Außerbörslicher Handel ist neue Macht im Indexroulette

Börsen-Zeitung · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Börsen-Zeitung, 29.6.2013

Mehr als 20 Jahre lang mussten sich Dax-Unternehmen nicht die Frage stellen, ob und welche Auswirkungen von Dark Pools für ihre Indexzugehörigkeit bestehen. Denn die Aktien wurden überwiegend über die regulierten Börsen gehandelt - einschließlich Parkettbörsen und "Over the Counter" (OTC). Seit 2008 gibt es jedoch die Möglichkeit, große Ordervolumina über Dark Pools namhafter Adressen abzuwickeln. Diese Orders allerdings werden nicht berücksichtigt, wenn der Arbeitskreis Aktienindizes der Deutschen Börse über die Indexzusammensetzung entscheidet. Das Problem dabei: Sinken bei einem Unternehmen aufgrund des Dark-Pool-Handels die Umsätze an regulierten Börsen im Vergleich zu bestehenden oder potenziellen Indexmitgliedern überproportional stark, so läuft das Unternehmen Gefahr, aus dem Index genommen zu werden.

Steigendes Interesse

In den vergangenen Jahren stieg das Interesse am Handel über die unregulierten Märkte. So liegt unseren Auswertungen zufolge bei den Dax-Unternehmen das Verhältnis aller außerbörslichen Handelsvolumina zu den Umsätzen an regulierten Börsenplätzen seit Juli 2012 bei 66,4 zu 31,2 % (Stand April 2013). Weitere 2,4 % entfallen auf sonstige regionale Börsenplätze. Für die Auswertungen wurde der Einfachheit halber in regulierte und unregulierte Märkte differenziert. Dabei vereint die Kategorie unregulierte Märkte die Anteile der Dark Pools und der OTC-Transaktionen.

Die höchsten außerbörslichen Handelsvolumina weisen unseren Berechnungen zufolge SAP, Bayer und Allianz mit Anteilen von mehr als 75 % auf. SAP hat bereits die Grenze von 80 % überschritten. Alle drei Unternehmen haben einen hohen Free Float, selbst SAP mit 74 %. Gründe für die hohen handelbaren Volumina außerhalb der regulierten Börsen sind z. B. Mehrfachlistings, die Auflage von ADR und der Blockhandel. Auch wenn die Dax-Mitglieder täglich handelbare Volumina in sechs- bis siebenstelliger Größenordnung aufweisen, werden sehr große Blockanfragen aufgrund geringerer Kosten und besserer Handelbarkeit der Aktien tendenziell über die außerbörslichen Handelsplattformen bewegt.

Quartalsweise Überprüfung

Gerade wenn Indexunternehmen einen überschaubaren Free Float haben, handeln Investoren ihre Block Trades in der Regel über die Plattformen OTC und/oder Dark Pools, die mitunter je nach Wertpapier höhere handelbare Volumina mit geringeren Spreads sowie Transaktionskosten abbilden. Zu den bekannten Dark Pools gehören neben dem der Deutschen Bank Adressen wie HSBC, Goldman Sachs, J.P. Morgan, Morgan Stanley, Citigroup und als eigenständiger Betreiber auch BATS Chi-X Europe.

Der Arbeitskreis Aktienindizes verifiziert quartalsweise die Indexzusammensetzungen, wobei der Dax mit den nach Handelsumsatz und Marktkapitalisierung 30 größten deutschen Unternehmen regulär einmal im Jahr überprüft wird, nämlich zur Verkettung im September. Für die Berechnung der Indexzugehörigkeit werden unter anderem die Volumina an den Börsenplätzen Xetra und Xetra 2 (früher Frankfurter Parkett) herangezogen, da nur diese nachweisbar sind und von der Deutschen Börse überprüft werden (regulierte Märkte). Der Arbeitskreis zieht für seine Entscheidung zuerst die harten Kriterien Free-Float-Marktkapitalisierung, respektive den streubesitzgewichteten Börsenwert, und die Handelsvolumina von Unternehmen heran, die als Berechnungsgrundlage 20 Handelstage (Free-Float-Marktkapitalisierung) bzw. zwölf Monate (Handelsumsatz) aufweisen.

Ein Unternehmen gilt als Dax-Aufstiegskandidat, wenn es die Ränge 30/30 erreicht und ein Bestandsmitglied mindestens in einem Rang gleich oder schlechter als Rang 35 notiert. Als Dax-Abstiegskandidat gilt ein Unternehmen, das mindestens in einem Rang schlechter als Rang 40 notiert, wobei das potenzielle Aufstiegsunternehmen dann in beiden Kriterien mindestens Rang 35 erreichen muss (vgl. Tabelle).

Zu den übrigen Quartalsverkettungsterminen kann ein Unternehmen dann Gefahr laufen, aus dem Index herauszufallen, wenn es in einem Rang schlechter als Rang 45 notiert, bzw. entsprechend aufsteigen, wenn es die Ränge 25 in beiden Kriterien erfüllt. Außerordentlich kann ein Unternehmen seine Dax-Zugehörigkeit verlieren bei einem Free Float von weniger als 10 %, einer 30-Tage-Volatilität von mehr als 250 % sowie wenn es einen Segmentwechsel oder die Einstellung des fortlaufenden Handels auf Xetra anstrebt. Beide letztgenannten Maßnahmen greifen allerdings selten und wenn, dann sind sie in Korrelation zum ersten Punkt zu sehen.

Läuft ein Unternehmen Gefahr, aufgrund schlechter Indexränge vom Dax in den MDax zu fallen, wie es im September Metro und MAN widerfahren ist, so werden die Unternehmen sicher auch weiterhin bei den meisten Fonds Beachtung finden, da sie nach wie vor als interessante Investments die Watchlisten der Investoren anführen. Lediglich geringe Abschläge in der Handelbarkeit der Aktien müssen als Konsequenz in Kauf genommen werden.

Aus dem Index, aus dem Sinn

Für alle anderen Indexunternehmen sehen die Konsequenzen allerdings weniger rosig aus. Dies gilt insbesondere für Abstiegskandidaten im TecDax, da sie in keinen weiteren Index herabfallen können. Diese Unternehmen können infolgedessen auch sehr schnell vom Radar der Fonds verschwinden, die als Investitionsentscheidung die Indexmitgliedschaft und die durchschnittlich handelbaren Volumina heranziehen. Die Fonds, die ausschließlich in Dax-Unternehmen investieren dürfen und z. B. den Index replizieren, würden sich bei einem Dax-Absteiger natürlich entsprechend ganz aus dem Investment verabschieden.

Dem Trend zum außerbörslichen Handel kann einerseits durch strengere Regularien und andererseits durch einen aktiveren Handel an den regulierten Börsenplätzen entgegengewirkt werden. Hier gilt: Liquidität zieht Liquidität an. Auch wenn alle Dax-Unternehmen der Liquiditätskategorie A seitens der Deutschen Börse zugeordnet werden und damit für den fortlaufenden Handel keinen Designated Sponsor nachweisen müssen (im Gegensatz zu fast allen MDax-, TecDax- und SDax-Unternehmen), so mandatiert doch eine große Zahl von Dax-Firmen einen solchen, um fortlaufend und umfassend über das Handelsgeschehen informiert zu sein und Liquidität zu erzeugen.

Die kontinuierliche Liquiditätsbereitstellung und -förderung zählt zu den Hauptaufgaben eines Designated Sponsor. Je aktiver dieser agiert - vornehmlich durch eine engere Spreadstellung, als es die Deutsche Börse vorschreibt, und ohne Quote Machines -, desto besser. Designated Sponsors haben also ihrerseits einen nennenswerten Einfluss auf die Handelsvolumina an den regulierten Börsen und die Indexzugehörigkeit ihres Mandanten.

Austausch erwünscht

Interessant dabei: Als das erfolgreiche deutsche Modell "Fortlaufender Handel mit Designated Sponsor" am 12.10.1998 ins Leben gerufen wurde, um für Liquiditätssteigerungen und jederzeitige Handelbarkeit gerade bei Nebenwerten zu sorgen, durften die Designated Sponsors noch keinen Austausch mit den Emittenten pflegen, um Interessenkonflikte mit einhergehenden Handelsstrategien zu vermeiden. Nach und nach und durch weltweit schärfere Compliance-Richtlinien ist der Austausch zwischen beiden Kapitalmarktakteuren mittlerweile erlaubt und sogar erwünscht, damit der Emittent jederzeit über das Marktgeschehen zum eigenen Unternehmen und zur Peergroup, sprich zu seinen Vergleichsunternehmen, informiert ist.

Fazit: Ob die Dark Pools und der OTC-Handel den regulierten Börsen auch zukünftig den Rang ablaufen, bleibt zu beobachten und kann weitestgehend nur durch schärfere Regularien einschließlich höherer Transparenzverpflichtungen und mehr aktiven Handelsteilnehmern an den regulierten Börsenplätzen aufgehalten werden. Wie wichtig dies insbesondere für Dax-Mitglieder ist, zeigen die aktuellen Recherchen. Solange alle Dax-Mitglieder im Verhältnis gleich viele Anteile hier dazugewinnen und dort verlieren, wird es keine Überraschungen geben. Für die Indexberechnungen des Arbeitskreises Aktienindizes allerdings wäre es wünschenswert, wenn ebenfalls in gleichem Verhältnis die Anteile des regulierten Handels zukünftig ausgebaut und die des unregulierten reduziert werden könnten, um die Indexzusammensetzungen nachweislich besser begründen zu können. Letztlich sollte es aber im Sinne jedes Kapitalmarktakteurs sein, die Handelbarkeit der Aktien an den regulierten Börsen wieder zu verbessern - zum einen der Tradition des Parketthandels und der regulierten Börsenplätze wegen, vielmehr aber, um künftig keine Überraschungen bei den jeweiligen Verkettungsterminen zu erleben.


Von Silke Schlünsen, Head of Designated Sponsoring der Close Brothers Seydler Bank

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