Die Revolte der Beifahrer
Die Idee ist so einfach wie erfolgreich: Wer eine längere Strecke fährt, nimmt einfach noch jemandem mit. So teilt man sich die Kosten und die Fahrt ist nicht so langweilig, weil man sich unterhalten kann. Der erfolgreichste Vermittler in Deutschland ist dafür die Seite Mitfahrgelegenheit.de.
Doch kurz vor Ostern schockte der Marktführer seine Mitglieder. Wer über die Seite Mitfahrgelegenheit.de nach Mitfahrern suchte, sollte bei Strecken von mehr als 100 Kilometern ab sofort Gebühren bezahlen. 11 Prozent der Einnahmen sollen künftig an den Vermittler gehen. Zu viel, meinen einige Nutzer, seitdem tobt der Shitstorm. Bereits 5.200 Mitglieder sind der Facebook-Gruppe „Mitfahrgelegenheit.de Boykott“ beigetreten. Hunderte drohen damit ihr Konto zu löschen und zur Konkurrenz abzuwandern.
Doch bisher halten sich die Auswirkungen für die Betreibergesellschaft Carpooling laut eigenen Aussagen in Grenzen. „Wir können keinen signifikanten Rückgang der Nutzerzahlen feststellen“, sagt Thomas Rosenthal, Sprecher von Mitfahrgelegenheit.de. Die neuen Gebühren seien nötig, um den Service auszubauen und das Wachstum des Unternehmens auch international voranzutreiben. Mit 4,5 Millionen Mitgliedern, davon 1,5 Millionen in Deutschland, ist Mitfahrgelegenheit mit großem Abstand das größte Mitfahrportal Europas. Als 2010 der große Konkurrent Mitfahrzentrale.de übernommen wurde, beherrschte Carpooling 95 Prozent des Marktes. Mittlerweile holt die Konkurrenz wieder auf.
Seit der Marktführer Gebühren nimmt, wachsen die Anmeldezahlen bei der Konkurrenz rasant. Fahrgemeinschaft.de besuchen täglich mittlerweile 30.000 Besucher, rund 1.000 melden sich jeden Tag neu an. Der Ansturm zwang zuletzt sogar die Server in die Knie. „Das neue Tarifsystem bei Mitfahrgelegenheit.de war ein Fehler“, sagt Sven Domroes, wenn er zu den neuen Gebühren beim großen Konkurrenten gefragt wird. Er hatte nach eigenen Angaben 1998 die Idee zum Unternehmen und war bis 2012 Inhaber der Domain. Im Jahr 2001 übernahmen die damaligen Studenten Michael Reinicke, Matthias Siedler und Stefan Weber die Seite. „Es gab seitdem nie einen Einfluss von Sven Domroes bei Mitfahrgelegheit.de. Er war nie Teil des Unternehmens oder der Geschäftsführung“, betont dagegen Carpooling-Sprecher Rosenthal. Reinicke, Siedler und Weber hätten Mitfahrgelegenheit selbst aufgebaut und unter dem Namen carpooling.com international aufgestellt.
Als es im Jahr 2008 um den Einstieg eines Investors ging, waren sich Domaininhaber und Unternehmensführung im Jahr 2008 nicht einig. Am Ende sicherte sich die Investmentgesellschaft Earlybird 37 Prozent der Anteile und veränderte auch die Atmosphäre in der Führung. „Danach war das ganze Unternehmen vor allem auf Wachstum ausgelegt“, sagt Domroes. Er verkaufte die Markenrechte 2012 und ist seitdem mit Anteilen am Unternehmen beteiligt. Das Geld aus dem Verkauf steckt er auch in den Aufbau des Konkurrenzangebots. „Natürlich lässt sich eine Mitfahrzentrale auch ohne Gebühren profitabel betreiben“, sagt Domroes. Nur reich werde man dann nicht.
„Es gab keinen Druck“
Bei Mitfahrgelegenheit.de ist seit August 2012 auch der Autokonzern Daimler mit an Bord. Dort arbeitet auch Domroes. Zehn Millionen US-Dollar (rund acht Millionen Euro) soll Daimler für die Anteile an Carpooling bezahlt haben. War es der Druck der neuen Investoren, der die Gründer dazu getrieben hat, Gebühren einzuführen? „Es gab keinen Druck“, sagt Carpooling-Sprecher Rosenthal.
Doch der Konkurrenzdruck auf den Marktführer wächst nun nach einer vorübergehend entspannten Phase wieder. „Als wir vor zwei Jahren gestartet sind, gab es noch viele Anbieter von Mitfahrplattformen am deutschen Markt“, sagt Benjamin Kirschner. Sein Unternehmen Flinc 2011 vermittelt Mitfahrer, indem es Kartendaten von eingestellten Routen auswertet und so maßgeschneiderte Angebote erstellt. Die meisten Konkurrenten seien weggefallen über die letzten Monate und Jahre. „Nun entsteht wieder ein Boom“, sagt er. Mit 400.000 vermittelten Fahrten spielt das Unternehmen noch in einer deutlich niedrigeren Liga – und auch der Kundenkreis ist ein anderer. Vor allem mit Lösungen für Unternehmen will das kleine Start-Up wachsen. Bisher gehören 14 Unternehmen zum Kundenkreis. „Technologisch ist unser System schon weltweit einsetzbar“, sagt Gründer Benjamin Kirschner.
Auch die ausländische Konkurrenz hat die Gebührenerhöhung bei Mitfahrgelgenheit.de registriert - und drängt nun auf den deutschen Markt. Blablacar ist bereits Marktführer in Frankreich und in neun weiteren europäischen Ländern aktiv. Mit drei Millionen Kunden zählt das Unternehmen zu den Schwergewichten der Branche - und will weiterhin gebührenfrei für die Nutzer bleiben.