EU-Kommission einigt sich mit Mercosur-Staaten auf Handelsabkommen

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Montevideo/Brüssel/Berlin (Reuters) - Die EU-Kommission und vier südamerikanische Staaten haben sich nach jahrzehntelangen Verhandlungen auf ein Freihandelsabkommen verständigt.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unterzeichnete am Freitag in Uruguay die Vereinbarung mit den Mercosur-Staaten, zu denen auch noch Brasilien, Argentinien und Paraguay gehören. Dadurch sollen neue Jobs entstehen und aus EU-Sicht pro Jahr Zölle im Volumen von vier Milliarden Euro wegfallen. "Das ist ein Erfolg für Europa", sagte von der Leyen in Montevideo. Die Bundesregierung begrüßte den Schritt, mit dem die EU ihre Abhängigkeit vom Handel mit China reduzieren will. Ob die Annahme in der EU dieses Mal klappt, ist aber ungewiss. Vor allem Frankreich lehnt das Abkommen ab, aber auch Länder wie Polen und Italien haben Vorbehalte angemeldet.

Durch das Freihandelsabkommen der 27 EU-Länder mit der Mercosur-Gruppe würde eine der größten Handelszonen der Welt mit mehr als 700 Millionen Menschen entstehen. Sie würde fast 20 Prozent der Weltwirtschaft und mehr als 31 Prozent der globalen Warenexporte abdecken.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einer wichtigen Hürde, die genommen sei. Das Abkommen könne zu mehr Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit führen. Wirtschaftsminister Robert Habeck nannte den Abschluss eine gute Nachricht. "Wichtig ist, dass Klimaschutz und der Schutz des Amazonas-Regenwaldes und anderer Ökosysteme eine zentrale Rolle in dem Abkommen spielen", so der Grünen-Politiker. Eine Regierungssprecherin ergänzte, notfalls werde Deutschland auch eine abgespeckte Version akzeptieren. Man werde sich einem sogenannten "EU-only"-Abkommen nicht verschließen, wenn sich abzeichne, dass ein Abschluss sonst nicht möglich sei. Dabei ist nur eine Ratifizierung auf EU-Ebene, nicht aber durch die 27 Mitgliedstaaten nötig.

Frankreich kämpft seit Jahren erbittert gegen das Abkommen. Die Regierung in Paris fürchtet Nachteile für ihre Landwirte. Auch Österreich, Polen und die Niederlande sind skeptisch. Italien hat ebenfalls Vorbehalte gegen eine Vereinbarung angemeldet. Die gerade erst ins Amt gekommene neue EU-Kommission geht mit der Unterzeichnung also ein politisches Risiko ein. Frankreichs Handelsministerin Sophie Primas sagte, die Vereinbarung binde nur die Kommission, nicht aber die EU-Länder. Von der Leyen betonte, Bedenken seien aufgenommen und Absicherungen eingebaut worden.

In deutschen Regierungskreisen hieß es, die Handelsbestimmungen als Kern könnten im Schnellverfahren Priorität bekommen. Hierfür wäre dann eine einfache Mehrheit der EU-Abgeordneten im Parlament sowie eine qualifizierte Mehrheit der EU-Länder nötig. Das bedeutet, dass mindestens 15 EU-Länder dafür sein müssten, die zugleich mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Um das Vorgehen zu blockieren, bräuchte es mindestens vier EU-Staaten mit zusammen mehr als 35 Prozent der EU-Bevölkerung. Die Abstimmung dazu dürfte im Sommer 2025 anstehen. Abgetrennt würden dann weitere politische Vereinbarungen zwischen beiden Seiten. Dazu zählen unter anderem neue Regeln für grenzüberschreitende Investitionen. Diese müssen wahrscheinlich in den nationalen Parlamenten aller 27 EU-Mitglieder bestätigt werden.

DIHK: "ECHTER MEILENSTEIN"

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sprach von einem "echten Meilenstein" für viele Unternehmen. "Gerade in Zeiten großer globaler Unsicherheit schafft das Abkommen für unsere stark exportorientierten Unternehmen endlich die dringend benötigte Planungssicherheit", sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Die Zollerleichterungen seien ein Befreiungsschlag. "Die EU sollte diesen Schwung jetzt nutzen, um auch bei den Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit Indien und Indonesien auf die Zielgerade zu kommen. Damit können die EU und Deutschland ein entschiedenes Zeichen gegen Protektionismus und für offene Weltmärkte setzen." Laut DIHK exportieren 12.500 deutsche Firmen in die Mercosur-Staaten.

Dem Großhandelsverband BGA zufolge kann es neue Absatzchancen für europäische Unternehmen besonders aus dem Auto- und Maschinenbau, der Chemie- und Pharmaindustrie sowie der Ernährungsbranche geben. Auch erneuerbare Energien und Umwelttechnik, der Konsumgüterbereich sowie der Finanz- und Dienstleistungssektor dürften profitieren. Hinzu komme, dass die EU sich bei der Beschaffung von Seltenen Erden unabhängiger von China machen könne. Südamerika dürfte Experten zufolge im Gegenzug vor allem mehr Fleisch und Getreide nach Europa liefern.

MERZ AUCH FÜR MERCOSUR-ABKOMMEN

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte das Vorhaben am Donnerstag als inakzeptabel bezeichnet und damit die Verhandlungen erschwert. Er kann sich aber keine Hoffnung machen, dass sich die deutsche Haltung bei einem Regierungswechsel ändern würde. Denn auch Unions-Kanzlerkandidat und CDU-Chef Friedrich Merz dringt wie Scholz auf einen schnellen Abschluss. "Es gibt auf der Welt Länder, denen wir uns stärker zuwenden müssen", hatte Merz am Mittwoch gesagt. "Das heißt auch, Mercosur muss jetzt so schnell wie möglich kommen. Das Abkommen ist ausverhandelt. Und es darf jetzt nicht scheitern." Es dürfe auch nicht an Frankreich scheitern.

Die Mercosur-Gespräche gehen bereits mehr als zwei Jahrzehnte zurück. 2019 kam es zu einer vorläufigen Vereinbarung, die jedoch nicht ratifiziert wurde. Teilweise wurden Umweltbedenken vorgebracht und mehr Nachhaltigkeit gefordert, beispielsweise zum Schutz des Amazonas-Gebiets in Brasilien.

(Bericht von Lucinda Elliott, Lisandra Paraguassu, Philip Blenkinsop, Anthony Boadle, Andreas Rinke, Rene Wagner und Christian Krämer, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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