf der letzten 8 Monate rapide um 1,6 Billionen Dollar geleert, was im Endeffekt einer Netto-Liquiditätsinjektion in die Märkte aus einem isolierten Topf heraus entspricht. An der Chartentwicklung des S&P 500 kann man dies recht exakt ablesen, da sowohl die temporäre Umkehr der Drainage des RRP im Sommer und die entsprechende Korrektur an den Märkten als auch die Beschleunigung des Kapitalentzugs und die impulsive Rally des S&P 500 seit Oktober miteinander korrelieren.

Quelle: Tradingview

Auch der Bitcoin-Kurs ist wie der restliche Finanzmarkt diesem Liquiditätsfluss gefolgt, da Bitcoin aufgrund seiner digitalen Limitierung besonders sensibel auf eine Veränderung der Geldmenge reagiert.

Was passiert, wenn der Topf leer ist?

Es stecken noch etwa 770 Milliarden Dollar im Topf, die in die Märkte fließen können und der US-Regierung ein ungefähres Zeitfenster geben, wie lange sie noch sicher Käufer für ihre neu ausgegebenen Staatsanleihen finden wird, ohne dass die Zinsen wieder drastisch steigen werden. Doch wenn dieser Topf leer ist, stehen die Finanzmärkte erneut vor einem großen Dilemma. Die Geldmenge wird sich dann wieder verringern, wenn die Federal Reserve weiterhin eine geldpolitische Straffung betreibt und Liquidität aus dem Markt zieht.

Eine Verringerung der Liquidität wird zu steigenden Zinsen führen, da die Nachfrage nach Anleihen wieder sinkt. Die US-Regierung wird Probleme haben, genug Käufer für ihre Anleihen zu finden, sowohl für kurzfristige als auch für langfristige Schuldscheine. Die US-Regierung wird in diesem Fall nicht sofort in den Bankrott rutschen, denn der US-Treasury Account (TGA), die Kriegskasse des US-Finanzministeriums, ist noch gut gefüllt. Derzeit befinden sich noch etwa 660 Milliarden Dollar darin.

Quelle: Stlouisfed

Für eine Weile werden diese Reserven herhalten, um Verbindlichkeiten der US-Regierung zu bedienen. Doch auch das ist nur eine temporäre Lösung. Langfristig muss entweder ein Wunder passieren und das Finanzministerium muss eine neue Käuferschaft für US-Staatsanleihen finden. Angesichts der derzeitigen makroökonomischen Lage ist das jedoch äußerst unwahrscheinlich. Oder die Federal Reserve muss erneut einen ihrer Taschenspielertricks auspacken und sich beispielsweise ein neues geldpolitisches Instrument ausdenken, mit dem die Finanzierung der Regierung sichergestellt werden kann. Der plötzliche, auf der letzten Pressekonferenz verkündete Richtungswechsel von Jerome Powell bezüglich anstehender Zinssenkungen war der erste Hinweis, dass hinter den Kulissen bereits einiges vorbereitet wird, um dieses Problem anzugehen.

Für die weitere Entwicklung der Märkte wird allerdings das Timing entscheidend sein. Solange noch Geld im RRP steckt, welches in die Märkte umgeleitet werden kann und die Liquidität erhöht, kann auch die Rally weitergehen. Wenn dieser Tank jedoch leer ist, könnte es schnell einen Richtungswechsel an den Märkten geben. Das gilt besonders für Bitcoin, da die Geldmengenveränderung der entscheidende Treiber für die Kryptowährung ist. Eine detaillierte Erklärung dazu finden Sie in einer früheren Kolumne.

Wahrscheinlich werden die geldpolitischen Entscheidungsträger bereits vorher die Weichen stellen, damit für genügend Liquidität gesorgt ist. Beispielsweise durch Zinssenkungen, ein Ende der geldpolitischen Straffung oder im Zweifel in Form eines neuen Instruments, welches im Hintergrund für eine Liquiditätszufuhr sorgen kann, ähnlich wie es bereits im Zuge der Bankenkrise im März 2023 gehandhabt wurde. Im schlechtesten Fall wird es zu einer Verzögerung kommen, bis die geldpolitischen Weichen gestellt werden. In dieser Zwischenphase wäre eine deutliche Korrektur realistisch.

Denken Sie langfristig!

Der Bitcoin ETF ist derzeit das Hauptthema am Krypto-Markt. Doch Investoren könnten einem Denkfehler unterliegen, wenn sie mit einer unmittelbaren Rally nach der Zulassung rechnen. Alle Infos dazu erhalten Sie in der neusten Video-Ausgabe von decentralist.

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