Der Gamestop-Kleinanleger-Krieg gegen die Wallstreet – wenn die Regeln nur für eine Seite gelten

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Was bei Gamestop los ist, weiß wohl mittlerweile jeder, der sich auch nur halbwegs mit der Börse und Investments auseinandersetzt. Hier also nur noch einmal die kurze Zusammenfassung: Der Aktienkurs des Computerspielhändlers dümpelte Anfang Januar noch knapp unter der 18-Dollar-Marke. In den vergangenen zwei Wochen stieg der Kurs jedoch um insgesamt etwa 2000 Prozent. Angetrieben von Hobby-Investoren auf der Onlineplattform Reddit, die sich im Forum „WallStreetBets“ organisieren, wurde der Kurs in unfassbare Höhen getrieben. Mit konzertierten Käufen haben die Kleinanleger Hedgefonds, darunter Melvin Capital, der auch gegen Tesla gewettet hat, gezwungen, ihre Wetten auf einen Kursverfall der Aktien aufzulösen. Was dann die Aktien in die Höhe trieb und den Fonds etliche Milliarden kostete.

Kleinanleger wehren sich als Kollektiv gegen die Wallstreet

Der Grund für die gemeinsame Aktion gegen den Hedgefonds? Gegen Investment-Firmen, die 140% der Aktien eines Unternehmens shorten, welches in einer wirtschaftlichen Krise steckt, und damit seine Pleite zu forcieren um Gewinne daraus einzustreichen, gehört es zu kämpfen. So oder so ähnlich hat sich das Leitbild dieser Bewegung aus dem Reddit-Forum immer mehr herauskristallisiert. Nun kann man inhaltlich auf beiden Seiten argumentieren. Es ist legitim, ein Unternehmen zu shorten, dessen Geschäftsmodell nicht mehr in die moderne Zeit passt und das kaum noch Chancen auf wirtschaftlichen Erfolg hat. Genauso leigitim ist es jedoch, eine enorme Pleitewette gegen ein Unternehmen, das immerhin noch 14.000 Angestellte hat, verwerflich zu finden und in die Aktie zu investieren um dem entgegenzuwirken.

Dass einige Privatanleger nur auf diese Welle aufspringen um kurzfristige Profite zu machen sei einmal dahingestellt. Einem Großteil der Reddit-Nutzer und deren Aussagen kann man durchaus abkaufen, dass eine Überzeugung dahinter steckt. Vor allem da es sich vermehrt um jüngere Investoren zu handeln scheint und man bei Gamestop sicher in vielen Fällen eine emotionale Verbindung aus der Kindheit zuschreiben kann. So wirkt es noch passender, dass man sich gerade diese Aktie ausgesucht hat, um an der Wallstreet ein Exempel statuieren zu wollen, das natürlich nicht nur für die shorts gegen dieses Unternehmen steht, sondern stellvertretend für die vielen Probleme dieser Zeit, deren Ursachen in der Finanzwelt von heute liegen. Sei es nun die Finanzkrise 2008, oder die wachsende Schere zwischen Arm und Reich im Allgemeinen, deren Exzess an der Wallstreet besonders deutlich wird. So weit so gut, es steht also Hedgefonds gegen Privatinvestoren, im Kampf miteinander und innerhalb der Spielregeln des Finanzmarktes.

Wenn die Regeln nur für eine Seite gelten

Hier kommen wir nun zu dem Punkt, an dem es hässlich wird und einige der wahren Probleme der derzeitigen Verfassung des Finanzmarktes aufgezeigt werden. Denn wie der spektakuläre Anstieg der Gamestop-Aktie gezeigt hat, haben die Reddit-Investoren durchaus die Oberhand gegen die Shortseller gewonnen. Doch als am Donnerstag sogar kurzzeitig bis zu 500 Dollar für eine Gamestop-Aktie geboten wurden, zog Robinhood die Reißleine und blockierte weitere Käufe in der App. Der Kurs brach zeitweise bis auf 126 Dollar ein und schloss letztlich bei 194 Dollar. Der Handel mit den Papieren war bereits an den Vortagen zeitweise erheblich gestört, weil nicht nur Robinhood, sondern auch etliche andere Online-Broker von E-Trade und TD Ameritrade bis hin zu den Plattformen der großen Vermögensverwalter Charles Schwab und Fidelity den großen Andrang nicht mehr bewältigen konnten.

Auch der deutsche Online-Broker Trade Republic stellte am Donnerstagabend ein Stopp-Schild auf. Die Aktien Gamestop, der Kinokette AMC, von Blackberry und Nokia sowie der Firmen Express Inc. und Bed Bath & Beyond Inc. seien „anscheinend aktuell Gegenstand von heftigen, koordinierten Kursspekulationen“, schrieb der Berliner Neo-Broker an seine Kunden. „Wegen der damit verbundenen Risiken für Dich nehmen wir bis auf weiteres keine neuen Aufträge zum Kauf dieser Aktien an.“ Inzwischen hob Trade Republic das Kaufverbot wieder auf.

Die Aussagen nicht nur von Trade Republic, sondern auch von den anderen Brokern „die Anleger zu schützen“ und deshalb die Käufe zu blockieren, hat die Reddit-Community und viele weitere Marktbeobachter verständlicherweise extrem entrüstet, da Verkäufe der Aktie weiterhin erlaubt waren und somit den Shortsellern freies Spiel geboten hat. Im Grunde lässt sich diese Aktion wie ein Freifahrtschein für die institutionellen Spieler interpretieren, währen den normalsterblichen Tradern mal eben der Stecker gezogen wurde.

GME-Aktie klettert nach Kauffreigabe wieder

Robinhood hatte am Vorabend nach einem Sturm der Entrüstung von Anlegern angekündigt, die Handelsbeschränkungen für die heißgelaufenen Aktien von Gamestop und Co. wieder zu lockern. Am Freitag ist der Kurs bereits im vorbörslichen US-Handel dann auch erneut um 100 Prozent angezogen.

Auch die Politik mischt sich ein

In den USA hatte die Entscheidung von Robinhood, nur noch den Verkauf der Gamestop-Aktie zuzulassen, einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Am Donnerstag schaltete sich sogar die oberste US-Politik in den Konflikt ein. Der künftige Vorsitzende des Bankenausschusses im US-Senat, Sherrod Brown, kündigte eine Anhörung „zum aktuellen Zustand des Aktienmarkts“ an. Es sei an der Zeit für die Börsenaufsicht SEC und den Kongress dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft für alle funktioniere, nicht nur für die Wall Street. „Die Leute an der Wall Street scheren sich nur um die Regeln, wenn sie diejenigen sind, denen es wehtut“, hieß es in Browns Statement.

Noch größer war der Frust bei Anlegern, die sich durch Robinhoods Beschränkungen auf ihrer Gewinnstrecke ausgebremst sahen. „Die nehmen das Geld von den Armen und geben es den Reichen“, empörte sich beispielsweise Charlie Hancox von der Aktivisten-Plattform Inveez. Wie andere User warf er Robinhood-Chef Vlad Tenev vor, ihnen im Machtkampf mit den Hedgefonds in den Rücken gefallen zu sein.

Die professionellen Investoren hatten im Gegensatz zu dem Flashmob der Reddit-User auf fallende Kurse spekuliert. Diese „Shortseller“ verkaufen die entsprechende Aktie zuerst, obwohl sie sie noch gar nicht besitzen. Zu einem späteren Zeitpunkt, wenn der „perfekte“, sinkende Kurs sich ergibt, wird dann das Papier eingekauft, um den Deal bedienen zu können. Solche Leerverkäufer setzen also darauf, sich bis zum Termin der Rückgabe billiger mit Papieren einzudecken und die Differenz dann als Gewinn einzustreichen.

Die Reddit-Community setzte aber auf steigende Kurse. So kam es zu einem regelrechten Kräftemessen mit den Hedgefonds, die dann durch den organisierten Massenkauf der Aktien und den damit verbundenen steigenden Kursen in große wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten und zum Teil Milliarden-Verluste abschreiben mussten.

Ist Robin Hood doch nur ein Vasall des Sheriffs von Nottingham?

Ein besonders fader Beigeschmack für die Reddit-Trader dürfte sein, dass ausgerechnet die Handelsplattform Robinhood, die von vielen so gefeiert wurde, ihnen Steine in den Weg legt. Robinhood brüstet sich für seinen einfachen Zugang für Jedermann und möglichst freien und uneingeschränkten Handelsmöglichkeiten. Jetzt ist jedoch die Kritik aufgekommen, dass die eingesetzten Handelsbeschränkungen auf Robinhood und den anderen Tradingplattformen aus den oberen Etagen forciert worden sind, also von den Investoren der Firmen und anderen großen Finanzplayern, die ein Interesse am Status Quo haben und denen überhaupt nicht gefällt, dass die Vereinigung aus Privatleuten durch die Gamestop-Affäre erkannt hat, was für eine Macht sie am Finanzmarkt entfesseln kann.

Vlad Tenev, Chief Executive Officer von Robinhood, bestritt in einem Interview mit Bloomberg TV, dass sein Unternehmen von den Playern an der Wall Street unter Druck gesetzt wurde. Robinhood habe selbst nicht genügend freies Kapital gehabt, um die Käufe der heiß gehandelten Aktien mit den notwendigen Einlagen abzusichern. Nach einem Bericht der „New York Times“ musste Robinhood kurzfristig über eine Milliarde Dollar bei seinen Investoren auftreiben, um liquide zu bleiben. Der Kauf-Stopp war eine technische und betriebliche Entscheidung“, beteuerte Tenev.

Mit dieser Antwort wollen sich die Betroffenen aber nicht zufrieden geben. Zwei frustrierte Robinhood-Kunden reichten Klagen gegen den Neo-Broker in New York und Chicago ein.

Ein weiterer, fader Beigeschmack

Der Handelsstopp allein ist jedoch noch nicht alles, es reiht sich noch ein weiterer übler Beigeschmack in die Geschichte ein. Nachdem der Shortseller Melvin Capital durch den enormen Kursanstieg der Gamestop-Aktie in die Bredouille geraten ist, musste er mit Finanzspritzen von fast 3 Milliarden Dollar von Mitbewerbern über Wasser gehalten werden, wie Bloomberg berichtet hat.

Einer dieser Mitbewerber ist das US-Finanzunternehmen Citadel. Citadel Securities, eine Unterfirma, ist ein großer „Market Maker“ im US-Handel, heißt ihre Dienstleistungen bestehen in der Bereitstellung von Liquidität und der Ausführung von Orders für Retail- und institutionelle Kunden. Robinhood ist einer dieser Kunden. In diesem Fall bezahlt Citadel Robinhood für den „Order Flow“ der über die Robinhood-Plattform kommt, um an den Geschäften über den Spread, den sie als Market Maker erheben, zu verdienen.

Wie steht das nun im Zusammenhang? Citadel ist mit einem Milliardenbetrag bei Melvin Capital eingestiegen und hat damit auch indirekt einen Teil der Shortpositionen und die der anderen Aktien im Fokus der Reddit-Community erworben. Robinhood – die also in einer geschäftlichen Verbindung mit Citadel stehen – hat den weiteren Kauf dieser Aktien zwischenzeitlich verboten, was den Shortpositionen sehr entgegenkommt. Denn wenn man nur noch verkaufen und nicht kaufen kann, spielt das den shorts natürlich in die Karten. Sollte Robinhood das Verbot eigenmächtig beschlossen haben, hat Citadel sich natürlich nichts zu Schulden kommen lassen. Doch es wird nun natürlich die Frage gestellt, ob Druck auf Robinhood ausgeübt wurde.

Natürlich haben sämtliche Akteure verneint, dass eine Absprache oder Druck von außen bestand. Robinhood hat wie beschrieben auf den Liquiditätsengpass und Gefahren für das eigene Geschäftsmodell verwiesen. Dies mag auch so stimmen, es ist trotzdem ein Schlag ins Gesicht für Privatinvestoren, zu hören zu bekommen, dass das Kaufsverbot beschlossen wurde, um sie zu schützen, obwohl es im Grunde nur um das eigene Geschäft und nicht um das finanzielle Wohl der Privatkunden geht.

Robinhood nun im Visier der Behörden?

Nachdem die Berg-und Talfahrt der Gamestop-Aktie zu einer Erschütterung der Finanzmärkte beigetragen hat, werden sich die Regulierer aber ohnehin das Geschäftsmodell von Robinhood anschauen müssen, auch weil das Unternehmen aus Menlo Park in Kalifornien selbst an die Börse strebt. Über die App ist das Handeln mit Aktien aber auch deutlich risikoreicheren Papieren so einfach geworden wie die Online-Bestellung einer Pizza. Und es fallen noch nicht einmal Gebühren an. Verbraucherschützer werfen der Firma aber vor, auch komplizierte Finanzprodukte unerfahrenen Kunden zur Verfügung zu stellen, die dann nicht nur Gefahr laufen, ihr Erspartes zu verlieren, sondern sich auch kräftig zu verschulden. Dies mag zwar ein Argument sein, doch auch hier sei noch einmal betont: wenn ein Privatanleger alles verliert und sich verschuldet, dann interessiert das niemanden. Wenn die Player an der Wallstreet jedoch ernsthaft in Schieflage geraten, sind bisher noch immer die Regeln zurechtgebogen worden oder die Druckerpresse ist heiß gelaufen.

Allerdings hat zumindest die Diskussion um die Mechaniken an der Wallstreet anscheinend bereits für Umdenken gesorgt: Citron Research, einer der Hedgefonds, der bei der Wette gegen Gamestop die Segel strich und seinen Einsatz fast komplett einbüßte, kündigte am Freitag eine große Strategiewende an. Nach 20 Jahren will Citron Research seine „Short Reports“ genannten Analysen einstellen, die Schwächen von Firmen aufzeigen sollen, gegen die der Fonds meist spekuliert. Sein Unternehmen wolle nicht länger zum Establishment gehören, es habe schließlich einst selbst als Außenseiter an der Wall Street begonnen, sagte Citron-Chef Andrew Left.

onvista-Redaktion mit Material von dpa-AFX

Titelfoto: dennizn / Shutterstock

onvista-Ratgeber: Aktien kaufen für Einsteiger – alles was Sie zum Thema Börse und Aktien wissen müssen!

Neueste exklusive Artikel