Südafrika steuert auf neue Ära zu - ANC-Alleinherrschaft vor dem Aus

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Pretoria (Reuters) - Südafrika steuert bei der Parlamentswahl Ende Mai auf eine Zeitenwende zu.

Erstmals seit 30 Jahren droht der Afrikanische Nationalkongress (ANC) seine Mehrheit im Parlament zu verlieren. Der Nimbus der Partei des legendären Freiheitshelden Nelson Mandela ist seit dem Sieg über das rassistische Apartheid-Regime der weißen Minderheit durch Misswirtschaft und Korruption verblasst. Nach Umfragen wird der ANC mit Präsident Cyril Ramaphosa zwar wieder stärkste Partei, muss sich aber voraussichtlich einen Koalitionspartner suchen.

Die neue Regierung steht vor immensen Herausforderungen. Das Land leidet unter einer der höchsten Arbeitslosenquoten in der Welt. Vergangenes Jahr lag sie bei rund 32 Prozent, rund zehn Prozentpunkte höher als 1994, dem Jahr der Regierungsübernahme durch den ANC. Ein Großteil der Jugend hat keine Perspektive, bei ihnen liegt die Arbeitslosenquote bei 40 Prozent. Eine der Ursachen ist ein seit Jahrzehnten allenfalls schleppendes Wirtschaftswachstum. Seit 2012 legte die Konjunktur im Schnitt nur um 0,8 Prozent pro Jahr zu.

Gleichzeitig muss der Staat eine gewaltige Schuldenlast tragen. Pro Jahr muss die Regierung für die Abzahlung der Kredite mehr Geld ausgeben als etwa für Bildung, Sozialleistungen oder Gesundheitswesen. Die Staatsverschuldung liegt bei 74 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Vor fünf Jahren waren es noch 63 Prozent. Eine Ursache dafür ist die weit verbreitete Korruption. Bestechungsskandale, in die führende ANC-Politiker verwickelt waren, haben bei vielen Südafrikanern den Eindruck hinterlassen, Amtsträger würden sich die eigenen Taschen füllen. Auch der einstige Präsident Jacob Zuma (2009 - 2018) musste wegen Korruptionsvorwürfen seinen Platz räumen. Im Zusammenhang mit den Anschuldigungen verbot ihm das Oberste Gericht zuletzt, sich um einen Parlamentssitz zu bewerben.

KRIMINALITÄT

Zudem wird Südafrika durch eine der höchsten Kriminalitätsraten weltweit erschüttert. Dies gilt vor allem in den Townships, Stadtteile die unter der Apartheid für Schwarze, Farbige oder Inder vorgesehen waren. Ein wachsendes Problem ist auch die Migration, die zu einer erstarkenden Fremdenfeindlichkeit geführt hat. Schließlich muss auch die mangelhafte Stromversorgung behoben werden. Der staatliche Versorger Eskom stellt immer wieder die Stromversorgung zeitweise ein, weil die veralteten Kohlekraftwerke die Nachfrage nicht befriedigen können.

Vor diesem Hintergrund bewerben sich die Kandidaten von 70 Parteien um die 400 Parlamentssitze. Knapp 28 Millionen registrierte Wähler können über die Zusammensetzung der Kammer für die nächsten fünf Jahre entscheiden. Derzeit ist die Demokratische Allianz (DA) zweitstärkste Kraft im Parlament. Sie hat sich im laufenden Wahlkampf mit mehreren kleinen Parteien verbündet und wirbt für eine wirtschaftsfreundliche Politik. Dem ANC wirft die DA vor, über das Ziel der Gleichstellung von Schwarzen die Armutsbekämpfung zu vernachlässigen. Trotzdem schließt sie ein Bündnis mit dem ANC nicht aus.

Starken Zulauf konnten die 2013 gegründeten Kämpfer für wirtschaftliche Freiheit (EFF) verzeichnen, die bei der Wahl 2019 drittstärkste Kraft wurden. Die EFF spricht vor allem junge, arme und schwarze Wähler an und ordnet sich selbst als marxistisch ein. Neu im Rennen ist die linke Partei Umkhonto we Sizwe (MK). Die erst 2023 registrierte MK wird von Zuma unterstützt, der in seiner Heimatprovinz KwaZulu-Natal über eine große Anhängerschaft verfügt.

Ramaphosa kann nicht automatisch davon ausgehen, sein Präsidentenamt zu behalten, auch wenn der ANC Teil einer künftigen Regierung wird. Er könnte aus Sicht von Beobachtern von parteiinternen Bewerbern herausgefordert werden, falls die Verluste des ANC hoch ausfallen. Das künftige Staatsoberhaupt der 62 Millionen Südafrikaner wird vom neuen Parlament gewählt. Wohl auch um seine Chancen zu verbessern, unterzeichnete Ramaphosa jüngst ein Gesetz, das eine Stärkung des desolaten öffentlichen Gesundheitswesens vorsieht, auf das über vier Fünftel der Bevölkerung angewiesen sind. Die Pläne gehen zu Lasten der privat Versicherten, die umgehend angekündigt haben, das Gesetz anzufechten.

(Bericht von Nqobile Dludla und Nellie Peyton, geschrieben von Hans Busemann, redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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