Iran feuert Raketen auf Israel - Auswirkungen offenbar begrenzt
- von James Mackenzie und Maya Gebeily
Jerusalem/Beirut/Washington (Reuters) - Als Reaktion auf die massiven israelischen Angriffe gegen die radikal-islamische Hisbollah im Libanon hat der Iran am Dienstagabend zahlreiche Raketen auf Israel abgefeuert.
In ganz Israel heulten die Alarmsirenen. In Jerusalem und im Jordantal waren Explosionen zu hören, nachdem sich die Israelis in Bombenschutzräume begeben hatten. Reporter des staatlichen Fernsehens legten sich während Live-Übertragungen flach auf den Boden. Opfer gab es ersten Angaben zufolge aber keine.
Das israelische Armeeradio meldete, dass fast 200 Raketen aus dem Iran auf Israel abgefeuert worden seien. Die iranischen Revolutionsgarden gaben bekannt, dass der Iran Dutzende Raketen abgefeuert habe. Sollte Israel Vergeltung üben, werde die Antwort Teherans "noch vernichtender und verheerender" sein. Nur kurze Zeit später gab das israelische Militär Entwarnung und erklärte, die Israelis könnten ihre Schutzräume verlassen.
Der israelische Militärsprecher Daniel Hagari teilte mit, ihm seien keine Verletzungen infolge der iranischen Raketenangriffe bekannt. Er beschrieb den Angriff dennoch als ernsthaft und kündigte Konsequenzen an. Ort, Zeitpunkt und Umfang ließ er aber offen. Ein hochrangiger iranischer Beamter sagte der Nachrichtenagentur Reuters, der Befehl zum Raketenangriff auf Israel sei vom Obersten Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei, erteilt worden. Chamenei befinde sich an einem sicheren Ort.
INSIDER: USA VORAB INFORMIERT
Reuters-Reporter beobachteten, wie Raketen im Luftraum des benachbarten Jordanien abgefangen wurden. Kurz vor dem Angriff auf Israel habe der Iran Russland informiert, sagte ein hochrangiger iranischer Vertreter zu Reuters. Die USA seien über diplomatische Kanäle ebenfalls kurz zuvor gewarnt worden.
Im April hatte Iran bereits Vergeltung für einen israelischen Angriff in Syrien geübt. Aber auch dabei wurden die meisten der iranischen Raketen von Israel, dem US-Militär und anderen Verbündeten abgefangen. Israel reagierte damals mit Luftangriffen im Iran, doch eine weitere Eskalation blieb aus.
In Washington erklärte US-Präsident Joe Biden auf der Plattform X, sein Land sei bereit, Israel bei der Verteidigung gegen iranische Angriffe zu unterstützen. UN-Generalsekretär António Guterres mahnte, "Eskalation nach Eskalation" müsse umgehend gestoppt werden. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verurteilte den Irans Angriff "auf das Allerschärfste". Man habe den Iran vor dieser gefährlichen Eskalation eindringlich gewarnt. "Iran muss den Angriff sofort einstellen. Er führt die Region weiter an den Abgrund", schrieb sie auf X.
"BEGRENZTE OPERATION"
Am Dienstagmorgen waren israelischen Truppen erstmals in dem aktuellen Konflikt auf Gebiete des Südlibanon vorgedrungen. Das Militär sprach dabei von einer "begrenzten Operation". Dabei lieferten sich israelischen Truppen heftige Gefechte mit Kämpfern der Hisbollah, die die am besten bewaffnete Stellvertretertruppe des Iran im Nahen Osten ist. Die Vereinten Nationen gaben an, ihre Friedenstruppen hätten sporadisches israelisches Eindringen beobachtet, aber keine vollständige Invasion.
Bei den israelischen Einsätzen ist nahezu die gesamte Führung der Hisbollah ausgeschaltet worden. Zuletzt traf es den Chef der Organisation, Hassan Nasrallah, am vergangenen Freitag. Nach libanesischen Angaben sind bislang zudem mehr als 1000 Menschen im Libanon getötet worden, rund eine Million weitere sind auf der Flucht.
Israel hat es zum Ziel erklärt, seine nördliche Grenze zu sichern und Zehntausenden Israelis die Rückkehr in Städte zu ermöglichen. Die Menschen hatten wegen des anhaltenden Raketenbeschusses der Hisbollah evakuiert werden müssen. Eigenen Angaben agierte die Hisbollah dabei in Solidarität mit der radikal-islamischen palästinensischen Hamas im Gazastreifen. Das erklärte Ziel der Hisbollah ist die Vernichtung Israels.
Als klares Zeichen dafür, dass der Krieg noch lange nicht vorbei sein dürfte, berief das israelische Militär am Dienstag vier weitere Reservebrigaden für operative Einsätze an der nördlichen Grenze ein. Die Hisbollah, eine von Iran gebildete schiitische Miliz, hat sich zur mächtigsten bewaffneten Kraft des Libanon entwickelt, ausgestattet mutmaßlich mit einem Arsenal an Raketen und Geschossen. Sie ist auch die stärkste politische Partei des Libanon und steht an der Spitze eines Netzwerks von iranisch unterstützten bewaffneten Bewegungen im Nahen Osten.
Israel war bereits inmitten des libanesischen Bürgerkriegs 1982 im Libanon einmarschiert. Die Truppen zogen sich im Jahr 2000 zurück, kamen aber erneut, um 2006 einen weiteren großen Krieg gegen die Hisbollah zu führen. Seitdem wird die "Blaue Linie" genannte Grenze eigentlich von den Vereinten Nationen überwacht.
(Bearbeitet von Alexander Ratz und Myria Mildenberger. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)