Jetzt wäre der Zeitpunkt vergleichsweise gut, um der politischen Börse die Beine zu stutzen

Robert Halver · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Im Augenblick besteht eine gute Chance, die Reibereien in punkto Krim-Krise auch zum Wohle der Aktienmärkte zu entschärfen.

Zunächst hat Putin sein großes Ziel, die Krim mit Russland wiederzuvereinigen erreicht. Er, der Machtmensch Putin - der wohl beim Kreuzworträtsel auf die Frage Weltmacht mit drei Buchstaben sofort ICH eintragen würde - kann genugtuend behaupten, es dem Westen so richtig gezeigt zu haben. Das russische Trauma der mittlerweile 23 Jahre langen, geopolitischen Zurückdrängung mit Umzingelung durch Nato-Mitgliedsländer im Westen hat er durchbrochen. In Mütterchen Russland wird er dafür zwar keinen Leninorden mehr verliehen bekommen, aber er ist nun Vladimir der Große.

Wie will der Westen gegen eine russische Annexion der Krim argumentieren, wenn genau dies ca. 97 Prozent der Bevölkerung der Krim wollen. Ist der Westen nicht immer für das Selbstbestimmungsrecht der Völker eingetreten?  

Leben und Leben lassen

Hinter vorgehaltener Hand hat sich der Westen wohl längst mit den geschaffenen russischen Tatsachen abgefunden. Selbstverständlich hat der Westen Sanktionen beschlossen, da in der Politik Gesichtswahrung ein hohes Gut ist. Aber die bis jetzt ergriffenen Sanktionen sind eher Sanktiönchen, die Russland nicht wirklich weh tun. Und da die Konteneinfrierung von russischen Oligarchen seit zwei Wochen diskutiert wird, hatte jeder Betroffene genug Zeit, seine finanziellen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Wenn der Westen das harte Bestrafungen nennt, sind Wattebällchen auch Massenvernichtungswaffen.

Und Putin? In seiner Rede vor beiden Häusern des russischen Parlaments hat Vladimir der Große zwar ein deutliches Krim-Wiedervereinigungs-Pathos an den Tag gelegt und den Westen durchaus kritisiert. Aber von knallharter Rhetorik mit massiven Androhungen habe ich nichts gehört. Sicherlich muss man jetzt abwarten, ob die russischen Gegensanktionen ähnlich schwach ausfallen werden wie die Sanktionen der EU.

Insgesamt riecht das alles nicht wirklich nach Kaltem Krieg 2.0. Nach wie vor könnte die Diplomatie die softe Lösung der politischen Krise hinbekommen. Durch geschicktes Polit-Management besteht die Chance, dass sich das Thema langsam, aber sicher von den Titelseiten wegbewegt. Dann gäbe es Krim-Sekt statt Selters an den Finanzmärkten. Dann würden die Aktienbörsen vom politischen Winter befreit wie Strom und Bäche vom Eis im Frühjahr. Die Anleger könnten sich wieder mit den ordinären Problemen der Aktienmärkte wie Konjunktur, Schwellenländer oder US-Geldpolitik beschäftigen.

oder Kalter Krieg?

Bin ich zu optimistisch? Es gäbe auch die harte Variante der Konflikteskalation. Es besteht die theoretische Gefahr, dass anderenorts in der Ukraine oder in sonstigen früheren Sowjetrepubliken - z.B. in Moldawien - Scharmützel zwischen pro- und contra-russischen Gruppierungen von Putin als Alibi genutzt werden, um unter dem Deckmäntelchen des Schutzes der russischen Bevölkerung auch diese Gebiete an sich zu reißen.

Dann würde aber auch China - der langjährige außenpolitische Wegbegleiter Russlands - auf Distanz gehen. Und dann schlagen auch wirklich knallharte westliche Wirtschaftssanktionen ins russische Kontor. Russland ist zwar wie kaum ein zweites Land mit Rohstoffen - u.a. (Edel-)Metalle, Öl, Gas, Holz - gesegnet. Wirtschaftlich ist der Rohstoffriese aber eher klein, auch weil es an befriedigender Industrieinfrastruktur sowie effizienten Verwaltungs- und Wirtschaftsprozessen mangelt. Westliches Know How ist hier nicht nur erwünscht, sondern man braucht es wie Luft zum Atmen. Wenn die russischen Oligarchen ihr Geld lieber im Ausland als in Russland investieren, sagt das doch schon alles.

Das Wohl des Aktienmarkts hängt nicht zuletzt von westlicher Weisheit ab

Und nun? Die hohe Kunst der westlichen Diplomatie liegt jetzt darin, Putin frühzeitig das falsche Einbiegen in die politische und wirtschaftliche Sackgasse zu verdeutlichen und ihn wissen zu lassen, dass viele westliche Bienen auch einem großen russischen Bären durchaus das wirtschaftliche Leben zur Hölle machen können. Frei nach dem 80er-Jahre-Hit Russians von Popsänger Sting muss der Westen Putin immer wieder vorsingen I hope the Russians love their economy too .

Zunächst sollte es der Westen im Guten versuchen. Damit stutzt man nicht zuletzt die Beine der politischen Börse. Hier ist vor allem Deutschland gefragt, das die größte wirtschaftliche Front mit Russland hat. Diplomatisches Feingefühl hat Vorrang vor Kraftmeierei. Glück auf!

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