Müller und Heil wollen Kinderarbeit aus Lieferketten verbannen

Reuters · Uhr

- von Holger Hansen und Christian Krämer und Markus Wacket

Berlin (Reuters) - In der Bundesregierung nimmt das von Wirtschaftsverbänden strikt abgelehnte Vorhaben Gestalt an, Firmen per Gesetz zum Schutz der Menschenrechte bei ihren Lieferanten im Ausland zu verpflichten.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) kündigten am Dienstag ein Lieferkettengesetz an. Eine freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft sei gescheitert. Nur ein Fünftel der Unternehmen setze sie um. "Wir akzeptieren und zementieren damit die Ausbeutung von Mensch und Natur in Entwicklungsländern", sagte Müller. "Und wir tolerieren im großen Stile Kinderarbeit." Eckpunkte solle das Kabinett im August verabschieden. Davon müssen der SPD- und der CSU-Politiker aber zunächst noch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) überzeugen, der vor einem Schnellschuss warnte.

In Deutschland sollen nach Vorstellung der beiden Minister keine Produkte gehandelt werden, bei denen Teile oder Stoffe unter Verletzung von Menschenrechten hergestellt wurden. Müller verwies auf indische Teeplantagen, auf denen Frauen zwölf Stunden für einen Tageslohn von einem Dollar arbeiteten: "Das sind Verhältnisse wie in der früheren Kolonialzeit." Der Teebeutel koste im Einkauf 1,5 Cent. "Würden zwei Cent bezahlt, müssten diese Frauen nicht wie Lohnsklaven in ihren Hütten arbeiten wie in vorigen Jahrhunderten", sagte Müller. "70 Millionen Kinder arbeiten unter ausbeuterischen Bedingungen."

HEIL: GESETZ KÖNNTE ANFANG 2021 STEHEN

"Wir haben gemeinsam dafür einzustehen, Kinderarbeit zu bekämpfen", sagte Heil. Viele Unternehmen seien weiter als die Wirtschaftsverbände, die ein Gesetz ablehnten. Die Regeln müssten für alle gelten. "Für Unternehmen heißt das konkret, dass sie menschenrechtliche Risiken in ihren Lieferketten kennen müssen." Sie müssten wissen, woher welche Rohstoffe stammten und welche Arbeitsbedingungen herrschten. "Wenn Unternehmen ihr Menschenmöglichstes tun, um Menschenrechtsverletzungen entgegenzutreten, dann haften sie nicht", sagte Heil.

Trotz der Vorbehalte etwa bei Altmaier und breiter Kritik der Wirtschaftsverbände zeigten die Minister Zuversicht, dass eine Einigung in der Bundesregierung gelingt. "Wir können Anfang nächsten Jahres ein Lieferkettengesetz haben. Das ist unser Ziel", sagte Heil. Auch für Altmaier gelte der Koalitionsvertrag als Geschäftsgrundlage der Bundesregierung. Darin haben Union und SPD vereinbart, dass sie "national gesetzlich tätig" werden, wenn eine Überprüfung des Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte zu dem Ergebnis komme, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreiche.

Diesen Punkt sehen Müller und Heil nun erreicht. Sie berufen sich auf eine Überprüfung im Auftrag der Bundesregierung unter rund 7400 Unternehmen mit über 500 Beschäftigten. Demnach setzt nur gut ein Fünftel die Anforderungen an die menschenrechtliche Sorgfalt in ihren Lieferketten angemessen um. "Die Erfüller-Quote liegt bei 22 Prozent", sagte Müller. Die 2016 vereinbarte Freiwilligkeit sei damit "kläglich gescheitert".

Altmaier reagierte zurückhaltend. Er setze sich "für eine zügige europäische Lösung ein, um einen nationalen Flickenteppich" zu vermeiden, erklärte der CDU-Politiker.

ECKPUNKTE-ENTWURF SIEHT HAFTUNG VOR

Ein Reuters vorliegender früher Entwurf der für August geplanten Eckpunkte sieht eine Haftung der Unternehmen vor - allerdings "nur im Falle einer Beeinträchtigung, die bei Erfüllung der Sorgfaltspflicht vorhersehbar und vermeidbar war". Unternehmen sollen beurteilen, ob sich ihre Aktivitäten und Geschäftsbeziehungen nachteilig auf Menschenrechte auswirken. Als relevante Risikofelder werden Zwangsarbeit, Kinderarbeit, Diskriminierung, aber auch Arbeitsschutz, problematische Arbeitsbedingungen und Gesundheitsschäden genannt.

In der Wirtschaft stößt eine Gesetzesregelung auf Ablehnung, während Verbraucherverbände und Gewerkschaften diese fordern. Nach den Spitzenverbänden von Arbeitgebern, Industrie und Handel erklärte der Bundesverband für Groß- und Außenhandel, ein Sorgfaltspflichtengesetz würde die kleinen und mittleren Unternehmen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringen. Sie seien durch die Corona-Pandemie schon genug beeinträchtigt. Der Industrie-Verband BDI erklärte: "Nationale Sonderwege sind kontraproduktiv." Der Gesamtverband der Textil- und Modeindustrie warnte vor einer Wettbewerbsverzerrung, wenn die Unternehmen in die Haftung für Dritte genommen würden.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband forderte die Koalition dagegen auf, Wort zu halten. "Das Lieferkettengesetz muss kommen", erklärte der Verband. "Wenn die Mehrzahl der Unternehmen ihr Versprechen bricht, freiwillig gegen Ausbeutung und Umweltzerstörung vorzugehen, ist eine Verpflichtung per Gesetz die einzig logische Konsequenz." Die Gewerkschaft Verdi und Gesamtbetriebsräte verschiedener Textilketten erklärten, es seien "rechtsverbindliche Gesetze" erforderlich, um die Rechte von Beschäftigten und die Menschenrechte zu sichern.

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