In Deutschland Sorgen um Folgen von Gefangenenaustausch

- von Hans-Edzard Busemann
Berlin (Reuters) - Einen Tag nach dem größten Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen seit dem Kalten Krieg wachsen in Deutschland Sorgen um die Konsequenzen.
Während sich Mitglieder der Bundesregierung am Freitag vor allem erleichtert über die Freilassung der in Russland und Belarus inhaftierten Menschen zeigten, warnten Oppositionspolitiker, Deutschland habe sich mit der Abschiebung eines verurteilten Mörders erpressbar gemacht. "Nach diesem Austausch muss jedem klar sein, dass man in Putins Russland willkürlich zum Faustpfand des Diktators wird", sagte der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter mit Blick auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin.
Russland und westliche Staaten unter Führung der USA hatten am Donnerstag 24 Gefangene ausgetauscht. In Deutschland wurde die Gefängnisstrafe des als Tiergartenmörder bekanntgewordenen Russen Wadim Krassikow vorzeitig beendet, er wurde nach Russland abgeschoben. Krassikow hatte in Berlin einen Gegner Putins erschossen. Der russische Präsident empfing Krassikow demonstrativ mit einer Umarmung bei seiner Rückkehr. Nach Angaben der russischen Regierung ist Krassikow Mitglied der Spezialkräfte "Alpha-Gruppe" des Geheimdienstes FSB.
Die von Russland und Belarus freigelassenen Häftlinge, zu denen auch russische Regierungskritiker gehören, waren dagegen aus westlicher Sicht mit konstruierten Vorwürfen zu willkürlich langen Strafen verurteilt worden. Dem Deutschen Rico Krieger drohte in Belarus sogar die Todesstrafe. Er wurde von Präsident Alexander Lukaschenko jedoch begnadigt.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte die Rückkehrer am Donnerstagabend persönlich am Flughafen Köln/Bonn empfangen. Der SPD-Politiker ging dabei kaum auf Bedenken ein: "Ich glaube, dass das eine richtige Entscheidung ist, und wenn man da irgendwelche Zweifel hatte, dann verliert man die nach dem Gespräch mit denjenigen, die jetzt in Freiheit sind."
Andere Mitglieder der Bundesregierung betonten, dass man es sich nicht leichtgemacht habe. So sagte etwa Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Freitag in Paris, die Entscheidung sei "sehr, sehr schwer" gefallen. Im Endeffekt habe aber die Freilassung der westlichen Gefangenen schwerer gewogen als die Vollendung der Gefängnisstrafe des Mörders Krassikow. Ähnlich äußerten sich unter anderem Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide von den Grünen).
OPPOSITION: HABEN PRÄZEDENZFALL GESCHAFFEN
Kritik kam dagegen aus der Opposition. "Wir können Putins Mörder nicht jedes Mal freilassen und werden es auch nicht", sagte der CDU-Außenexperte Kiesewetter dem "Tagesspiegel". "Ich fürchte, dass mit der Freilassung des verurteilten Tiergarten-Mörders ein Präzedenzfall geschaffen wird, der von Russland politisch massiv ausgenutzt werden kann." Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt sprach in der ARD von einem Propaganda-Erfolg für Putin. Deutschland sei mit der Entlassung des Mörders auf die schiefe Bahn gekommen.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sprach von einem besonders bitteren Zugeständnis. Er habe den Generalbundesanwalt angewiesen, dass Krassikow freigelassen werde. Bei einer Vollstreckung der langjährigen Gefängnisstrafe wären die deutschen außen- und sicherheitspolitischen Interessen gefährdet gewesen. Zudem habe das Risiko einer "menschenrechtswidrigen Behandlung" für die Gefangenen in Russland und Belarus bestanden.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warnte, Russland könne sich nun ermutigt fühlen, weitere Inhaftierte freizupressen. "Ein Mörder und andere Verbrecher, die in einem fairen Prozess verurteilt wurden, kommen nun frei im Austausch für Menschen, die nur ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben", sagte Christian Mihr von der deutschen ai-Sektion. "Die russische Regierung könnte sich so zu weiteren politischen Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen ermutigt fühlen."
Nur am Rande spielten amerikanische Wünsche, dem Gefangenenaustausch zuzustimmen, eine Rolle. Bereits im Januar hat Scholz nach Angaben des Nationalen Sicherheitsberaters Jake Sullivan US-Präsident Joe Biden Hilfe zugesagt. "Für dich werde ich das tun", zitierte Sullivan den Kanzler. Scholz selbst sprach von einer intensiven Zusammenarbeit mit den USA.
Die Angehörigen des Opfers von Krassikow zeigten sich enttäuscht. Nicht einmal fünf Jahre nach dem Mord sei der Täter wieder auf freiem Fuß, teilte der Anwalt der Hinterbliebenen in deren Namen mit. "Einerseits sind wir froh, dass jemandes Leben gerettet wurde. Gleichzeitig sind wir sehr enttäuscht darüber, dass es in der Welt anscheinend kein Gesetz gibt, selbst in Ländern, in denen das Gesetz als oberste Instanz gilt."
(redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)