Ukraine: Russland setzt erstmals Interkontinentalrakete ein

(Weitgehend neu)
Kiew (Reuters) - Russland hat im Invasionskrieg gegen die Ukraine nach Angaben aus Kiew erstmals eine Interkontinentalrakete eingesetzt und damit offenbar auf Angriffe gegen eigene Gebiete reagiert.
Die ukrainische Luftwaffe meldete am Donnerstag, die Rakete sei aus der russischen Region Astrachan auf die Stadt Dnipro abgeschossen worden. Zwischen beiden Orten liegen etwa 700 Kilometer. Details zum Sprengkopf oder zum Raketentyp wurden nicht genannt, es gab keine Hinweise auf eine nukleare Bewaffnung. Bei dem Angriff wurden nach Angaben örtlicher Behörden in Dnipro zwei Menschen verletzt.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in seiner Videoansprache: "Heute gab es eine neue russische Rakete. Alle Merkmale – Geschwindigkeit, Höhe – entsprechen denen einer interkontinentalen ballistischen Rakete. Eine Expertenuntersuchung läuft derzeit." Nach Angaben eines westlichen Regierungsvertreters handelte es sich dagegen nicht um eine Interkontinentalrakete. Dies habe eine erste Analyse ergeben, sagte der Regierungsvertreter der Nachrichtenagentur Reuters.
Dagegen berichtete das ukrainische Medienportal Ukrainska Prawda unter Berufung auf anonyme Quellen, es habe sich um eine Langstreckenrakete des Typs RS-26 Rubesch gehandelt. Die US-Rüstungskontroll-Organisation Arms Control Association gibt die Reichweite der RS-26 mit 5800 Kilometern an.
Auf die Aussage der ukrainischen Luftwaffe angesprochen, verwies Kreml-Sprecher Dmitri Peskow Reporter an das russische Militär. Die Sprecherin des Außenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa, erhielt während eines wöchentlichen Briefings einen Anruf, in dem ihr von einem nicht identifizierten Mann gesagt wurde, sie solle keinen Kommentar zu der Rakete abgeben. Der russische Angriff erfolgte, nachdem die Ukraine in den vergangenen Tagen erstmals mit US-amerikanischen und britischen Raketen Ziele in Russland attackiert hatte.
Ziel des russischen Angriffs seien unter anderem Unternehmen und kritische Infrastruktur in der Region Dnipro gewesen, hieß von ukrainischer Seite weiter. In Dnipro wurde den örtlichen Behörden zufolge ein Industrieunternehmen beschädigt. Zudem seien zwei Brände in der Stadt ausgebrochen. Weiter hieß es, die ukrainische Luftabwehr habe sechs russische Marschflugkörper vom Typ Ch-101 abgeschossen.
RUSSLAND: ZWEI STORM SHADOW ABGESCHOSSEN
Die Regierung in Moskau hat die US-Erlaubnis für die Ukraine zum Einsatz westlicher Waffen mit größerer Reichweite gegen Ziele auf russischem Territorium als Eskalation bezeichnet. Präsident Wladimir Putin vollzog eine bereits geplante Änderung der Atomdoktrin, mit der die Schwelle für den Einsatz der Waffen gesenkt wurde.
Das Center for Strategic and International Studies (CSIS) schätzt, dass die RS-26 etwa zwölf Meter lang ist, 36 Tonnen wiegt und einen 800 Kilogramm schweren nuklearen Sprengkopf tragen kann. Die Rakete wird unter einem nuklearen Abrüstungsvertrag zwischen den USA und Russland als Interkontinentalrakete (ICBM) eingestuft, kann aber als Mittelstreckenrakete angesehen werden, wenn sie mit schwereren Nutzlasten auf Reichweiten unter 5500 Kilometern eingesetzt wird, wie das CSIS weiter schreibt.
Das russische Verteidigungsministerium teilte in seinem täglichen Bericht über die Ereignisse der letzten 24 Stunden am Donnerstag mit, dass die Luftabwehr zwei britische Storm-Shadow-Marschflugkörper abgeschossen habe, ohne jedoch den Ort zu nennen. Großbritannien hatte zuvor wie die USA der Ukraine erlaubt, Storm Shadows auch gegen Ziele auf russischem Gebiet einzusetzen.
(Bericht von Anastasiia Malenko, Tom Balmforth und Max Hunder; Bearbeitet von Alexander Ratz; Redigiert von Kerstin Dörr; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)