Wie der Aktienmarkt mit dem Ölpreis zusammenhängt
Maximilian Nagel
Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran kocht hoch – die Ölpreise steigen, während die Aktienmärkte fallen. Welchen Einfluss der Kurs des „schwarzen Goldes“ auf deine Aktien haben kann, erfährst du in unserer Analyse.

Erneut flammt ein Konflikt im Nahen Osten auf. Seit Tagen überziehen sich Israel und der Iran gegenseitig mit Luftschlägen. Der Preis für Rohöl, gemessen an der globalen Benchmark-Sorte Brent, hat daraufhin sprunghaft zugelegt.
Mit einem Preis von rund 75 US-Dollar je Barrel (159 Liter) ist Brent satte 15 Prozent teurer als zu Monatsbeginn. Auch die US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) legte seitdem um etwa zehn Prozent auf 71 Dollar je Barrel zu. Der Treiber: Die Furcht, der Iran-Israel-Konflikt könne die Versorgung aus dem Nahen Osten lähmen.
An den Börsen nahm nach den Angriffen nur eines zu: Die Nervosität. Der Dax schlitterte am Freitag nach den ersten Angriffen um über ein Prozent nach unten. Der marktbreite US-Index S&P 500 rutschte in ähnlicher Größenordnung ab, wobei sich beide Indizes zum Wochenauftakt auch wieder erholten.
Eine übliche Erklärung dieser Bewegung ist, dass teurere Energieträger tendenziell auf der Wirtschaft und damit auf den Aktienkursen lasten. Etwa, weil dadurch Logistikkosten steigen und die Ergebnismarge der Konzerne verringern. Die geopolitische Unsicherheit kommt noch hinzu.
Rohöl und Aktien - eine facettenreiche Beziehung
Doch die Beziehung zwischen Öl und Aktien ist komplex - der Interpretationsspielraum ist groß, und die Korrelation der Preise erstaunlich flexibel. Je nach Umfeld sind steigende Preise sogar eher ein positives Signal für die Märkte.
Das jedenfalls zeigt die Vergangenheit. Mal schnellen die Preise im Gleichschritt nach oben, mal laufen sie in entgegengesetzte Richtungen, wobei die Rohölpreise um ein Vielfaches mehr schwanken als Aktienmärkte.
So etwa vor der Großen Finanzkrise, als sowohl die Börsen als auch Öl stiegen, wobei der Ölpreis sich in der Spitze glatt versiebenfachte. Danach ging es im Gleichschritt nach unten. Ein heftigen Preisverfall bei Rohöl 2014 wiederum störte die Börsen damals nicht. Die Frage ist: Gibt es eine feste Korrelation?
Aktien korrelieren mit Öl, reagieren dabei aber oft nicht auf den Ölpreis an sich
Kein geringerer als der ehemalige Chef der amerikanischen Notenbank, Ben Bernanke, nahm die Beziehung zwischen Öl und den Börsen 2016 für die Denkfabrik Brookings unter die Lupe. „Die übliche Annahme ist, dass ein sinkender Ölpreis eine gute Nachricht für die Wirtschaft ist, zumindest für Nettoimporteure wie die USA oder China“, so Bernanke damals.
Zu diesem Zeitpunkt aber sanken sowohl Aktien als auch Rohölpreise. Eine plausible Erklärung für dieses Phänomen: „Beide reagieren auf gemeinsame Treiber, nämlich, ein Rückgang der globalen Nachfrage, die sowohl Unternehmensgewinne als auch die Nachfrage nach Öl dämpft.“
Um diese Erklärung zu untermauern, untersuchte Bernanke die Korrelation der Preise. Die Preisbewegungen zwischen 2011 und 2015 zeigen, dass die Korrelation zwischen den über 20 Tage geglätteten Preisen sowohl negativ als auch positiv ausfallen kann, im Schnitt aber bei 0,39 liegt. Die Preise weisen demnach üblicherweise eine mittelstarke, positive Korrelation auf. Das bedeutet: Steigt der Ölpreis, steigen tendenziell auch Aktienkurse – und umgekehrt.
Wird nur die reine Nachfragekomponente bei den Ölpreisbewegungen betrachtet, vergrößert sich die Korrelation auf 0,48. „Das passt zur Idee, dass Aktienhändler nicht notwendigerweise auf Ölpreisbewegungen selbst reagieren, sondern weil Veränderungen bei Öl als Indikator für die globale Nachfrage und das Wachstum dienen“, so Bernanke.
Ebenso könnte ein Gleichschritt bei Ölpreisen und Aktienkursen mit einer erhöhten Volatilität, also einer erhöhten Unsicherheit erklärt werden. Dafür integrierte Bernanke in seine Gleichung auch die Bewegungen beim US-Volatilitätsindex VIX. Dieser misst anhand von Optionspreisen die erwartete Schwankungsbreite beim S&P 500 in den nächsten 30 Tagen. Umgangssprachlich heißt er „Angstbarometer“, weil er üblicherweise steigt, wenn die Aktienhändler starke Einbrüche antizipieren.
Wird nun auch der VIX berücksichtigt, steigt die Korrelation nochmals auf 0,68, so Bernankes Ergebnisse. „Der Einbezug von Risiko verbessert unsere Erklärung, warum Öl- und Aktienpreise dazu tendieren, sich in die gleiche Richtung zu bewegen“, konstatiert Bernanke.
Der positive Effekt „billiger Energie“ zeigt sich in den Daten nicht
Letztlich, urteilt Bernanke, sei der Zusammenhang „größtenteils erklärbar durch die Tendenz von Aktien und Rohöl, auf gemeinsame Treiber zu reagieren“. Wie eben die globale Nachfrage oder eine abrupt steigende Risikoaversion.
Interessant: Bernanke fand keine negative Korrelation zwischen Ölpreisbewegungen, die durch die Angebotsseite getrieben wurden, und den Aktienpreisen. Einfacher ausgedrückt: Anders als angenommen ist eine „Schwemme“ an Öl nicht zwangsläufig gut für Aktien. Das widerspricht der gängigen Meinung, dass „billige Energie“ grundsätzlich positiv für die Wirtschaft sei.
Ähnliche Ergebnisse erzielten auch andere Studien, wie die, die der Broker Blackwell beispielsweise an dieser Stelle zusammengetragen hat. Die Korrelation kann mal positiv, mal negativ ausfallen. Der Einfluss der Ölpreise auf die Kurse ist also allenfalls ein indirekter – Rohöl ist eher Signalgeber für Faktoren, die ebenfalls Relevanz für die Börsen haben.
Damit ist klar, wie die aktuellen Kursturbulenzen zu interpretieren sind: Der Ölpreis steigt, weil Rohstoffhändler eine etwaige Unterbrechung der Lieferketten durch den Krieg zwischen Israel und dem Iran fürchten. Die Aktienkurse in New York und Frankfurt reagieren indes auf die geopolitische Instabilität – und fallen. Die von Bernanke entdeckte übliche Korrelation zwischen Aktien- und Ölmarkt ist, für den Moment zumindest, verschwunden.