Urteil im VW-Abgasskandal - Bewährungsstrafe für Ex-Audi-Chef

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- von Jörn Poltz

München (Reuters) - Acht Jahre nach dem Auffliegen von Abgasmanipulationen an Millionen Autos ist erstmals ein früherer Volkswagen-Vorstand wegen Betrugs verurteilt worden.

Ex-Audi-Chef Rupert Stadler erhielt am Dienstag vom Landgericht München eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Außerdem muss der 60-Jährige 1,1 Millionen Euro teils an die Staatskasse und teils an mehrere gemeinnützige Organisationen zahlen. Stadler, der im Gegenzug für sein Geständnis wesentliche Teile seines Urteils von seinen Anwälten mit dem Richter hatte aushandeln lassen, nahm die Verlesung ohne erkennbare Regung zur Kenntnis.

Für die beiden Mitangeklagten verhängte das Gericht ebenfalls Bewährungsstrafen und Geldauflagen in der in Aussicht gestellten Größenordnung. Beim ehemaligen Audi-Motorenchef und späteren Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz sind es zwei Jahre sowie 400.000 Euro, beim Ingenieur Giovanni P. ein Jahr und neun Monate sowie 50.000 Euro. Auch für die Verfahrenskosten in Millionenhöhe müssen die drei Männer aufkommen. Über die Aufteilung wird nach Angaben eines Gerichtssprechers erst später entschieden.

MAMMUT-PROZESS GEGEN EX-KONZERNVORSTAND

Damit geht eines der prominentesten Verfahren im 2015 aufgeflogenen Diesel-Skandal zu Ende. Bei der von US-Behörden aufgedeckten Manipulation der Abgasreinigung, die nur auf dem Prüfstand, aber nicht auf der Straße funktionierte, spielte die VW-Tochter Audi eine entscheidende Rolle. In Braunschweig läuft ein weiterer Strafprozess gegen frühere Konzernmanager. Ein Verfahren gegen Ex-Volkswagen-Chef Martin Winterkorn liegt wegen dessen Erkrankung auf Eis. Außerdem dauern strafrechtliche Ermittlungen und etliche Zivilprozesse infolge des Skandals an.

Stadler stand mehr als zehn Jahre lang an der Spitze des Premiumherstellers und stieg in dieser Funktion auch in die oberste Chefetage in Wolfsburg auf. Unter dem Verdacht, die Manipulationen nicht rechtzeitig gestoppt zu haben, wurde er 2018 verhaftet und musste seine Managerposten abgeben. Stadler saß vier Monate in Untersuchungshaft und stand seit September 2020 vor Gericht. Zwei Jahre und neun Monate lang beschäftigte sich die Strafkammer mit 190 Zeugen, vier Sachverständigen und mehr als 1400 Urkunden, wie der Vorsitzende Richter Stefan Weickert bilanzierte. Eingehend befassten sich die Juristen mit technischen und chemischen Prozessen der so genannten Abgasreinigung in verschiedenen Motorenvarianten.

Im März schließlich bot Weickert den Angeklagten einen Deal an: Bei Geständnissen werde es Bewährungsstrafen mit Geldauflagen geben, dann müsse niemand ins Gefängnis. Die drei Männer räumten die Tatvorwürfe daraufhin vollumfänglich ein. Hatz und der Ingenieur gestanden, Motoren manipuliert zu haben. Stadler hingegen wird keine aktive Manipulation vorgeworfen. Nach Überzeugung des Gerichts versäumte er es jedoch nach dem Auffliegen des Skandals in den USA, den Verkauf der manipulierten Autos in Deutschland zu stoppen. Stadler hat dies seinerseits gestanden.

"Erheblich zugunsten der Angeklagten ist jeweils ihr Geständnis zu berücksichtigen", sagte der Richter. Das gelte nicht nur für den Ingenieur, der bereits frühzeitig gestanden und seine Angaben später nur noch ergänzt habe. "Beim Angeklagten Stadler ist sein Geständnis ebenfalls erheblich zu seinen Gunsten zu berücksichtigen." Denn Stadler habe als erster Verantwortlicher aus der obersten Führungsebene des Konzerns Verantwortung übernommen. Anders als vielfach kritisiert, gehe das Gericht nicht von einem rein taktischen Geständnis Stadlers aus. Es sei auch von Schuldeinsicht und Reue getragen. Zudem habe Stadler einen relativ geringen Anteil an dem Betrug gehabt und mit der Untersuchungshaft bereits spürbare Konsequenzen erduldet.

STAATSANWALTSCHAFT ERWÄGT REVISION GEGEN HATZ-URTEIL

Stadler habe sich des Betrugs in 17.177 Fällen schuldig gemacht, sagte Richter Weickert. Er sei damit für einen Schaden von 41 Millionen Euro verantwortlich. Hatz und den Ingenieur verurteilte das Gericht wegen Betrugs in 94.924 Fällen. Hier summiere sich der Schaden auf ein Vielfaches der Stadler zur Last gelegten Summe, nämlich 2,3 Milliarden Euro. Denn Stadlers Schuld bezieht sich dem Gericht zufolge lediglich auf in Deutschland ausgelieferte Autos, wo die Manipulationen durch Softwareupdates ausgebügelt werden konnten. Hatz und der Ingenieur jedoch seien auch für Manipulationen in den USA verantwortlich, wo die betroffenen Autos nach dortiger Rechtslage nur noch Schrottwert gehabt hätten. Strafrechtlich relevant seien nur die Schäden.

Bei Stadler und dem Ingenieur hatte die Staatsanwaltschaft die Deals gebilligt. Beim ehemaligen Audi-Motorenchef und späteren Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz jedoch sperrte sie sich gegen den Vorschlag des Gerichts und forderte eine Gefängnisstrafe von drei Jahren und zwei Monaten.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft wie auch alle Angeklagten können bis zum kommenden Dienstag Revision einlegen. Die Staatsanwaltschaft sei zufrieden mit den Urteilen gegen Stadler und den Ingenieur und werde eine mögliche Revision gegen das Urteil bei Hatz prüfen, sagte eine Sprecherin. Stadlers Verteidiger Thilo Pfordte sagte ebenfalls, er werde prüfen, "ob die rechtliche Würdigung des Sachverhalts geteilt wird". Der Verteidiger von Hatz, Gerson Trüg, wollte sich zur Frage einer Revision nicht äußern. Rechtsanwalt Walter Lechner erklärte, der von ihm verteidigte Ingenieur könne mit dem Urteil leben.

(Bericht von Jörn Poltz; redigiert von Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)