Neue Corona-Welle - Merkel, Städte und Kliniken schlagen Alarm
- von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) - Kanzlerin Angela Merkel, Großstädte und Kliniken schlagen angesichts stark steigender Corona-Infektionen Alarm.
Merkel warnte am Freitag nach einer Video-Konferenz mit den Bürgermeistern der elf größten Städten vor einer "unkontrollierten und unkontrollierbaren" Verbreitung des Virus. Der Bund bot mehr Personal der Bundeswehr und Bundespolizei an. Bund und Städte setzten sich zudem eine Zehn-Tages-Frist zur Eindämmung der Seuche. Sonst seien "weitere gezielte Beschränkungsschritte unvermeidlich", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Die Berliner Charite und die Frankfurter Universitätsklinik warnten vor einer Zunahme von Patienten bei einem sich verschärfenden Personalmangel.
Hintergrund der Warnungen ist der starke Anstieg der Infektionszahlen: In Deutschland meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) für die vergangenen 24 Stunden 4516 neue Ansteckungsfälle. Es starben weitere elf Menschen an den Folgen des Virus, insgesamt 9589. Dass die Zahl der Todesfälle bei weitem nicht so stark steigt wie die Neuinfektionen wird damit erklärt, dass sich derzeit vor allem jüngere Personen zwischen 20 und 40 Jahren ansteckten, von denen nur ein geringerer Prozentsatz schwer erkranke. Allerdings sei zu beobachten, dass sich wieder mehr ältere Personen infizierten, warnte der Chef der Berliner Charite, Heyo Kroemer. Die Zahlen der Corona-Patienten auf den Intensivstationen stiegen stetig an.
Besonders betroffen von der Ausbreitung des Virus sind Großstädte. Eine Folge sind innerdeutsche Reisebeschränkungen. Am Freitag beschloss auch die Schweiz, Menschen aus Berlin oder Hamburg bei einer Einreise ab Montag zu zehn Tage Quarantäne zu verpflichten.
Auch in Nachbarstaaten wie Polen oder Tschechien erreichten die Infektionszahlen am Freitag Höchststände. Merkel verwies auf besonders betroffene Länder. "Ich möchte, dass Deutschland auch in den nächsten Monaten eine solche Entwicklung nicht durchmachen muss." Ein erneutes Herunterfahren von Wirtschaft und Gesellschaft wie im Frühjahr müsse vermieden werden. Die Kanzlerin appellierte auch an Jüngere, die Corona-Vorschriften einzuhalten.
ES FEHLT ÜBERALL AN PERSONAL
Zwar betonten sowohl Kroemer als auch der ärztliche Leiter des Frankfurter Uniklinikums, Jürgen Graf, dass man inzwischen mehr Erfahrung bei der Behandlung von Corona-Patienten habe. Gleichzeitig sei die Personaldecke aber sehr angespannt. Allein im Universitätsklinikum Frankfurt hätten sich in den vergangenen zwei Wochen doppelt so viele Mitarbeiter mit dem Corona-Virus infiziert wie in den drei Monaten zuvor, sagte Graf. Auf dieses Problem wies auch der Vorstand Krankenversorgung der Berliner Charite, Ulrich Frei, hin. Das Problem verschärfe sich, weil dadurch viele weitere Mitarbeiter in Quarantäne gehen müssten. Das Personal sei "der absolute Knackpunkt" bei der Versorgung der Corona-Patienten.
Merkel sagte die Prüfung der Entsendung von Bundespolizisten, Soldaten und Beamten in überforderte Städte zu. Zudem wolle man mit Hochschulen reden, um Medizinstudenten abzustellen. Bayern will die Gesundheitsbehörden mit Personal aus anderen Ministerien verstärken, kündigte Ministerpräsident Markus Söder an. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sprach von einer "großen Einigkeit" und verwies darauf, dass die Stadt bereits etliche neue Maßnahmen beschlossen habe. "Wie auch in Berlin haben sich auch andere Städte dazu entschieden, einschränkende Maßnahmen wie beispielsweise Sperrstunden für die Gastronomie, Kontaktbeschränkungen vor allem in den Innenräumen oder Alkoholverbot zu beschließen."
EINHEITLICHE LÄNDERREGELN GEFORDERT
Der Deutsche Städte- und Gemeindetag sowie Müller traten für einheitlichere Regelungen der Länder ein. "Ich hätte mir schon gewünscht, dass da mehr an einem Strang gezogen wird", sagte der Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg im ZDF. Müller kritisierte einen Flickenteppich an Länder-Regelungen etwa bei innerdeutschen Reisebeschränkungen. Hintergrund ist, dass etliche Länder Reisende aus Risikogebieten wie etwa Berlin, Frankfurt oder Essen nur noch dann beherbergen wollen, wenn sie einen negativen Test vorweisen. Solche Regelungen belasten nach Ansicht des Virologen Christian Drosten die Test-Kapazitäten immer stärker, weil sich Personen testen lassen müssten, die gar keine Symptome zeigten. Am Mittwoch will Merkel erneut mit den Ministerpräsidenten konferieren.