ROUNDUP/Haushaltskrise: Ampel unter Entscheidungsdruck - Streit um Sozialetat

dpa-AFX · Uhr

BERLIN (dpa-AFX) - Die Ampel-Koalition steht in der Haushaltskrise unter einem großen Entscheidungsdruck. Wenn der Bundeshaushalt 2024 noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll, müssen sich SPD, FDP und Grüne angesichts von Milliardenlöchern nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts bald auf den weiteren Kurs einigen. Umstritten sind mögliche Einsparungen vor allem bei den Sozialausgaben. Die Verhandlungen finden aktuell vor allem in einer Dreierrunde mit Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) statt.

Die Gespräche scheinen in die entscheidende Phase zu treten: Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck sagte eine ab Montagabend geplante Reise zur Weltklimakonferenz in Dubai und in die Region ab. Habecks Anwesenheit in Berlin sei notwendig, um nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Gespräche über den Haushalt 2024 weiter voranzubringen, teilte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums am Sonntagabend mit. Dies sei in Absprache mit Scholz und auf Bitten des Kanzlers erfolgt.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sagte am Sonntagabend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt": "Es wird genau in diesen Stunden verhandelt miteinander. Jede freie Minute wird unter den Mitgliedern der Regierung genutzt, um einen Haushaltsentwurf für 2024 nach den Maßgaben des Verfassungsgerichtsurteils aus Karlsruhe aufzustellen."

Warum gespart werden muss

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Etat 2021 in den Klima- und Transformationsfonds für nichtig erklärt. Das Geld war als Corona-Kredit bewilligt worden, sollte aber nachträglich für den Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft eingesetzt werden. Zugleich entschieden die Richter, der Staat dürfe sich Not-Kredite nicht für spätere Jahre zurücklegen. Das hat der Bund aber in Sondertöpfen getan - was nun zusätzliche Löcher in den Etat reißt. Lindner sieht für 2024 einen "Handlungsbedarf" von 17 Milliarden Euro.

Wie der Zeitplan aussieht

Innerhalb der nächsten Tage muss die Koalition sich einigen - wenn sie den Haushalt für 2024 noch in diesem Jahr beschließen will. Bis zur Kabinettssitzung am Mittwoch müsste es eine politische Grundsatzeinigung von SPD, FDP und Grünen geben, damit es noch genug Zeit für das parlamentarische Verfahren gibt. Vom 8. bis 10. Dezember findet in Berlin der SPD-Parteitag statt. Möglich ist auch, dass es vor Weihnachten eine Grundsatzeinigung gibt, der Haushalt dann formell aber erst Anfang nächsten Jahres vom Parlament verabschiedet wird. Falls es keine politische Einigung vor Weihnachten geben sollte, droht eine Hängepartie. Die Ampel könnte politisch in schweres Fahrwasser kommen.

Welche Kostenblöcke Lindner nennt

Am Wochenende rückten mögliche Einsparungen bei Sozialausgaben ins Zentrum der öffentlichen Debatte. Lindner nannte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe den Sozialbereich als einen von drei großen Kostenblöcken, mit dem sich die Ampel beschäftigen müsse - neben internationalen Finanzhilfen sowie nicht näher spezifizierten Förderprogrammen. Die Grünen haben sich für den Abbau klimaschädlicher Subventionen ausgesprochen. Kürzungen bei der Bundeswehr soll es laut Lindner angesichts der veränderten Bedrohungslage seit dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht geben. Für Soziales setze der Bund aktuell 45 Prozent seiner Ausgaben ein, so Lindner. "Da werden wir schauen, wie man treffsicherer werden kann." Es gehe beispielsweise darum, Menschen schneller in Arbeit zu bringen. Das nutze den Menschen und auch dem Bundeshaushalt.

Streit um Bürgergelderhöhung

Die mehr als fünf Millionen Bürgergeld-Empfänger sollen nach den Plänen der Ampel zum 1. Januar 2024 im Schnitt rund 12 Prozent mehr Geld bekommen - Alleinstehende dann 563 Euro. Anders als bei früheren Anpassungen war die monatelang stark erhöhte Inflation aufgrund einer Änderung der Regeln bei der Berechnung für 2024 stärker berücksichtigt worden.

Lindner wies darauf hin, dass sich die Inflationsrate wesentlich besser entwickelt, als bei der Festlegung des Regelsatzes für 2024 prognostiziert. Die Inflation war im November auf 3,2 Prozent gesunken - die geplante Bürgergeld-Erhöhung ab Januar basiert noch auf einer Inflation von 9,9 Prozent, wie der sozialpolitische FDP-Fraktionssprecher Pascal Kober deutlich gemacht hatte.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte ebenfalls eine Rücknahme der deutlichen Erhöhung des Bürgergeldes. Er sagte der "Bild am Sonntag", es sei dringend notwendig, das Bürgergeld neu zu bewerten.

Die SPD will sich gegen Einsparungen im Sozialbereich stemmen. Sozialminister Hubertus Heil hatte Forderungen nach einer Aussetzung der Bürgergeld-Erhöhung bereits zurückgewiesen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sagte am Samstag auf einem Parteitag der Thüringer Sozialdemokraten in Meiningen: "Die SPD fightet, dass es kein Sparhaushalt wird, dass nicht die Ärmsten die Leidtragenden sind."

SPD-Chefin Saskia Esken rechnet damit, dass der Bundeshaushalt für 2024 noch in diesem Jahr abgeschlossen werden kann. Sie sprach sich gegenüber der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Montag/ Online Sonntag) gegen Einsparungen bei Sozialleistungen und Einschnitten beim Klimaschutz aus.

Noch einmal Notlage?

Für 2023 soll noch einmal eine Notlage erklärt und die Schuldenbremse damit ausgesetzt werden, die Union will sich nicht querstellen. Begründung: die anhaltende Energiekrise nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. SPD-Chef Lars Klingbeil will das auch für 2024: "Es muss eine Sparleistung der Bundesregierung geben. Aber am Ende bin ich der festen politischen Überzeugung: Wir müssen die Notlage für 2024 ausrufen, weil ich nicht in eine Situation kommen will, wo wir die Ukrainehilfe gegen Klimainvestition ausspielen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Lindner sieht das aber sehr skeptisch: "Ich bin noch nicht davon überzeugt, dass man eine neuerliche Aussetzung verfassungsmäßig tragfähig begründen kann."

Warnung vor steigenden Strompreisen

Eigentlich hat die Koalition im kommenden Jahr einen Bundeszuschuss zu den Übertragungsnetzentgelten von bis zu 5,5 Milliarden Euro geplant - um den Strompreis zu dämpfen. Das Geld sollte aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds kommen. Als Folge des Haushaltsurteils muss die Bundesregierung diesen Sondertopf allerdings zum Ende des Jahres auflösen. Das Geld für den Zuschuss müsste also aus dem Kernhaushalt kommen. Ohne den Zuschuss würden die Endkundenpreise deutlich steigen, sagte Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. "Dabei ist eine bezahlbare Stromversorgung gerade in Zeiten von Unsicherheiten von hoher - auch gesellschaftspolitischer - Bedeutung."/hoe/DP/zb

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