Kutzers Zwischenruf: Keine Scheu vor den Risiken im neuen Jahr zeigen!

Hermann Kutzer · Uhr

Überall wird Bilanz gezogen: Wie war der Jahrgang 2019 für Wirtschaft und Börsen? Unterschiedliche Antworten. Ein Super-Aktienjahr mit starker Kurserholung, während die Weltwirtschaft erlahmte und teilweise Rezessionserscheinungen zeigte – gewiss kein gängiges Muster. Ich bin überzeugt, dass die schon seit Monaten erkennbare Differenzierung der Aktienkurse 2020 nach Ländern, Branchen und Einzelunternehmen noch zunehmen wird. Es dürfte also wohl (unabhängig von der Tendenz der führenden Indizes) erneut ein Jahr für aktive, bewegliche Anleger werden, speziell für Stockpicker. Bleiben wird auch die generelle Diskussion über „Risk on, Risk off“, wie es die Profis nennen: Bei einer Risk-on-Stimmung sind Händler und Anleger risikobereit und bevorzugen Aktien, bei Risk-off dagegen geben sich die Akteure eher risikoscheu und favorisieren neben der Liquidität vor allem Anleihen und Gold.

Als unverbesserlicher Optimist übernehme ich gerne den Appell unseres Bundespräsidenten, mit Mut und Zuversicht ins neue Jahr zu gehen. Interessant sind in diesem Zusammenhang aber auch die Erkenntnisse aus grundsätzlichen Verhaltensweisen an der Börse, die schon seit langem auch prominente Wissenschaftler beschäftigen.

So dozierte einmal ein Psychologe, dass die Scheu vor Risiken ein ganz charakteristisches Verhalten des Menschen sei. Ein Test macht das deutlich. Man stellt Probanden vor die Alternative, entweder einen sicheren Gewinn von 900 Euro einzustreichen oder aber einen Gewinn von 1000 Euro, den sie allerdings nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent erhalten würden. Obwohl der Gewinn beim zweiten Angebot in den meisten Fällen höher ausfällt, entscheidet sich die Mehrzahl der Teilnehmer für die risikofreie Alternative. Was mich noch mehr fasziniert, ist die von mehreren Forschern bestätigte Beobachtung, dass die Angst vor einem Verlust die Anleger viel mehr beeindruckt (manchmal wird von „doppelt so stark“ gesprochen) als die Freude über einen Gewinn. Deshalb neigen viele (ängstliche) Anleger dazu, bei fester Aktientendenz zu früh den Gewinn mitzunehmen.

Man mag es kaum glauben, was dazu ein amerikanischer Stratege auf einem großen Investmentkongress an der Westküste berichtete (ich benutze das Beispiel seit Jahren in meinen Vorträgen): In einer Großstadt findet eine statistisch relevante Menge Menschen abends zwei besondere Umschläge im Briefkasten. Im ersten steckt die Gewinnbenachrichtigung einer lokalen Lotterie über 100 Dollar, im zweiten Umschlag ein Bußgeldbescheid wegen Falschparkens mit Unfallfolge über 75 Dollar. Immerhin noch ein Gewinn von 25 Dollar netto. Nun haben die Statistiker anschließend herausgefunden, dass eine deutliche Mehrheit (weit über 60 Prozent) trotzdem gerne auf die 100 Dollar verzichten würde, wenn sie die 75 Dollar nicht zu zahlen brauchte. Verrückt, oder?

Versuchen Sie doch einmal selbst, geschätzte Anleger, Ihre persönliche Einstellung gegenüber Chance und Risiko zu vergleichen (ist gar nicht so einfach). Sollten Sie erkennen, dass Sie eher ängstlich sind und durch Ihre relativ hohe Risikoscheu auf Chancen verzichten bzw. sie verpassen, dann würde ich daran arbeiten! Um mit Zuversicht ins neue Jahr gehen zu können, sind einfache Vorsichtsmaßnahmen angesagt: Alle kurz- und mittelfristigen Aktienpositionen gegen starke Kursverluste absichern, größere Gewinne im Depot jetzt teilweise mitnehmen und neue Aktienkäufe nur mit einem Teil des verfügbaren Anlagekapitals vornehmen. Ich nenne das die „Bisschen-Taktik“ – dabei sein, aber nicht alles riskieren.

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