Was die Zentralbanken nicht verstehen (wollen?)

Bernd Schmid · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Vor wenigen Wochen habe ich meinem Frust gegenüber der FED freien Lauf gelassen. Die Kapitulation von Jerome Powell gegenüber den Märkten, nachdem er bei Amtsantritt noch wie ein überzeugter Falke schien, enttäuschte mich. Es hilft einem Anleger jedoch nichts, frustriert zu sein. Man muss der Realität in die Augen blicken. Und die makroökonomische Realität scheint zu sein, dass ein japanisches Szenario vor allem in Europa immer wahrscheinlicher wird.

Die japanische Zentralbank Bank of Japan (BOJ) fing als Reaktion auf die dortige Wirtschafts- und  Marktkrise vor allem Ende der 1990er-Jahre verstärkt an, ihre Bilanz per Gelddruckpolitik aufzublähen - und hat diese bis heute nicht eingestellt. In der Zwischenzeit ist die BOJ im Besitz von japanischen Anleihen und Aktien in Höhe von mehr als 100 % der dortigen Wirtschaftsleistung. Sie gehört außerdem laut nikkei.com zu den Top-10-Aktionären in 40 % aller börsennotierten Unternehmen in Japan. Und am Markt für Staatsanleihen gibt es teilweise Tage, an denen einige davon gar nicht gehandelt werden - da sich diese zu 40 % im Besitz der BOJ befinden. Mit einem freien Markt hat das nicht mehr viel zu tun.

Die Worte der beiden anderen großen Zentralbanken unserer Welt (der Federal Reserve FED in den USA und unserer Europäischen Zentralbank EZB) lassen ebenfalls den Schluss zu, dass man den vor allem seit der Finanzkrise einmal aufgesaugten Bestand von Anleihen im Wert von mehreren Billionen Dollar und Euro eher unwahrscheinlich wieder abbauen, sondern wahrscheinlicher weiter aufbauen wird. All das in der Hoffnung, dass die Banken all die Euros und Dollars verwenden, um endlich wieder mehr Kredite an Unternehmen zu vergeben, damit das Wirtschaftswachstum wieder besser in Schwung kommt.

Was die Zentralbanken, allen voran die EZB, dabei scheinbar nicht wahrhaben wollen, ist, dass dies nur geschehen kann, wenn es Abnehmer für solche Kredite gibt. Wollen oder können Unternehmen hingegen nicht mehr so viele Schulden aufnehmen, zum Beispiel weil sie eigentlich lieber Schulden abbauen wollen oder müssen, dann wird das nichts mit der Befeuerung der Wirtschaft durch immer noch mehr frisches Geld aus dem Drucker, egal wie billig es ist. Es sei denn, Staaten wie Deutschland, die noch Kapazitäten für zusätzliche Schulden hätten, überlegen es sich anders und nutzen wieder mehr Schulden, um zum Beispiel notwendige Investitionen in Bildung oder Infrastruktur vorzunehmen. Aber das lassen der Vertrag von Maastricht und unsere Mentalität hier in Deutschland nicht zu.

Das viele zusätzlich gedruckte Geld wird also auch in Zukunft eher unwahrscheinlich in die Wirtschaft fließen. Stattdessen wird es wohl weiter im Finanzsystem stecken bleiben - und so anstatt zu einer von den Zentralbanken gewollten Verbraucherpreisinflation zu einer weiteren Vermögenspreisinflation führen, auch wenn die Zentralbanken abstreiten wollen, dass sie etwas mit dem steigenden Ungleichgewicht bei der Vermögensverteilung zu tun haben.

Das ist aus meiner Sicht auch der Grund, weshalb die Märkte seit Ende Dezember und Anfang Januar wieder optimistischer sind - wahrscheinlich höhere Vermögenspreise in der Zukunft heißt, dass es sich auch heute lohnt, höhere Preise zu zahlen.

Die fundamentale Entwicklung von Unternehmen und Wirtschaft spielt dabei jedoch kaum eine Rolle. Aber das ist der Punkt, an dem es für langfristig orientierte Anleger interessant wird. Denn langfristig folgen die Kurse unserer Aktien den Entwicklungen der Unternehmen, zu denen sie gehören.

Im Umkehrschluss bedeutet das für mich, dass wir solchen Entwicklungen als Anleger nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken sollten. Sie helfen zwar zu verstehen, weshalb sich die Märkte kurzfristig in die eine oder andere Richtung bewegen. Aber sie steigern oder schmälern nicht den Wert unserer Unternehmen.

Es sei denn, diese Politik schlägt sich doch noch irgendwann einmal positiv in der Realwirtschaft nieder und führt zu einem wieder höheren Wachstum ‒ das beflügelt dann Umsätze und Gewinne unserer Unternehmen und steigert so ihren Wert. Diese „Gefahr“ sehe ich nur, wie gesagt, bei der aktuellen Politik nicht.

Vielleicht mit einer Ausnahme: Wenn die Zentralbanken ihre Gedankenspielchen um Helikoptergeld wahr machen. Denn wenn sie frisch gedrucktes Geld direkt in die Kassen unserer Regierungen spülen (oder warum nicht direkt auf die Konten von uns Bürgern?), ohne dafür Anleihen oder Ähnliches aufzukaufen, dann ist auf einmal mehr Geld in der Wirtschaft ohne zusätzlich geschaffene Schulden, die bedient werden wollen. Mit einem solchen Geld entstünden für die Empfänger plötzlich ganz andere Möglichkeiten.

Noch sind wir aber nicht so weit. Und um ehrlich zu sein, klingt das alles ziemlich abstrus und unwirklich. Aber das war vor zehn Jahren auch nicht anders, wenn man Wirtschaftsfachmännern erzählt hätte, dass Zentralbanken ihre Bilanzen durch den Zukauf von Staats- und Unternehmensanleihen und Aktien in wenigen Jahren mal kurz auf eine zweistellige Billionenzahl verfünffachen würden.

Man sollte selbst die verrücktesten Gedanken einfach nicht ausschließen. Aus diesem Grund gehe ich jetzt auch lieber wieder zurück zu meinen Unternehmensrecherchen. Dort hat man es mit etwas handfesteren Dingen zu tun ‒ von denen man als Anleger auch in Zukunft wird profitieren können.

Titelfoto: Alexandros Michailidis / Shutterstock.com

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