Sell in May and go away?

Stefan Riße · Uhr

“Sell in May and go way, but always remember come back in September.” Diese Börsenweisheit ist wohl die bekannteste, die sich auf die Saisonalität bezieht. Und in der Tat, historisch betrachtet, ist sie gar nicht falsch. Gerade in diesem Jahr läuft der Aktienmarkt wieder entsprechend dem Saison-Rhythmus. Der April als einer der statistisch besten Monate des Jahres war in der Tat ein Monat mit großen Kursgewinnen, während genau Anfang Mai die erste Korrektur einsetzte. Sollte man daher jetzt an Gewinnmitnahmen denken?

Statistische Relevanz fehlt in allen Saisonmustern

Die genannte Börsenweisheit ist schon ziemlich alt. Ich beschäftige mich seit mehr als 35 Jahren täglich mit den Finanzmärkten und so lange gibt es sie mit Sicherheit schon. Ich kann mich auch gut erinnern, dass irgendwann vor gut zehn Jahren, als gerade die damals jüngst zurückliegenden Jahre genau zwischen Mai und September schwächere Kurse gezeigt haben, es dann auch Produkte wie Zertifikate gab, die auf diesen Rhythmus setzten. Sie waren zwischen September und April investiert, während sie in der anderen Phase keine Aktien hatten. Kaum waren die Produkte am Markt, folgten Jahre, in denen genau dieses Verhalten schlechte Renditen einfuhr, weil die Aktien zwischen Mai und August sehr gut performten. Das war auch nicht verwunderlich, denn es gibt zwei Probleme, auf solche Saisonrhythmen zu setzen. Erstens fehlt die statistische Relevanz, weil uns gerade mal so gute 100 Jahre zur Verfügung stehen. Das ist nicht ausreichend für den Statistiker. Und zweitens verändern die Marktteilnehmer Saisonrhythmen eben durch ihr Verhalten. Ist der Rhythmus so offensichtlich, dass alle darauf setzen, funktioniert er natürlich nicht mehr. Oft gab es auch schon im April schwache Kurse, weil alle einen schwachen Mai vorwegnahmen. Der hingegen war dann plötzlich ein guter Börsenmonat. Ich würde diesen Rat daher nicht befolgen.

Liquidität schlägt Psychologie und Saisonalität

Eine Korrektur stand so oder so an, denn viele Kurse waren in den vergangenen Monaten weit gelaufen, insbesondere die von Technologiewerten, die noch nicht einmal Gewinne machen. Ausgelöst wurde die Korrektur wohl durch Hedgefonds, die auf der Verkäuferseite standen. Hier scheint die Pleite von Archegos Capital nachzuwirken, mit Banken, die vorsichtiger geworden sind bei der Finanzierung von hochgehebelten Aktienpositionen. Auch Zinsangst kam wieder in den Markt, nachdem US-Finanzministerin Janet Yellen von der möglichen Notwendigkeit sprach. Aber bei den Zinsen gibt es zwei Einflussfaktoren auf die Kurse. Der eine ist der psychologische Effekt, der durch solche Aussagen ausgelöst wird, der andere ist der wirklich harte Effekt des Liquiditätsentzuges. Dieser wirkt aber immer erst mit Zeitverzögerung und oft erst nach mehreren Zinserhöhungen. In den letzten Zinserhöhungszyklen war es genauso. Insofern dominiert momentan noch die ausgesprochen lockere Geldpolitik der Notenbanken die Börsentendenz, so dass ich Rückschläge als Kaufgelegenheiten einstufen würde. Ideal dürfte die Situation sein, wenn am Markt wieder mehr Angst umgeht.

Zu beobachten ist, dass auch in der jüngsten Korrektur die Spreizung zwischen zyklischen Aktien, die eher der alten Welt zuzurechnen sind, und den lang geliebten Wachstumswerten weitergeht. Während der DAX die Verluste bereits wieder aufgeholt hat, tut sich die Technologie Börse Nasdaq bedeutend schwerer. Mit der Perspektive der Öffnungen und dem zu erwartenden wieder Hochfahren der Konjunktur könnte diese Tendenz anhalten. Denn noch ist der Bewertungsabschlag der Zykliker und Value-Aktien alter Machart gegenüber Wachstumswerten deutlich höher als er es historisch im Durchschnitt war.

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