Türkische Lira in Abwärtsspirale – Wieviel Sprengstoff steckt in der Türkei-Krise?

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Der Absturz der türkischen Währung macht die Finanzmärkte nervös. Seit Jahresbeginn hat die Lira fast 50 Prozent an Wert zu Euro und Co. verloren. Donald Trump hat mit den US-Strafzöllen die Lage verschärft.

Die Regierung der Türkei scheint mit der aktuellen Lage etwas überfordert. Ihr Agieren gleicht eher einem blindlings um sich schlagen. Heute früh richtet Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan seine Angriffe zunächst auf Medien und andere, die über die Krise berichten. Menschen, die in den sozialen Medien die schlechte Lage der Wirtschaft negativ kommentieren oder „Spekulationen“ verbreiteten, müssten mit Konsequenzen rechnen, die bis zu 5 Jahren Gefängnis reichen können.

Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Montag berichtete, gehen nun Staatsanwälte und Ermittler anderer Behörden gegen die Urheber solcher Berichte vor, weil sie die „wirtschaftliche Sicherheit“ bedrohten. Erdogan nannte sie „Wirtschaftsterroristen“. Sie hätten „Verrat“ begangen.

Im Laufe des Tages war dann erneut Donald Trump an der Reihe. In Richtung US-Präsident sagte der Staatspräsident: „Du kannst nicht einfach aufwachen und sagen „ich führe diese Zölle auf Stahl und Aluminium ein. Das kannst Du nicht sagen“.“ Erdogan verwies darauf, dass der Türkei als Nato-Partner damit „in den Rücken und die Füße geschossen“ worden sei.

Das türkische Staatsoberhaupt deutete sogar an, dass sein Land bereit zu einem Krieg sei. Staaten, die Frieden wollten, müssten bereit zum Krieg sein, sagte er. „Wir sind bereit, mit allem, was wir haben.“ Dem verbalen Säbelrasseln folgten dann aber auch Taten.

Die Notenbank, die in der Krise lange untergetaucht war, ließ unter anderem verlauten, dass Banken sich zusätzliche Mittel in Fremdwährung leihen könnten. Es würden alle Schritte ergriffen, um die Finanzstabilität zu sichern. Der Lira-Kurs erholte sich daraufhin etwas. Short-Sellern hat die Notenbank auch direkt einen Riegel vorgeschoben.

Der türkische Finanzminister Berat Albayrak versucht unterdessen, mit einer Serie von Tweets und Interviews Vertrauen zu schaffen. Er versprach einen „Aktionsplan“. Zudem sagte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, dass Einlagen nicht beschlagnahmt und Devisen auf Bankkonten nicht in Lira umgewandelt würden.

Wir haben uns mal gefragt, wieviel Sprengstoff in der Türkeikrise steckt:

Welche Rolle spielt die Türkei als Handelspartner Deutschlands?

Aus deutscher Sicht ist die Türkei ein relativ kleiner Handelspartner. Das Land am Bosporus lag 2017 sowohl beim Export als auch beim Import auf Rang 16. Waren „Made in Germany“ im Wert von 21,5 Milliarden Euro gingen in die Türkei. Das gesamte deutsche Ausfuhrvolumen lag bei 1,278 Billionen Euro. Hauptexportgüter in die Türkei sind nach Angaben des Außenhandelsverbandes BGA Maschinen, Autos und Autoteile sowie chemische Produkte. Die Maschinenbauer bekommen die Turbulenzen bereits zu spüren: Von Januar bis Mai 2018 sanken ihre Exporte an den Bosporus um 4,7 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die negative Entwicklung dürfte sich in den nächsten Monaten fortsetzen, fürchtet der Branchenverband VDMA.

Besteht Anlass zur Sorge?

Die Turbulenzen reihen sich ein in eine Reihe von schlechten Nachrichten für Deutschlands Exporteure: der bevorstehende Brexit, die von den USA wieder in Kraft gesetzten Iran-Sanktionen und der Handelskonflikt zwischen China und den USA. Auch der Handelsstreit zwischen den USA und der Europäischen Union ist nicht ausgestanden. Bisher könnten Exporteure rückläufige Zahlen in Einzelmärkten mehr als ausgleichen, erläutert der BGA. Gerade das Geschäft in Europa wachse. „Trotz der guten Zahlen führen die Vielzahl an Konflikten und die Instabilität zu großer Unsicherheit, bei Verbrauchern wie bei Unternehmern“, befürchtet BGA-Präsident Holger Bingmann.

Was bedeutet der Lira-Verfall für deutsche Unternehmen?

Die Schwäche der türkischen Währung verteuert Waren, die in das Land eingeführt werden. Das kann die Nachfrage in der Türkei dämpfen. Auch für deutsche Unternehmen in dem Land kann der Lira-Verfall zum Problem werden. Güter und Leistungen, die sie für die Produktion in die Türkei einführen müssen, werden in Lira gerechnet teurer. Folge können steigende Preise sein, was die Absatzchancen mindern kann.

„Die Unternehmen warten ab, ziehen sich jedoch noch nicht aus dem Land zurück“, beschreibt Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) die Lage. Der weitere Absturz der Währung werde den Druck aber erhöhen. Wichtig für die Attraktivität der Türkei als Investitionsstandort und Exportmarkt seien Rechtssicherheit, die Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank sowie eine stabile Zahlungsbilanz, sagte Treier. „Hinter allen drei Kriterien setzen Investoren derzeit große Fragezeichen.“ Den Angaben zufolge sind mehr als 6500 Unternehmen aus Deutschland in der Türkei vertreten. Sie beschäftigen dort mehr 120 000 Menschen.

Wie könnten Banken von der Krise in der Türkei betroffen sein?

Nach Berechnungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) haben Banken weltweit rund 224 Milliarden Dollar an Geschäftspartner in der Türkei verliehen, umgerechnet knapp 200 Milliarden Euro. Im Vergleich zum Engagement in anderen Ländern ist das keine besonders hohe Summe. Sollten Banken Gelder nicht mehr zurückbekommen, könnte ihnen das Probleme bereiten. Für „höchst unwahrscheinlich“ hält es aber Berenberg-Ökonom Holger Schmieding, dass eventuelle Zahlungsausfälle in der Türkei „eine Kreditklemme in irgendeinem Teil der Eurozone“ nach sich ziehen könnten.

Welche Institute sind besonders stark in der Türkei engagiert?

Für Institute wie die Großbanken BBVA (Spanien), Unicredit (Italien) oder BNP Paribas (Frankreich) hat das Türkei-Geschäft – auch über hohe Beteiligungen an türkischen Banken – größeren Stellenwert als für deutsche Banken. Nach den BIZ-Zahlen für das erste Quartal 2018 sind spanische Institute mit mehr als 80 Milliarden Dollar am stärksten in der Türkei engagiert, es folgen französische Banken mit 35 Milliarden Dollar. Deutsche Banken haben demnach Türkei-Kredite im Volumen von insgesamt knapp 13 Milliarden Dollar in den Büchern.

Die Deutsche Bundesbank kommt auf einer etwas breiteren Berechnungsgrundlage auf eine höhere Zahl: Demnach summieren sich die Forderungen von Banken in Deutschland gegenüber Geschäftspartnern in der Türkei auf rund 21 Milliarden Euro (Stand Juni 2018). Die Commerzbank etwa beziffert ihr Kredit- oder Handelsrisiko mit Bezug zur Türkei in ihrem jüngsten Zwischenbericht auf 2,5 Milliarden Euro.

Wie groß ist die Ansteckungsgefahr für die deutsche Wirtschaft?

„Die Türkei-Krise wird sich auf die deutsche Wirtschaft kaum auswirken“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Er verweist auf den vergleichsweise geringen Warenexport in die Türkei. „Die noch nicht endgültig abgewendeten Autozölle der USA sind für Deutschland ein viel größeres Risiko“, argumentiert Krämer. Die USA sind der wichtigste Einzelmarkt für Deutschlands Exportunternehmen.

Auch nach Einschätzung von Berenberg-Ökonom Schmieding sind die Türkei-Turbulenzen keine ernsthafte Bedrohung für die Wirtschaft im Euroraum. Selbst ein Einbruch der Exporte aus den Euroländern um 20 Prozent würde nicht mehr als 0,1 Prozentpunkte Wachstum kosten.

Wer profitiert von dem Lira-Verfall?

Reisende können in dem Land am Bosporus billiger shoppen, auch der Restaurantbesuch kostet weniger. Zwar stieg die Inflation im Juli auf fast 16 Prozent. „Auch unter Berücksichtigung des Kaufkraftverlusts ist die Türkei jedoch mit dem jüngsten Wechselkursniveau für deutsche Urlauber erheblich billiger geworden“, erklären Experten der BayernLB. Auf Preisnachlässe bei Übernachtung und Flug können Pauschalurlauber deswegen aktuell aber nicht hoffen. Die Preise stehen schon lange fest. Veranstalter schließen die Verträge für Hotel- und Flugkontingente Monate vorher und in der Regel in Euro ab.

Onvista /dpaAFX

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