Merz kritisiert Israel wegen Gaza-Offensive scharf

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- von Andreas Rinke und Alexander Cornwell und Nidal al-Mughrabi

Berlin/Jerusalem/Kairo (Reuters) - Angesichts der unvermindert andauernden Militäroffensive im Gazastreifen hat Bundeskanzler Friedrich Merz die israelische Regierung in ungewöhnlich scharfer Form kritisiert.

Das Vorgehen der israelischen Armee "verstehe ich offen gestanden nicht mehr", sagte Merz am Montag beim WDR-Europaforum in Berlin. Dass die palästinensische Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft gezogen werde, "lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen". Der Kanzler vermied es zwar erneut, auf das Thema Sanktionen einzugehen. Aber er mahnte die israelische Regierung, nichts mehr zu tun, "was ihre Partner nicht bereit sind zu tragen".

Nach palästinensischen Angaben wurden bei einem neuen israelischen Angriff im Gazastreifen am Montag mindestens 45 Menschen getötet. Das Militär habe eine Schule attackiert, in der Vertriebene untergebracht gewesen seien, teilten palästinensische Behörden mit. Zu den Opfern gehörten demnach auch Frauen und Kinder. Das israelische Militär bestätigte, eine Schule angegriffen zu haben. Das Gebäude sei aber von der radikal-islamischen Hamas und der mit ihr verbündeten Extremistengruppe Islamischer Dschihad genutzt worden, um Angriffe gegen Israel zu organisieren. Israel will nach eigenen Angaben die im Gazastreifen herrschende Hamas vernichten. Ausgangspunkt des Krieges war der Überfall der militanten Organisation auf Israel im Oktober 2023. Die Hamas hat weiter israelische Geiseln in ihrer Gewalt.

Merz sagte, er habe Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Gesprächen gemahnt, "es nicht zu übertreiben". Wenn jetzt offensichtlich am Wochenende im Gazastreifen ein Kinderheim oder ein Kindergarten getroffen worden sei, sei dies "eine menschliche Tragödie und eine politische Katastrophe". Deutschland stehe zwar aus historischer Verantwortung immer an der Seite Israels. "Aber wenn Grenzen überschritten werden, wo einfach das humanitäre Völkerrecht jetzt wirklich verletzt wird, dann muss auch Deutschland, da muss auch der deutsche Bundeskanzler dazu etwas sagen." Er denke, dass Israel ein hohes Interesse daran habe, dass Deutschland der wichtigste Partner in Europa bleibe.

"MORALISCHES DILEMMA"

Bundesaußenminister Johann Wadephul lehnt einen Stopp von deutschen Waffenexporten nach Israel ungeachtet der Offensive im Gazastreifen ab. Israel sei zahlreichen Gefahren von außen ausgesetzt, etwa von der libanesischen Hisbollah-Miliz, von den Huthi-Rebellen im Jemen und aus dem Iran, sagte Wadephul bei einem Besuch in Madrid. All diese Akteure hätten die Vernichtung Israels zum Ziel. Zugleich sei das Existenzrecht Israels Teil deutscher Staatsräson. Die Bundesregierung sei daher dazu verpflichtet, Israel bei der Gewährung seiner Sicherheit Beistand zu leisten, und dazu gehörten auch Waffenlieferungen. Gleichwohl stelle die Lage im Gazastreifen "ein großes politisches und moralisches Dilemma für uns" dar, betonte der CDU-Politiker.

Zudem will der Minister an dem Assoziierungsabkommen der Europäischen Union mit Israel festhalten. Das Abkommen sei richtig und müsse bewahrt werden, sagte Wadephul in Madrid weiter. Dies heiße aber nicht, dass man eine israelische Regierung nicht kritisieren dürfe. Das Abkommen sei allerdings mit dem Staat Israel geschlossen worden und nicht mit der Regierung. Wadephul betont, bei einem Treffen der EU-Außenminister vergangene Woche in Brüssel sei eine Mehrheit dafür gewesen, das Abkommen zu überprüfen, nicht aber zu suspendieren.

CHEF VON NEUER HILFSORGANISATION ZURÜCKGETRETEN

Netanjahu hat das Ziel ausgegeben, dass Israel den gesamten Gazastreifen kontrollieren müsse. Bisher sind es rund 77 Prozent, die die israelischen Streitkräfte durch Luftangriffe, den Einsatz von Bodentruppen und Evakuierungsanordnungen unter ihre Kontrolle gebracht haben. Wachsender internationaler Druck hat Israel mittlerweile dazu veranlasst, eine Blockade des Gazastreifens aufzuheben und wieder Hilfslieferungen zuzulassen. Internationale Hilfsorganisationen befürchten eine Hungersnot. Zur Verteilung der humanitären Hilfe hatten die USA ein neues System unter Kontrolle privater Organisationen vorgeschlagen.

Der Geschäftsführer der von den USA unterstützten Gaza Humanitarian Foundation, Jake Wood, war allerdings am Sonntag überraschend zurückgetreten. Am Montag hätte die Stiftung eigentlich mit der Verteilung der Güter beginnen sollen. Wood hatte die Stiftung zwei Monate lang geleitet. Er begründete seinen Rücktritt damit, dass die Organisation nicht "an den humanitären Grundsätzen der Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit" festhalten könne. Die Vereinten Nationen (UN) und Hilfsorganisationen boykottieren die Gaza Humanitarian Foundation. Sie argumentieren, das neue System untergrabe den Grundsatz, dass Hilfe von einer neutralen Partei beaufsichtigt werden sollte.

Israel wirft der Hamas vor, die Hilfsgüter abzufangen und dann zu verkaufen, um sich mit dem Erlös zu finanzieren. Im März hatte die israelische Regierung eine vollständige Blockade über den Gazastreifen verhängt. Vergangene Woche ließen die israelischen Behörden unter wachsendem internationalen Druck eine geringe Menge Hilfsgüter in das palästinensische Küstengebiet. Die wenigen hundert Lastwagen transportierten jedoch nur einen Bruchteil der Nahrungsmittel, die die von Hungersnot bedrohte Bevölkerung von rund zwei Millionen Menschen nach fast drei Monaten Blockade benötigt.

(Mitarbeit und geschrieben von Alexander Ratz; Redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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