Kanzleramtschef will Schuldenbremse jahrelang aussetzen - Union dagegen

Reuters · Uhr (aktualisiert: Uhr)

- von Andreas Rinke und Holger Hansen

Berlin (Reuters) - Kanzleramtschef Helge Braun hat mit seinem Vorschlag für eine jahrelange Aussetzung der Schuldenbremse für Aufruhr in der Union gesorgt.

Etliche führende Politiker von CDU und CSU lehnten am Dienstag Brauns Forderung ab, das Grundgesetz entsprechend zu ändern. Auch Wirtschaftsexperten äußerten sich kritisch. Den Grünen geht der Vorstoß von Braun allerdings nicht weit genug.

"Wir sehen ein dauerhaftes Aussetzen der Schuldenbremse sehr skeptisch", sagte etwa CSU-Chef Markus Söder der "Welt". Die Äußerung von Braun entspreche nicht der Grundlinie der Union, kritisierte der CSU-Finanzpolitiker Hans Michelbach gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. "Die Unionsfraktion im Bundestag hält an der Schuldenbremse im Grundgesetz fest", betonte der haushaltspolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Eckhardt Rehberg.

Auslöser der Debatte war ein Gastbeitrag von Braun im "Handelsblatt". Die Schuldenbremse sei in den kommenden Jahren auch bei strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten, schrieb er. "Deshalb ist es sinnvoll, eine Erholungsstrategie für die Wirtschaft in Deutschland mit einer Grundgesetzänderung zu verbinden, die begrenzt für die kommenden Jahre einen verlässlichen degressiven Korridor für die Neuverschuldung vorsieht und ein klares Datum für die Rückkehr zur Einhaltung der Schuldenregel vorschreibt."

Zur Bekämpfung der Corona-Pandemie hatte der Bundestag die Schuldenbremse im vorigen Jahr sowohl für 2020 als auch für 2021 ausgesetzt, um dem Bund Schulden in Rekordhöhe zu ermöglichen. So lag die Nettoneuverschuldung 2020 bei rund 130 Milliarden Euro - so viel wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Für 2021 sind neue Schulden von bis zu 180 Milliarden Euro erlaubt. Das wären nach Berechnungen von Rehberg rund 164 Milliarden Euro mehr als laut Schuldenbremse zulässig. Die neuen Schulden müssen laut Tilgunsplänen bis 2033 zurückgezahlt werden. Die Raten dafür schränken somit künftige Haushalte ein. Zudem steigt in diesem Jahr der Schuldenstand voraussichtlich auf über 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Bisher hat die Union Forderungen etwa aus SPD und von den Grünen stets zurückgewiesen, an der Schuldenbremse rütteln zu wollen, mit der die Neuverschuldung des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt wird. CDU- und CSU-Politiker forderten eine Rückkehr zur Schuldenbremse oder sogar einem ausgeglichenen Haushalt schon 2022.

Braun argumentiert nun, dass jährliche Entscheidungen über die Schuldenbremse für die Haushaltsdisziplin gefährlich sei. Das öffne das Tor zur dauerhaften Aufweichung der Schuldenregel. Es bleibe völlig unklar, wie lange die Pandemie ein begründender Umstand für die Aussetzung sein könne. Damit fehle ein Mechanismus, "der verlässlich die Rückkehr zur Schuldenregel und mittelfristig auch zur 'Schwarzen Null'-Neuverschuldung des Bundes ebnet", schrieb er in seinem Gastbeitrag. Er wolle die Schuldenbremse nicht grundsätzlich infrage stellen. "Gerade in dieser Krise hat sie sich bewährt, weil sie die Grundlage dafür gelegt hat, dass Deutschland in der Pandemie finanziell handlungsfähig war."

CHEF DER WIRTSCHAFTSWEISEN - GIBT BESSERE ALTERNATIVEN

"Solide Staatsfinanzen sind für die Unionsfraktion nicht verhandelbar", sagte der haushaltspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Rehberg. Er wie auch ein Regierungssprecher bezeichneten den Vorschlag von Braun als seine persönliche Meinung. Den Grünen geht dieser nicht weit genug. Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Sven-Christian Kindler, forderte eine "echte Reform" der Schuldenbremse. "Es ist richtig, die wirtschaftliche Erholung ab 2022 nicht durch eine Rückkehr zur restriktiven Schuldenbremse zu gefährden, sagte er. Man dürfe aber nicht nur an den Symptomen für die nächsten Jahre herumdoktern. Grünen-Fraktionsvize Anja Hajduk plädierte für eine Investitionsstrategie, die nicht durch ein zu frühes und zu enges Schuldenregime infrage stehen dürfe. Sie sei sehr froh, dass es in der CDU führende Köpfe gebe, die offen seien für andere Lösungen.

Kritik an dem Vorstoß von Braun kommt auch von Wirtschaftsexperten. "Es gibt bessere Alternativen", sagte der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, Reuters. Eine Grundgesetzänderung lasse sich nur mit den erforderlichen Mehrheiten erreichen, wenn Zugeständnisse an andere Parteien gemacht würden. "Das führt zu einer Durchlöcherung der Schuldenbremse", warnte Feld, der den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung leitet. Da die Wirtschaftsentwicklung der kommenden Jahr noch nicht absehbar sei, sei ein Aussetzen der Schuldenbremse für längere Zeit nicht sinnvoll, sagte Ifo-Chef Clemens Fuest. "Wenn die Wirtschaft sich schneller erholt als geplant, führt das nur dazu, dass das Geld leichtsinnig ausgegeben wird." Bei neuen konjunkturellen Rückschlägen könne auch die Abbauregel nicht eingehalten werden. Die Schuldenbremse erlaube es, jährlich darüber zu entscheiden, ob sie angesichts der besonderen Lage ausgesetzt werden sollte. Das führe zu kritischer öffentlicher Debatte, lasse der Politik in schwieriger Lage aber genug Handlungsspielräume.

Meistgelesene Artikel