Wirecard-Chef Markus Braun: Der Traum, Manager eines Weltkonzerns zu sein, ist jäh geplatzt und endet vor Gericht!

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Anfang Oktober 2018 gab Markus Braun dem Handelsblatt ein Interview. Unter anderem erklärt der damalige Chef des Bezahldienstleisters der Wirtschaftszeitung, wie er den Börsenwert des neuen Dax-Konzerns auf rund 100 Milliarden Euro steigern möchte. Zu diesem Zeitpunkt ist Wirecard erst kürzlich in den deutschen Leitindex aufgestiegen und mit einem Börsenwert von rund 24 Milliarden Euro wertvoller als die Deutsche Bank.

Die Pläne von Braun sehen unter anderem vor Banken und Smartphone-Konten auf die Seite des Unternehmens zu ziehen. Nicht einmal zwei Jahre später sieht die Lage ganz anders aus: Wirecard wird von einem Bilanzskandal erschüttert, der Börsenwert ist auf etwas mehr als 3 Milliarden Euro gesunken, die Dax-Zugehörigkeit wackelt bedenklich und Markus Braun muss seinen Rücktritt einreichen. Der Traum, Manager eines Weltkonzerns zu sein, ist jäh geplatzt.

Der eher ruhige Manager tritt mit einem lauten Knall ab

Viel ist über Ex-Wirecard-Chef Markus Braun nicht bekannt: Anders als viele IT-Unternehmer auf der Welt ist der 1969 in Wien geborene Wirtschaftsinformatiker kein Mann, der das Rampenlicht sucht oder dort gerne steht. Der ehemalige Lenker des Dax-Konzerns hätte wohl lieber die Geschicke im Hintergrund gelenkt, aber das war zuletzt nicht mehr möglich. Immer mehr Ungereimtheiten bei Wirecard zwangen den Vorstandsvorsitzenden mehr und mehr in den Vordergrund zu treten. Auch bei seinem letzten öffentlichen Auftritt im Amt, ein Video-Statement, dass auf der Homepage zu sehen ist,  wirkt Markus Braun angeschlagen und nicht wie ein Krisenmanager, der die Lage fest im Griff hat. Keine 24 Stunden nach der Aufzeichnung dieses Statements tritt Markus Braun zurück – nach über 18 Jahren an der Spitze von Wirecard. Damit nimmt eine sehr lange Erfolgsgeschichte ein mehr als unrühmliches Ende, dass viele offene Fragen hinterlässt.

Eine Erfolgsgeschichte, die nie eine war?

Der österreichische Manager hat den Bezahldienstleister Wirecard zu einer der größten Erfolgsgeschichten der deutschen High-Tech-Szene gemacht hat. Im November 2005 konnten Anleger sich die Wirecard-Aktie noch für unter einen Euro ins Depot legen und in aller Ruhe zuschauen, wie die Aktie im September 2018, nach dem Aufstieg von Wirecard in den Dax, an der Marke von 200 Euro schnupperte. Trotz mehrfacher Short-Attacken war Markus Braun mit Wirecard einfach nicht aufzuhalten. Analysten, Experten und Anleger waren voller Lob für Chef und Dax-Konzern. Niemand wäre vor fast 2 Jahren auf die Idee gekommen, dass der Aufstieg in den Dax der Anfang vom Ende der Wirecard-Erfolgsgeschichte ist.

Braun sieht weiterhin rosige Zukunft für Wirecard

Freitag hat Markus Braun seinen Job als Wircard-Chef aufgegeben. Der zurückgetretene Vorstandsvorsitzende schrieb in einer persönlichen Erklärung an Mitarbeiter und Aktionäre, er sei aus eigenem Antrieb zurückgetreten. Wirecard habe ein exzellentes Geschäftsmodell, herausragende Technologie und ausreichende Ressourcen für eine große Zukunft. „Ich will diese Zukunft nicht belasten“, erklärte der 1969 geborene Österreicher in der auf Englisch verfassten Erklärung. „Mit meiner Entscheidung respektiere ich die Tatsache, dass die Verantwortung für alle geschäftlichen Transaktionen beim Vorstandschef liegt.“

Jetzt sind die Gerichte an der Reihe

Mit dem Rücktritt ist die Wirecard-Geschichte für Braun noch lange nicht beendet. Jetzt wird die Zeit an der Wirecard-Spitze für den österreichischen Manager wohl noch ein längeres Nachspiel vor Gericht haben. Nicht nur Privatanleger sind über den Kurssturz der Aktie verärgert. Auch Fondsgesellschaften wetzen die Messer und bringen sich gerichtlich in Stellung.

DWS zieht vor Gericht

Die zur Deutschen Bank gehörende Fondsgesellschaft DWS will gegen Wirecard und dessen bisherigen Chef vor Gericht ziehen. „Wir verklagen Wirecard und Markus Braun“, sagte ein DWS-Sprecher. Der Chef der DWS-Flaggschifffonds, Tim Albrecht, sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Samstag): „Zum Schutze unserer Anleger müssen wir feststellen lassen, inwiefern dem Unternehmen oder auch Herrn Braun Versäumnisse vorzuwerfen sind.“ Albrecht betonte: „Wir fordern außerdem einen personellen Neuanfang in Vorstand und Aufsichtsrat. Auch der Vorsitzende Thomas Eichelmann hat jedes Vertrauen nach kürzester Zeit schon aufgebraucht.“ Die DWS hatte mit ihren Fonds noch vor wenigen Monaten zu den Großaktionären von Wirecard gezählt, ihre Beteiligungen zuletzt aber heruntergefahren.

Privatanleger werden Braun und Wirecard ebenfalls vor Gericht zerren

Die Anwaltskanzlei Tilp, die bereits im Mai Klage gegen Wirecard eingereicht hatte, erklärte am Donnerstag, sie sehe sich in ihrer Auffassung bestätigt, dass Wirecard „mehrfach erheblich gegen deutsches und europäisches Kapitalmarktrecht verstoßen und sich damit gegenüber Anlegern und Investoren schadensersatzpflichtig gemacht hat“. Das beantragte Musterverfahren gegen Wirecard sei nun um einzelne Gesichtspunkte zu erweitern.

Die Aktionärsvereinigung SdK erklärte, sie lasse aktuell von einer Anwaltskanzlei „eine rechtliche Einschätzung bezüglich möglicher Pflichtverletzungen der Organe und Dritter anfertigen“. Die SdK plane, ein gemeinsames Vorgehen geschädigter Aktionäre und Inhaber von Anleihen zu organisieren: „Es ist unter anderem geplant, mögliche Ansprüche zusammen mit einer Prozessfinanzierungsgesellschaft zu verfolgen.“

Ein riesengroßer Scherbenhaufen bleibt zurück

Neben den zahlreichen Gerichtsprozessen, die jetzt auf Wirecard zu rollen, steht auch die Zukunft des Bezahldienstleisters selbst auf der Kippe. Entscheidend für das Überleben des Dax-Konzerns wird sein, ob die Banken Wirecard den Geldhahn zudrehen und von der Möglichkeit gebrauch machen, Kredite von zwei Milliarden Euro zu kündigen. Wirecard machte den Anlegern Hoffnung: Das Unternehmen befinde sich in „konstruktiven Gesprächen“ mit seinen kreditgebenden Banken. Die Banken wären laut Wirecard zur Kündigung berechtigt, wenn das Unternehmen keinen testtierten Jahresabschluss vorlegt. Die Bilanz für 2019 konnten die Aschheimer bis Freitag nicht vorlegen. Präsentiert wurde nur ein neuer Verhandlungsführer.

Die Investmentbank Houlihan Lokey werde gemeinsam mit dem Zahlungsabwickler „einen Plan zur nachhaltigen Finanzierungsstrategie des Unternehmens entwickeln“, hieß es in einer am späten Freitagabend veröffentlichten Mitteilung von Wirecard. Man stehe derzeit in Verhandlungen mit einem Bankenkonsortium.

Houlihan Lokey ist für ihre Beratung in Insolvenzfällen bekannt und arbeitet auch als Restrukturierungsberater. Laut eigenen Angaben ist die US-Investmentbak in letzterem Feld weltweit führend. Houlihan Lokey hat die Ausschüsse der Gläubiger in drei der größten US-Bankrottfälle - Enron, General Motors und Lehman Brothers - beraten. In Deutschland hat Houlihan Lokey Gläubigern bei der Restrukturierung von Jack Wolfskin, Steinhoff und der Reederei Rickmers zur Seite gestanden. Jetzt kommt Wirecard hinzu.

Ist Wirecard ein Opfer?

Im Mittelpunkt des Bilanzskandals stehen zwei asiatische Banken und ein Treuhänder, der seit Ende vergangenen Jahres für Wirecard die Konten verwaltet. Auf den Konten waren angeblich 1,9 Milliarden Euro verbucht. Die für Wirecard tätigen Bilanzprüfer bezweifeln jedoch mittlerweile, dass diese 1,9 Milliarden Euro tatsächlich existieren. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (Ernst & Young) hat daher den Jahresabschluss nicht testiert. EY vermutet Täuschungsabsicht.

Nach Brauns Rücktritt verdichteten sich die Indizien für einen Betrugsfall großen Ausmaßes. Nachdem zwei philippiniesche Finanzinstitute Beziehung zu Wirecrad bestreiten und entsprechende Dokumente als Fälschungen zurückgewiesen haben, hat sich die Zerntralbank des Landes eingeschaltet. Laut ersten Ermittlungen ist kein Cent von den aktuell verschwundenen 1,9 Milliarden Euro auf den Philippinen gelandet. „Der erste Bericht besagt, dass kein Geld auf die Philippinen gelangt ist“, erklärte Benjamin Diokno, Präsident der Bangko Sentral ng Pilipinas wie Reuters berichtet. Die Zentralbank untersuche den Fall weiter.

Wie viel wusste Markus Braun?

Seit den Artikeln der Financial Times und weiterer Medienvertreter war Markus Braun eigentlich fast nur noch damit beschäftigt die Anleger zu beruhigen und zu beteuern, dass an allen Vorwürfen nichts dran ist. Der Sonderbericht von KPMG, der Wirecard unter anderem auch mangelnde Mitarbeit vorwarf und die Prüfung des Abschlussberichts durch EY, welche ihn nicht absegnete, zeigen allerdings ein anderes Bild. Die Gerichte werden jetzt klären müssen, wie viel Markus Braun wirklich wusste und ob der Wirecard-Chef die Anleger wissentlich getäuscht hat.

So hatte sich der Manager aus Österreich seinen Abgang bei Wirecard sicherlich nicht vorgestellt.

Von Markus Weingran / dpa-AFX

Foto: Rico Markus / shutterstock.com

Die Chronik des Wirecard-Desasters: 

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