Das ist die größte Gefahr für unser Wirtschaftssystem!

Harald Weygand · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Ich bin heute außer Haus. Aus diesem Grund anbei ein Kommentar meines Kollegen Clemens Schmale.

Wenn der freie Markt versagt müssen Maßnahmen ergriffen werden, um das Versagen zu korrigieren. Dafür wird es höchste Zeit.

In den vergangenen Jahren wurde viel über die Geldpolitik debattiert. Es wurde diskutiert, ob Notenbanken so viel Macht haben sollten und ob es nicht besser wäre, die Zinspolitik an feste Regeln zu binden. Feste Regeln haben einen klaren Vorteil. Notenbanken können nicht mehr nach eigenem Ermessen Billionen in den Markt pumpen. Nachteil ist das Versagen der Regeln.

Die wirtschaftliche Entwicklung im Zusammenhang mit der Geldpolitik der Notenbanken wird noch immer nicht besonders gut verstanden. Bis es soweit ist, werden noch viele Jahre vergehen, denn so viele Theorien es auch gibt, sie bleiben, was sie sind: Theorien. In der Ökonomie entstehen Theorien und Modelle oft auf Basis von beobachteten Daten. Die Modelle versuchen die beobachteten Daten zu erklären. Oftmals gelingt das jahrelang sehr gut, doch dann taucht eine Situation auf, in der das Modell auf einmal gar nicht mehr passt.

Der Zusammenhang von Beschäftigung und Inflation wird durch die Philips-Kurvebeschrieben. Im Prinzip zeigt sie einen einfachen Zusammenhang: je niedriger die Arbeitslosigkeit, desto höher die Inflation. Die US Notenbank kämpft gerade damit, an diesen Zusammenhang noch zu glauben. Das Modell beschreibt das, was derzeit geschieht, einfach nicht besonders gut.

In den USA wird nach wie vor diskutiert, ob die Zinspolitik der Notenbank nicht nach einer festen Regel gestaltet werden soll. Dazu soll die Taylor-Regel angewendet werden. Hier wird der Zins mechanisch aufgrund von Inflation und Output der Wirtschaft bestimmt (nähere Hintergründe in einem früheren Artikel von mir). Die Taylor Regel mag für viele Jahrzehnte den korrekten Zins vorgegeben haben, doch wenn sich das Umfeld verändert, dann kann die Regel grandios scheitern. Die wirtschaftlichen Zusammenhänge sind so komplex, dass sie noch viel zu wenig verstanden werden. Wirklich langfristig zuverlässige Regeln zu finden ist sehr schwierig.

In einem Bereich wäre es recht einfach, doch dieser Bereich wird ignoriert. Es ist dabei ein Bereich, der die Wirtschaft eines Landes komplett auf Grund laufen lassen kann. Man sollte dem Bereich also viel mehr Aufmerksamkeit schenken als es derzeit getan wird. Dabei handelt es sich um die Reallohnentwicklung.

Die Reallohnentwicklung ist seit Jahren eine Enttäuschung. Das gilt nicht nur für Länder wie die USA. Es gilt in gleichem Ausmaß für Deutschland und viele andere Länder gleichermaßen. Grafik 1 zeigt die Reallohnentwicklung in den USA. Der dargestellte Index ist mit leichter Abwandlung ein vom BLS (Bureau of Labor Statistics) zur Verfügung gestellter Index. Dieser zeigt eine leicht steigende Tendenz der Reallöhne.

Andere Indizes deuten eine andere Entwicklung an. Sie zeigen nach unten und gehen von sinkenden Reallöhnen aus. Ob die Reallöhne in den vergangenen Jahren leicht gesunken oder leicht gestiegen sind ist sekundär. Viel wichtiger ist die Lücke, die zwischen der Reallohnentwicklung und der Produktivität klafft.

Die Lücke findet sich nicht nur in den USA. In Deutschland ist sie gleichermaßen erkennbar. Während die Produktivität tendenziell steigt, bleiben die Reallöhne stabil. Seit 2010 steigen sie, doch sind damit noch immer nicht höher als 1992. Das ist ein wirtschaftliches Problem.

Je produktiver ein Arbeiter ist, desto mehr Output erzeugt er. Wenn nun aber mehr erzeugt wird, die Menschen jedoch nicht mehr verdienen, wer soll dann den zusätzlichen Output kaufen?

Auf diese Frage hat noch kein Land dieser Welt eine Antwort gefunden, dabei ist die Frage überlebenswichtig. Reallöhne steigen nicht. Gleichzeitig wird mehr produziert. Die Rechnung kann auf Dauer nicht aufgehen. Sie geht momentan nur auf, weil sich Haushalte und Regierungen verschulden. Sie geben Geld für Produkte aus, welches sie nicht über Arbeit verdienen.

Die Möglichkeit, mangelnde Lohnsteigerungen durch Kredite auszugleichen, hat Grenzen. Eine solche Grenze wurde 2008 in den USA erreicht. Die Folgen waren katastrophal. Haushalte haben sich inzwischen entschuldet. In dieser Zeit kompensierte die Regierung die fehlenden Konsumausgaben durch hohe Staatsdefizite. Jetzt sinken die Defizite, dafür geben die Konsumenten wieder mehr aus, indem sie ihre Kredite ausweiten. Es ist nur eine Frage der Zeit bis das wieder schief geht.

Das Kernproblem ist letztlich, dass Unternehmen die Produktivitätssteigerungen nicht mehr in Form von Lohnerhöhungen an die Mitarbeiter weitergeben. Bis in die 70er Jahre war das üblich. Seitdem die Löhne nicht mehr im gleichen Ausmaß steigen wie die Produktivität, weist die US Wirtschaft eine Abwärtstendenz bei Wirtschafts- und Produktivitätswachstum aus. Ersteres ist ein klarer Zusammenhang, letzteres nur eine Vermutung. Wen Mitarbeiter vom Erfolg eines Unternehmens nicht mehr profitieren, dann ist der Anreiz für Leistungssteigerungen wahrscheinlich gering.

Wie dem auch sei, viele Wirtschaften werden brutal gegen die Wand fahren, wenn die Löhne weiterhin stagnieren und die Produktivität wächst. Unternehmen erwirtschaften durch die „Lohndisziplin“ höhere Margen als früher. Dieses Geld, der Gewinn, wird an den Faktor Kapital (und nicht Arbeit) ausgeschüttet. Der Faktor Kapital verdient heutzutage deutlich besser als Arbeit, obwohl er nicht notwendigerweise mehr zur Produktivität beiträgt.

Die Überkompensation des Faktors Kapital begünstigt die Konzentration von Vermögen und Einkommen. Ist die Konzentration zu hoch, dann wird das System instabil. Es wird nicht morgen und auch nicht übermorgen zu einem Systemkollaps kommen. Geht die Entwicklung hingegen so weiter wie bisher, dann wird er sich nicht vermeiden lassen. Es wird allerhöchste Zeit, dass die Reallohnentwicklung einer Regel unterworfen wird (gekoppelt an Produktivitätssteigerungen), denn das derzeitige Marktversagen gefährdet das ganze Wirtschaftssystem.

Autor: Clemens Schmale -

(© BörseGo AG 2015 - Autor: Harald Weygand, Head of Trading bei GodmodeTrader)

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