Regierung verfehlt Ziel im Wohnungsbau - "Weckschrei notwendig"

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Berlin (Reuters) - Die Bundesregierung hat ihr Wohnungsbauziel im vergangenen Jahr ein weiteres Mal deutlich verfehlt.

Die Zahl der fertiggestellten Wohnungen stieg zwar trotz höherer Preise, Energiekrise und Fachkräftemangel um 1900 oder 0,6 Prozent auf 295.300, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Sie blieb aber klar unter der Marke von jährlich 400.000, die sich die Ampel-Koalition im Kampf gegen den Mangel an bezahlbarem Wohnraum zum Ziel gesetzt hat. Opposition, Gewerkschaft, Unternehmerverbände und Ökonomen zeigen sich daher besorgt. Bundesbauministerin Klara Geywitz hält ungeachtet der schwierigen Rahmenbedingungen - vor allem hoher Finanzierungskosten durch gestiegene Zinsen - am Ziel fest.

"Wir sind momentan in einer Situation, wo es stabil ist", sagte die SPD-Politikerin in Berlin. Zugleich räumt sie mit Blick auf die Zahlen ein: "Das ist natürlich weit davon entfernt, die 400.000 zu erreichen, die die Bundesregierung nach wie vor zum Ziel hat". Hoffnung macht ihr der sogenannte Bauüberhang: Die Zahl der genehmigten, aber noch nicht fertiggestellten Wohnungen erhöhte sich im vergangenen Jahr um mehr als 38.000 auf 884.800. Davon befanden sich dem Statistikamt zufolge 462.900 Wohnungen im Bau. "Wir unterstützen die Branche weiter mit Bürokratieabbau, Digitalisierung und verlässlicher Förderung", sicherte Geywitz zu und verwies beispielsweise auf ein neues Programm zur Eigentumsförderung in Höhe von 350 Millionen Euro.

Scharfe Kritik kommt von der Opposition. "Die Zahlen des Statistischen Bundesamts belegen: Die Baupolitik der Ampel liegt in Schutt und Asche", sagte Unionsfraktionsvize Ulrich Lange dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. "Das Neubau-Plus von 0,6 Prozent ist ein Witz." Das Ziel der Regierung, in dieser Wahlperiode 1,6 Millionen neue Wohnungen zu bauen, sei Lichtjahre entfernt. "Wenn jetzt politisch nichts passiert, dann ist der Wohnungsbau am Ende", warnte der Bundesvorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau), Robert Feiger. "Notwendig ist deshalb kein Weckruf mehr an die Politik. Notwendig ist ein Weckschrei." Die IG Bau fordert unter anderem ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau.

250.000 WOHNUNGEN IN DIESEM JAHR ERWARTET

Die Bauindustrie geht davon aus, dass die Regierung ihr Ziel weiter verfehlen wird. "Für das laufende Jahr rechnen wir bestenfalls mit 250.000 fertiggestellten Wohnungen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes, Tim-Oliver Müller. "Gerade in den Ballungsgebieten und ihrem Umland wird damit die Wohnungsnot zementiert." Auch 2024 sei kaum Besserung in Sicht. Die Fertigstellungen dürften angesichts dramatisch eingebrochener Baugenehmigungen weiter sinken.

Ähnlich schätzt das das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ein. "Es ist äußerst wahrscheinlich, dass sich diese schwache Entwicklung angesichts der stark abnehmenden Zahl der Baugenehmigungen auch im laufenden Jahr fortsetzen wird", sagte DIW-Experte Konstantin Kholodilin. "Gestiegene Zinssätze sowie deutlich höhere Bau- und Energiekosten spielen dabei eine bedeutende Rolle." Hinzu komme, dass so mancher Bauträger auch aufgrund geplanter Gesetze und damit verbundener Unsicherheiten zögere. "Preisregulierung und Wohnraumlenkung können das Problem kaum lösen, während die Erweiterung der Wohngeld- und Bauförderung angesichts der damit verbundenen Inflationsgefahr und steigender Staatsverschuldung immer problematischer wird."

Die Bauindustrie fordert die Politik auf, Vertrauen wiederherzustellen, damit Investoren zurück an den Markt kommen. "Der Dreiklang aus einer verlässlichen Neubauförderung, Steueranreizen und weniger Regulierung muss endlich Gehör finden", sagte Hauptgeschäftsführer Müller. "Die Ampelkoalition muss dringend Investoren für den Wohnungsneubau motivieren, dafür braucht es verlässliche Marktbedingungen." Insbesondere die Entschlackung der Überregulierung am Bau sei ein Hebel, Baukosten und damit Preise zu senken – etwa im Bereich der Baustandards oder der Gebäudeenergieeffizienz.

(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Christian Rüttger - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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