Handelsstreit: Wem schadet der Konflikt langfristig am meisten? Wo könnten Chancen liegen? Ein Markt-Überblick

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Die wohl wichtigste Frage für Investoren, wenn man langfristig auf den Handelsstreit schaut, ist: Wem schadet der Konflikt am meisten, wem am wenigsten, welche Aktien und andere Anlage-Klassen kommen mit den wenigsten Schäden aus der Sache heraus? Schauen wir uns zuerst die einzelnen Wirtschaftszonen an:

USA – Bedrohung des Einzelhandels und ein zu starker Dollar

Noch läuft die größte Volkswirtschaft der Welt auf Hochtouren. Zwar haben einige Quartalsberichte für Aufsehen gesorgt, vor allem sämtliche Banken haben ihre Prognosen für den Zinsüberschuss gesenkt – ihrer Haupteinnahmequelle – während die Investment-Sparte stottert, doch die Konjunkturdaten sind bis jetzt noch robust. Der Zoll-Krieg geht jedoch auch auf Kosten der Amerikaner. Ein Beispiel wäre der Agrar-Sektor. China, eigentlich einer der größten Produkt-Abnehmer, weigert sich als Reaktion auf Trumps Gebahren, weitere Produkte zu kaufen.

Zudem sind die zusätzlichen Zölle, die ab September in Kraft treten sollen, eine Bedrohung für den US-Einzelhandel. „Es ist offensichtlich eine sehr harte Taktik, aber ich denke, es ist ein Schwert an der Kehle der amerikanischen Wirtschaft, viel mehr noch als an der chinesischen“, sagte Andrew Collier, Geschäftsführer von Orient Capital Research, letzte Woche gegenüber CNBC. Diese Einschätzung wurde von anderen Experten bestätigt, darunter Corrine Png, regionaler Leiterin des Aktienresearch bei AIA Investment Management, der den Schritt von Trump als „eigentlich ziemlich kontraproduktiv“ bezeichnet.

Sie sagte, die zusätzlichen Zölle von 10 Prozent, die in erster Linie verbraucherbezogene Produkte wie Spielzeug, Laptops und Mobiltelefone betreffen, „verletzen die US-Verbraucher tatsächlich mehr als China.“ Die Zölle drücken indirekt wegen der erhöhten Warenpreise auf den Verbraucher-Konsum und somit auch auf das BIP. Das schwächt den Einzelhandel und ist schlecht für dessen Beschäftigungssituation.

Auf einer höheren Ebene ist die Aufwertung des US-Dollar eine weitere Gefahr für die gesamte Weltwirtschaft und damit auch für Amerika. Zum einen werden dadurch die Gewinne der global agierenden US-Unternehmen geschwächt, da ein höherer Dollar-Kurs auf die Exporte drückt. Zum anderen werden die Kreditkosten für ausländische Unternehmen höher, da viele in US-Dollar verschuldet sind, vor allem in China. Das senkt entsprechend die Investitionsbereitschaft.

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EU und Japan – Export-Nationen in Gefahr

Die Konjunkturdaten aus Deutschland und der EU sind im Grunde nur noch eine einzige Ansammlung laut schrillender Alarm-Sirenen. Vor allem Export-Weltmeister Deutschland leidet besonders unter dem Handelsstreit, der Autosektor geht immer mehr in die Knie.

Die EU und Japan, beides riesige Wirtschaftszonen, sind viel exportabhängiger im Bezug auf den chinesischen Markt als die USA. Der immer weiter abwertende Yuan wertet jedoch nicht nur gegen den US-Dollar ab, sondern auch gegen den Yen und den Euro, da sie eng mit dem Dollar gekoppelt sind und die Notenbanken wenig weitere Möglichkeiten zur eigenen Abwertung haben. Das macht sich für beide Wirtschaftszonen schmerzhaft bemerkbar und bedroht die Export-Industrie in hohem Maße.

Zudem liegt der europäische Banken-Sektor auf Messers Schneide. Der Index der Euro-Banken ist am Dienstag auf ein historisches Tief gefallen. Um einem drohenden Kollaps zuvor zu kommen, wird die EZB wohl bald reagieren müssen. Wie sie das machen wird, bleibt eine der spannendsten Fragen, denn anders als die US-Notenbank FED, die noch einen Zinssatz von 2,25 Prozent hat, den man senken kann, hat die EZB, genau wie die Bank of Japan, fast überhaupt keinen Spielraum mehr bei den Zinsen und wird sich andere geldpolitische Vorgehensweisen überlegen müssen. Japan könnte hier mit seinen Zombie-Banken und massiven QE-Programmen als „Vorbild“ dienen.

China – Wachstumsmotor immer noch als Joker?

Die Volksrepublik, die seit zwei Jahren ihren Anspruch auf den Platz an der Sonne in der globalen Wirtschaft auch öffentlich als erklärtes Ziel kommuniziert, liefert sich mit den USA einen Machtkampf und hat einige effektive Werkzeuge parat, wie man mit der jüngsten Yuan-Abwertung gesehen hat.

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Dennoch hat auch die Regierung in Peking keinen unbegrenzten Spielraum – eine zu starke Abwertung der eigenen Währung würde auch die eigene Binnenwirtschaft schwächen und vor allem wieder vermehrt zur von der Regierung gefürchteten Kapitalflucht führen. Zudem darf der Druck auf die Seitenspieler nicht zu hoch werden, die das Streufeuer des Konflikts mit den USA immer stärker abbekommen. Sollten beispielsweise die EU und Japan wirtschaftlich zu sehr erodieren, werden sie sich gezwungen sehen, gegen China beispielsweise in Form von Sanktionen oder eigenen Zöllen aktiv zu werden.

Dennoch hat China, zumindest wenn man auf das Wachstumspotenzial und Erholungschancen schaut, vielleicht die besten Karten im Spiel. Das Wachstum ist zwar zurückgegangen, wird aber laut Prognosen voraussichtlich Ende des Jahres immer noch 6 Prozent betragen – verglichen mit 2 Prozent der USA und 1,6 Prozent der EU.

Die Aktien chinesischer Großkonzerne haben, genau wie der Rest der Welt, stark unter der jüngsten Handelsstreit-Eskalation gelitten. Tech-Firmen wie Alibaba, Tencent, oder Weibo mussten alle Kursrückgänge im zweistelligen Bereich verkraften. Vergleicht man sie jedoch mit den US-Pendants Facebook, Amazon, Google und Co. sieht man den Hebel durch das generelle Wachstums-Potenzial, das China noch hat. Die chinesischen Tech-Riesen hatten in Q2 2019 ein durchschnittliches Umsatz-Wachstum von 22 Prozent. Die US-Konkurrenz der FANGs 27 Prozent. Die US-Werte sind also leicht vorn, aber das Rennen ist eng.

Doch die US-Firmen sind stark an den Weltmarkt angewiesen und erwirtschaften große Teile ihrer Umsätze im internationalen Markt. Hier kommt der Vorteil der chinesischen Werte: Sie machen einen Großteil ihres Umsatzes im heimischen Markt. Das liegt zum einen an der „technischen Parallel-Welt“, die auch durch den Staat gefördert wird. Es gibt zu allen großen US-Erfolgskonzepten wie Amazon, Facebook und Co chinesische Versionen. Heißt, die Chinesen nutzen die heimischen Varianten und nicht die Global-Player – Das wird auch von der chinesischen Regierung so forciert. zum anderen ist der chinesische Markt an sich riesig genug, dass trotzdem noch gigantisches Wachstumspotenzial nur im heimischen Raum besteht. Es gibt 1,4 Milliarden Chinesen, von denen bisher nur ungefähr die Hälfte Zugang zum Internet und allen damit verbundenen Diensten und Produkten hat. Das Wachstum ist zwar etwas verlangsamt, doch die andere Hälfte wird unweigerlich in den nächsten Jahren in die Internet-Welt eingegliedert. Auch fernab der Tech-Branche orientiert sich die chinesische Wirtschaft mehr am heimischen Markt. Wie zuletzt eine neue McKinsey-Studie herausstellte, machte der Inlandskonsum in 11 von 16 Quartalen - von Januar 2015 bis Dezember 2018 - mehr als 60 Prozent des Wachstums aus.

Zuletzt hatte auch US-Börsenguru und Millardär Ray Dalio die vielleicht historischen Chancen eines Investments in die immer noch aufstrebende chinesische Wirtschaftsmacht skizziert. „Würden Sie nicht mit den Holländern in das holländische Reich investieren wollen? Hätten Sie nicht in die industrielle Revolution und das britische Reich investieren wollen? Möchten Sie nicht in die USA und das US-Imperium investieren? Ich denke, es ist vergleichbar “, sagte Dalio. „Ich glaube, China ist ein Konkurrent der Vereinigten Staaten oder chinesische Unternehmen sind Konkurrenten amerikanischer Unternehmen oder anderer Unternehmen auf der ganzen Welt. Und deshalb möchten Sie, wenn Sie diversifiziert sind, Wetten auf beide Pferde im Rennen abschließen.“ Seine These: Man solle lieber früher als später dabei sein.

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Dennoch muss man, gerade im Hinblick auf das starke Wachstum der Chinesen, auch im Hinterkopf behalten, dass die chinesischen Wirtschaftsdaten, sei es die der Einzelunternehmen oder der Konjunkturdaten des ganzen Landes, schon seit langer Zeit unter enormer Kritik stehen und der Verdacht besteht, dass die Zahlen recht weit entfernt von der Wirklichkeit sein könnten, da die Messung intransparent ist.

Sichere Häfen – Staatsanleihen, Gold, Bitcoin

Bei einigen Anlageklassen kann man im unruhiger werdenden Marktumfeld jedoch schon eindeutige Richtungen erkennen. Staatsanleihen werden durch die wachsende Unsicherheit in ihrer Funktion ad absurdum geführt und haben mittlerweile oft negative Renditen, während der Kurs immer weiter steigt.

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Gold stattdessen beweist nach jahrelanger Seitwärtsbewegung wieder seine Qualitäten als Portfolio-Absicherung und sicherer Hafen in stürmischen Zeiten. Im Zuge der jüngsten Eskalation im Handelsstreit wurde die Marke von 1500 Dollar je Unze durchbrochen und anhand der wachsenden Unsicherheit sind sich eigentlich alle Marktbeobachter einig: der Kurs wird weiter Richtung Norden gehen.

Neben Gold hat sich jedoch auch der Bitcoin zunehmend als Flucht-Asset etabliert und vor allem Anleger in Asien retten ihr Kapital zunehmend in die Kryptowährung, die bereits seit April diesen Jahres eine bemerkenswerte Rally hingelegt hat. Der kurze Einbruch im Juli wurde durch Trumps erneute Zoll-Drohung und der Reaktion der Chinesen schnell wieder repariert. Jüngst hat sich sogar die US-Großbank Goldman Sachs bullisch gegenüber dem Asset positioniert.

Von Alexander Mayer

Titelfoto: Natthapon Setthaudom / Shutterstock.com

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