Woran Anleger erkennen, ob eine Aktie vor einem Comeback steht
Maximilian Nagel
Fällt eine Aktie unvermittelt stark und tief, stellen sich Anleger oft die Frage, ob hier ein Comeback möglich ist. Die Aktienstrategen von Morgan Stanley haben eine Checkliste erstellt, um auf genau diese Frage die richtige Antwort zu bekommen.

Sprichwörter gibt es an der Börse zuhauf. Ein oft genutztes lautet: „What goes up, must come down.” Was steigt, muss fallen, irgendwann. Beim Betrachten mancher Kursverläufe drängt sich der Gedanke auf, dass es umgekehrt ebenso ist. „What came down, must go up.“
Allein vergangene Kursniveaus befeuern bei vielen Papieren diese Fantasie. Alibaba beispielsweise: Die Aktie stieg im Herbst 2020 in der Spitze bis auf rund 320 US-Dollar, ehe ein harscher Abverkauf einsetzte. Aktuell notiert das Papier bei nur noch 115 Dollar. Auch so manche Dax-Aktie, wie die Deutsche Bank oder Infineon, rangieren weit unter alten Rekordständen.
Gleichzeitig zeigt die Statistik: Die meisten Aktien erholen sich von massiven Einbrüchen niemals ganz. Das zeigten die Analysten des Strategieteams Counterpoint Global von Morgan Stanley in einer ausführlichen Analyse im Mai auf.
Der Rückblick auf manche Überflieger zeigt jedoch auch, dass es eben wahnsinnige Comebacks geben kann. Amazon, heute eines der wertvollsten Unternehmen der Welt, verlor an der Börse von 1999 bis 2001 95 Prozent ihres damaligen Werts.
Für Anleger ergibt sich ein Dilemma: Welche Aktie ist ein echtes Comeback-Talent – und welche entpuppt sich trotz günstiger Bewertung als teure Falle?
Die Profis von Morgan Stanley zitieren dabei den New Yorker Börsenspekulanten Bernard Baruch: „Versuche nicht, im Tiefpunkt zu kaufen und zum Höhepunkt zu verkaufen. Das schafft niemand, außer einem Lügner.“ Dennoch wollen Anleger natürlich etwaige Gewinner und Verlierer nach einem großen Kursverfall identifizieren können. Dafür haben die Experten eine qualitative Checkliste erstellt.
Punkt 1: Sind fundamentale Probleme „zyklisch“ oder „säkular“?
Ökonomen sprechen gerne von Trends – und nutzen oft zwei Adjektive. Ein „zyklischer“ Trend besteht aus steigenden und fallenden Phasen, die sich abwechseln. „Manche Branchen durchlaufen Zyklen, die Fluten und Ebben auf der Nachfrageseite widerspiegeln“, schreiben die Analysten.
Ein „säkularer“ Trend wiederum beschreibt eine langfristige, übergeordnete Tendenz in einem Markt oder einer Branche. Bei einem säkularen Trend besteht wenig Hoffnung darauf, dass sich die Nachfrage stabilisiert, geschweige denn wieder wächst.
Prominente Beispiele zyklischer Trends sind Chip-Hersteller, die bei überbordender Nachfrage Überkapazitäten aufbauen, die später brachliegen. Beispielhaft für einen säkularen Trend stehen viele Einzelhandelsketten, die in ihrer Nische gegenüber dem Internethandel keinen Mehrwert für Kunden mehr boten. Anleger sollten genau überlegen, welcher dieser Trends zu einem – optimalerweise nur zeitweiligen – Geschäftsrückgang einer Firma führt.
Punkt 2: Was lässt sich aus grundlegenden Faktoren über das Geschäftsmodell sagen?
„Die grundlegenden Faktoren der Analyse enthüllen, wie eine Firma Geld verdient“, erklären die Analysten von Morgan Stanley, etwas kryptisch. Gemeint ist: Anleger sollten vertraut sein, welchen Mehrwert ein Geschäft bringt und wie Metriken das widerspiegeln.
Das könnte beispielsweise der „Lifetime Value“ bei Abo-Dienstleistungen sein, wie sie etwa der Streamingdienst Netflix anbietet. Grob umrissen: Über die Dauer des Abos ergibt sich ein gewisser Kapitalfluss aus den Kosten für den Kunden, abzüglich der Kosten für die Anwerbung des Kunden. Diesen Einkommensstrom sollte Netflix stetig optimieren, und nicht nur blind auf pures Wachstum setzen.
„Die Aktie einer Firma kann sich erholen, wenn die grundlegende Idee des Geschäfts einen Wert schafft. Wer zu schnell wächst, kann das Wachstum verlangsamen und sich ökonomisch wieder solide aufstellen. Eine Erholung hat jedoch wenig Chancen, wenn die Geschäftsidee von Beginn an Mängel aufwies oder sich keine Skaleneffekte ergeben können“, sagen die Aktienstrategen.
Punkt 3: Wie kostspielig sind Investments?
Ein ebenfalls wichtiger Punkt sind Anlaufkosten. Jede Firma muss investieren, ehe Umsätze und Gewinne erwirtschaftet werden. Die Größe dieser Investments spielt die entscheidende Rolle.
Die Restaurantkette Shake Shack beispielsweise, jüngst von Morgan Stanley zum heimlichen KI-Profiteur auserkoren, muss zwischen 1,5 und 3,0 Millionen Dollar für eine neue Filiale investieren. Das sind, gemessen an Wall-Street-Maßstäben, mikroskopische Summen. Der führende Chipfertiger TSMC wiederum investierte jüngst 20 Milliarden Dollar, um im US-Bundesstaat Arizona eine neue Halbleiterfabrik hochzuziehen.
„Diese Unterschiede sind relevant, denn kleinere Investments lassen sich leichter herunterfahren als große Investments. Muss eine Firma erstmal große Summen investieren, kann sie schon finanzielle Probleme bekommen, ehe die ersten Umsätze und Profite eingefahren werden. Wiederholt vorgefallen ist das beispielsweise in der Casino-Industrie“, so die Morgan-Stanley-Experten.
Punkt 4: Ist die Firma finanziell gesund?
„Ein plötzlicher Verfall im Aktienkurs kann Omen für eine finanzielle Notlage sein“, betonen die Experten. Historisch haben sich Aktien finanziell wackliger Konzerne, wenig überraschend, schlechter entwickelt als die Titel von Firmen, die eine solide Bilanz aufwiesen.
Etwaige Metriken, die zu dieser Bewertung der finanziellen Gesundheit herangezogen werden können: Nettoeinkommen zum Anlagevermögen, Barbestände, Schulden- und Eigenkapitalquoten, und das Kurs-Buchwert-Verhältnis. „Die Forschung hat gezeigt, dass Firmen, die schlecht bei diesen Metriken abschnitten, unterdurchschnittliche Renditen brachten.“
Wenngleich es sich fast von selbst versteht, sollten Anleger diese Zahlen also vor einem Investment in einen Comeback-Kandidaten prüfen. Übrigens: Je nach Branche sind Kennzahlenniveaus unterschiedlich, manche Metriken auch gar nicht brauchbar. Banken etwa verdienen am Zins, weshalb Indikatoren, welche die Profite vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen berücksichtigen, für die Analyse wenig sinnvoll sind.
Punkt 5: Hat die Firma Zugang zu Kapital?
Die Kapitalmärkte sind launisch, sagen die Morgan-Stanley-Experten. Mal gibt es Kapital im Überfluss und praktisch zum Nulltarif, mal „trocknet“ der Markt regelrecht aus. Selbst für zahlungskräftige und kreditwürdige Firmen kann es dann eng werden.
Die Analysten greifen das Beispiel von Bloomberg-Kolumnist Matt Levine auf: Eine Bank mit 100 Dollar an vergebenen Hypotheken, Einlagen von 100 Dollar und 20 Dollar in Bargeld ist solvent, aber nicht unbedingt liquide. Wollen alle Kunden ihre Einlagen abziehen, kommt die Bank in Bedrängnis.
Üblicherweise müssen Firmen alle Verbindlichkeiten nicht auf einen Schlag begleichen, das ist klar. Aber eine mangelnde oder zu teure Finanzierung, um Liquiditätsengpasse zu überbrücken, kann mit dem Untergang enden. Hier sollte es kein Missverhältnis zwischen den Verbindlichkeiten, den Cash-Reserven und der Situation am Kreditmarkt geben.
Punkt 6: Erkennt das Management die Probleme an?
Der finale Punkt der Checkliste: Eine Führungsetage, die sich den Herausforderungen stellt. Anleger brauchen „ein Managementteam, welches die Hürden, vor denen es steht, erkennt und gewillt ist, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um den Wert des Unternehmens erhält und letztlich auch vergrößert“.
Was simpel klingt, ist nicht immer die Regel. Beim Skandalkonzern Enron etwa, schreiben die Analysten, hätten die Firmenlenker interne wie externe Fragen über die Qualität des Geschäfts einfach ignoriert – ehe die Firma 2001 in die Pleite rutschte.