US-Journalist Gershkovich in Russland zu 16 Jahren Haft verurteilt
- von Andrew Osborn und Mark Trevelyan
Moskau (Reuters) - - Der US-Journalist Evan Gershkovich ist in Russland wegen angeblicher Spionage zu 16 Jahren Lagerhaft verurteilt worden.
Das Gericht in der Stadt Jekaterinburg am Ural verkündete am Freitag das Urteil gegen den Reporter der Zeitung "The Wall Street Journal" überraschend bereits am dritten Verhandlungstag. Das ungewöhnliche Tempo, mit dem der Prozess hinter verschlossenen Türen abgehalten wurde, hat Spekulationen genährt, dass ein lange diskutierter Gefangenenaustausch zwischen Russland und den USA bevorstehen könnte. "Es steht außer Frage, dass Russland Evan zu Unrecht festhält. Journalismus ist kein Verbrechen", teilte US-Präsident Joe Biden in einer Erklärung mit.
Gershkovich war beschuldigt worden, im Auftrag des US-Geheimdienstes CIA Informationen über einen russischen Panzer-Hersteller gesammelt zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Haftstrafe von 18 Jahren gefordert. Der 32-Jährige bestreitet die Vorwürfe. Das "Wall Street Journal" sprach von einem Scheinurteil. Gershkovich sei lediglich seiner Arbeit als Journalist nachgegangen.
Für die Bundesregierung verurteilte Außenministerin Annalena Baerbock das Urteil: "Journalismus ist kein Verbrechen und die Wahrheit lässt sich nicht wegsperren. Die Verurteilung Evan Gershkovich zeigt Putins Angst vor der Kraft von Fakten", schrieb sie auf der Plattform X. "Das Urteil ist politisch motiviert und Teil von Putins Kriegspropaganda." Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) bezeichnete das Urteil als "Skandal". "Ganz nach dem Willen der Führung in Moskau hat das Gericht die unabhängigen und kritischen Recherchen von Evan Gershkovich für das 'Wall Street Journal' als Spionage gebrandmarkt", erklärte der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster.
Gershkovich wurde im März 2023 festgenommen und sitzt seitdem in Haft. Die russische Regierung hatte erklärt, der Journalist sei auf frischer Tat ertappt worden, hat aber keine Beweise veröffentlicht. Die US-Botschaft in Moskau hat mehrmals die sofortige Freilassung Gershkovichs gefordert. Sie warf der russischen Regierung vor, US-Bürger zu missbrauchen, um politische Ziele zu erreichen.
In den vergangenen Monaten war immer wieder spekuliert worden, ob Gershkovich nicht gegen russische Häftlinge in westlichen Gefängnissen ausgetauscht werden könnte. So hatte es die Vermutung gegeben, dass Russland ihn gegen den in Deutschland inhaftierten sogenannten Tiergarten-Mörder austauschen könnte. Im August 2019 war in der Parkanlage Kleiner Tiergarten in Berlin ein Georgier erschossen worden. Das Kammergericht Berlin hatte gegen den russischen Täter danach lebenslange Haft verhängt. Nach Überzeugung der Richter handelte dieser im Auftrag staatlicher russischer Stellen. Russland weist solche Vorwürfe zurück. Weder die US-Regierung noch die Bundesregierung hatten dazu Stellung nehmen wollen.
URTEILSVERKÜNDUNG IN VIER MINUTEN
Ein vom Gericht veröffentlichtes Video zeigt, wie Gershkovich in einem Glaskäfig im Gerichtssaal saß und die Urteilsverkündung verfolgte. Der von juristischen Fachbegriffen geprägte Urteilstext wurde mit raschen Worten in nur vier Minuten verlesen. Richter Andrej Minejew erklärte, Gershkovichs Haftzeit seit seiner Festnahme vor fast 16 Monaten werde auf die bevorstehende Lagerhaft angerechnet. Offiziell kann Gershkovich binnen 15 Tagen Berufung einlegen. Auf die Frage des Richters, ob er Fragen habe, antwortete Gershkovich auf Russisch "Nein".
Zahlreiche westliche Medien haben ihre Mitarbeiter aus Russland abgezogen, nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin im Zuge des Angriffskriegs gegen die Ukraine Gesetze mit hohen Strafandrohungen gegen die "Diskreditierung" der Streitkräfte oder die Verbreitung von "Fake News" erließ. Die russisch-amerikanische Journalistin Alsu Kurmasheva wurde im vergangenen Jahr wegen Verstoßes gegen das Gesetz über "ausländische Agenten" und die Verbreitung angeblich falscher Informationen über die Streitkräfte verhaftet. Sie bestreitet ebenfalls die Vorwürfe.
(Bericht von Andrew Osborn and Mark Trevelyan, Mitarbeit des Reuters-Büros Berlin, geschrieben von Hans Busemann, Andreas Rinke. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)