Israel setzt Vergeltungsangriffe auf Gazastreifen fort

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- von Dan Williams und Nidal al-Mughrabi und Nandita Bose

Jerusalem/Gaza/Washington (Reuters) - Nach dem Angriff der radikal-islamischen Hamas auf Israel hat das Land seine Vergeltungsschläge auf den Gazastreifen vor einer möglichen Bodenoffensive fortgesetzt.

Israel bombardierte nach eigenen Angaben vom Mittwoch mit Dutzenden Kampfflugzeugen in der Nacht mehr als 200 Ziele in einem Viertel von Gaza-Stadt, das die Hamas für ihre Angriffswelle am Samstag genutzt habe. Nach Angaben beider Seiten starben zahlreiche Palästinenser, während Israel weitere Opfer des Hamas-Angriffs barg. Auch an Israels Nordgrenzen und im Westjordanland kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. US-Präsident Joe Biden sprach eine Warnung an mögliche Unterstützer der Hamas aus. International wuchs die Sorge um die Geiseln der Hamas. Weitere Länder kündigten an, ihre Staatsangehörigen aus Israel auszufliegen.

Das israelische Militär tötete nach eigenen Angaben seit Samstag mindestens 1000 Palästinenser, die aus dem Gaza-Streifen in sein Staatsgebiet eingedrungen waren. Das Gesundheitsministerium des Gaza-Streifens erklärte, bei den Luftangriffen auf das dicht bewohnte Gebiet seien seit dem Wochenende 1055 Menschen getötet und 5184 verletzt worden. Israel zählte nach eigenen Angaben seit Samstag auf seiner Seite 1200 Tote und mehr als 2700 Verletzte. Bei den Opfern handelt es sich zum größten Teil um Zivilisten, die in ihren Häusern, auf Straßen und auf einem Tanzfestival von Hamas-Kämpfern umgebracht worden waren. Die Bergung der Toten dauerte am Mittwoch an. Darunter waren auch Ausländer. So gelten der BBC zufolge 17 Briten als tot oder vermisst.

Bei den israelischen Luftangriffen in der Nacht zum Mittwoch wurden Hamas-nahen Medien zufolge Häuser in Gaza-Stadt, in der südlichen Stadt Khan Younis und Unterkünfte im Flüchtlingslager Bureidsch im Zentrum des Gazastreifens getroffen. Eines der zerstörten Häuser habe dem Vater von Mohammed Deif gehört, dem Anführer des bewaffneten Flügels der Hamas. Deifs Bruder und weitere Familienmitglieder seien getötet worden. Zwei Mitglieder des politischen Büros der radikal-islamischen Palästinenser-Gruppe, Dschawad Abu Schammala und Zakaria Abu Maamar, seien bei einem Luftangriff in Khan Younis ums Leben gekommen, sagte ein Hamas-Vertreter. Es sind die ersten hochrangigen Hamas-Mitglieder, die seit Beginn der israelischen Luftangriffe auf die Enklave getötet wurden. Israel erklärte, Abu Schammala habe Operationen gegen israelische Zivilisten geleitet.

UN: 180.000 OBDACHLOSE IM GAZASTREIFEN

Bewohner des Gazastreifens berichteten von zahlreichen eingestürzten Gebäuden und baten in sozialen Medien um Hilfe. Im Gazastreifen wurden nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) mehr als 180.000 Menschen obdachlos. Ein städtisches Gebäude, das als Notunterkunft diente, wurde getroffen. "Kein Ort im Gazastreifen ist sicher, wie man sieht, wird überall bombardiert", sagte Ala Abu Tair, 35, der mit seiner Familie in Abassan Al-Kabira nahe der Grenze Zuflucht gesucht hatte. Seit Samstag haben die israelischen Angriffe nach Angaben des palästinensischen Außenministeriums mehr als 22.600 Wohnungen und zehn Gesundheitseinrichtungen zerstört, 48 Schulen wurden beschädigt.

Biden hatte in einer Fernsehansprache am Dienstagabend den Angriff der Hamas auf Israel verurteilt. Das Land habe einen Moment des "reinen unverfälschten Bösen" erlebt. Biden sagte weitere Unterstützung zu. Er richtete eine Warnung an jede Organisation oder Land, das möglicherweise die Lage ausnutzen wolle: "Don't." (etwa: "Tut es nicht.") Dies wurde auch als Warnung an den Iran verstanden, der traditionell aufseiten der Hamas steht. Die USA haben einen Flugzeugträger in Richtung Israel entsandt. Zudem sprach die US-Regierung nach eigenen Angaben mit israelischen Vertretern über die Möglichkeit, einen sicheren Korridor für Zivilisten im Gazastreifen einzurichten.

Israels Verteidigungsminister Joav Gallant hatte am Dienstagabend eine Ausweitung der Angriffe angekündigt. "Wir haben die Offensive aus der Luft begonnen, später werden wir auch auf dem Boden vorgehen", sagte Gallant. Die Offensive werde verstärkt. "Hamas wollte eine Veränderung und sie wird eine bekommen", sagte Gallant. "Was in Gaza war, wird nicht mehr sein."

BESCHUSS AUS LIBANON UND SYRIEN

Im Norden Israels wurde nach Angaben des Militärs eine seiner Stellungen vom Süden des Libanons aus angegriffen. Die radikale Hisbollah-Miliz im Libanon reklamierte den Raketenangriff für sich. Aus libanesischen Sicherheitskreisen verlautet, die Hisbollah habe zwei Präzisionsraketen auf Israel abgefeuert. Das israelische Militär reagierte nach eigenen Angaben mit Gegenangriffen auf Ziele im Libanon. Auch von syrischem Gebiet aus wurde Israel nach Militärangaben mit Raketen beschossen. Welche Gruppe dafür verantwortlich war, blieb zunächst offen. Im Westjordanland und in Ost-Jerusalem erschoss die israelische Polizei zwei Palästinenser, nachdem diese Sicherheitsbeamte mit Feuerwerkskörpern angegriffen hätten.

Nach Evakuierungsflügen der vergangenen Tage kündigten weitere Länder an, Staatsangehörige aus Israel auszufliegen. Die Lufthansa soll Insidern zufolge mit mehreren Sonderflügen am Donnerstag und Freitag Deutsche aus Israel holen. Die Bundeswehr ist laut Verteidigungsminister Boris Pistorius darauf vorbereitet, sich an der Evakuierung von Menschen aus Israel zu beteiligen. "Wir stehen jederzeit bereit zu tun, was zu tun ist", sagt Pistorius. Die Organisation der Evakuierungen liege aber in den Händen des Auswärtigen Amtes.

(Bericht von Dan Williams, Emily Rose, Henriette Chacar und Ari Rabinovitch in Jerusalem, Nidal al-Mughrabi in Gaza, Maayan Lubell in Kfar Aza, Steve Holland, Nandita Bose, Rami Ayyub und Daphne Psaledakis in Washington; geschrieben von Jörn Poltz, redigiert von Hans Seidenstücker. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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