Firmen mit stärkstem Produktionsplus seit 2021 - "Noch keine Trendwende"

Berlin (Reuters) - Die Unternehmen in Deutschland haben trotz Konjunkturflaute ihre Produktion überraschend kräftig hochgefahren- so stark wie seit Oktober 2021 nicht mehr.
Dennoch sehen Bundesregierung und Ökonomen hier noch kein Signal für eine Trendwende, sondern eher einen - von der schwankungsanfälligen Autobranche angeschobenen - Ausreißer nach oben. Industrie, Bau und Energieversorger stellten im August zusammen 2,9 Prozent mehr her als im Vormonat, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Ökonomen hatten nur mit plus 0,8 Prozent gerechnet, nach minus 2,9 Prozent im Juli. "Der Anstieg der Industrieproduktion im August sollte nicht als Signal für eine nachhaltige Trendwende im deutschen Verarbeitenden Gewerbe gesehen werden", sagte Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des gewerkschaftsnahen IMK-Instituts.
Im weniger schwankungsanfälligen Dreimonatsvergleich war die Produktion von Juni bis August um 1,3 Prozent niedriger als in den drei Monaten zuvor. "Der Impuls kam vor allem von der Autoindustrie, deren Produktion jedoch sehr stark schwankt", sagte Chefökonom Cyrus de la Rubia von der Hamburg Commercial Bank. "Ein Monatswert macht daher noch keinen Trend." Auch das Bundeswirtschaftsministerium sieht derzeit noch "keine Belebung der Industriekonjunktur". Die Stimmungsindikatoren seien weiter eingetrübt und die Aufträge auf niedrigem Niveau. "Daher ist bis auf weiteres mit einer verhaltenen Entwicklung des Produzierenden Gewerbes in Deutschland zu rechnen."
LBBW-Experte Jens-Oliver Niklasch sieht in den Daten "endlich mal wieder einen guten Monatswert - aber eigentlich nur einen Ausreißer nach oben, bedingt durch die derzeit volatile Automobilproduktion". Deshalb dürfte es im September mit der Produktion insgesamt eher wieder abwärts gehen.
AUTOPRODUKTION SCHIEBT AN - AUFTRAGSLAGE BLEIBT SCHWACH
Die Produktion bei der Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen stieg dem Statistikamt zufolge um 19,3 Prozent zum Vormonat, nach einem Minus von 8,2 Prozent im Juli. Die Industrie allein steigerte ihre Produktion von Juli auf August um 3,4 Prozent. Dabei kletterte die Fertigung von Investitionsgütern um 6,9 Prozent und die Produktion von Vorleistungsgütern um 0,1 Prozent. Außerhalb der Industrie verzeichnete die Energieerzeugung im August einen Zuwachs von 2,3 Prozent, die Bauproduktion stieg im Vergleich zum Vormonat um 0,3 Prozent.
Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer sieht noch keinen Grund zur Entwarnung. "Aufgrund der anhaltenden strukturellen Probleme, wie hohe Kosten, lähmende Bürokratie und Fachkräftemangel, ist ein schneller 'Turn Around' nicht in Sicht", sagte DIHK-Konjunkturexperte Jupp Zenzen. Zusätzlich herrsche auch in den Auftragsbüchern weiter Flaute. "Das sind keine guten Aussichten für die deutsche Industrie." Das Neugeschäft der Industrie brach im August ein. Nach zwei Anstiegen in Folge sanken die Aufträge der Firmen um 5,8 Prozent zum Vormonat und damit so stark wie seit Januar nicht mehr.
Bundesbank-Präsident Joachim Nagel korrigierte derweil die Erwartungen für das Wirtschaftswachstum in Deutschland. "Es deutet sich in der Tat an, dass die Entwicklung im zweiten Halbjahr schwächer ist, als wir noch im Frühsommer dachten, und es vermutlich so sein wird, wie jetzt der Bundeswirtschaftsminister prognostiziert hat", sagte Nagel in einem Podcast von Table.Briefings. Das Wirtschaftsministerium hatte bestätigt, dass die Regierung die Konjunkturprognose für 2024 senken wird. Die "Süddeutsche Zeitung" hatte berichtet, dass das Ministerium davon ausgehe, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um 0,2 Prozent schrumpfen und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht wie bisher erwartet um 0,3 Prozent zulegen werde. 2023 war das BIP um 0,3 Prozent gesunken.
"Um der Industrie nachhaltig zu helfen, müsste die Bundesregierung jetzt die Konzepte eines Brückenstrompreises wiederbeleben und zugleich verlässlich eine große öffentliche Investitionsoffensive auflegen", sagte IMK-Fachmann Dullien. "Für die Automobilindustrie wäre eine echte, ganzheitliche Industriepolitik notwendig." Die Finanzpolitik der Koalition müsse "expansiv ausgerichtet" sein - und nicht wie derzeit wegen Ausgabenkürzungen und Abgabenerhöhungen "leicht restriktiv". Die Maßnahmen aus der Wachstumsinitiative des Bundes reichten nicht.
(Bericht von Klaus Lauer; Mitarbeit von Reinhard Becker, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)