Kutzers Zwischenruf: Zu früh zum Jubeln – Auf aktuelle Konjunkturdaten achten!

Hermann Kutzer · Uhr

Die Börse versucht die Zukunft vorwegzunehmen, das Morgen schon heute einzupreisen. Die Qualität der Kursentwicklung ist dadurch kurzfristiger geworden, denn das Eskomptieren von Konjunktur- und Unternehmensentwicklungen fällt im Zuge von Digitalisierung und Globalisierung noch schwerer als früher. Folge: Die Volatilität nimmt zu, das gilt sogar für die Kursschwankungen im Verlauf eines Handelstags. Sind dazu noch (gravierende) externe Krisen zu verkraften, sollte der Anleger kurzfristigen Zuckungen des Aktienmarkts nicht trauen. Das gilt gerade jetzt. Nach meinen Beobachtungen neigt die Börse aktuell zu voreiliger Zuversicht und folgt einzelnen positiven Signalen – das Corona-Gesamtbild ist aber auch nach den Ostertagen noch stark uneinheitlich und rechtfertigt keine Euphorie.

Bezeichnend, wie heute Vormittag eine Meldung aus China „gefeiert“ wurde, obwohl sie gerade mal einen Monat betrifft: Zwar ist der Handel im März im Zuge der Coronavirus-Pandemie deutlich geschrumpft, allerdings weniger als von Experten erwartet. Die chinesischen Exporte gingen im vergangenen Monat um 6,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurück, wie die heute veröffentlichte Behördendaten zeigten. Von Reuters befragte Analysten hatten im Schnitt mit einem Minus von 14 Prozent gerechnet. Selbst wenn man die Verständigung der führenden Rohölproduzenten dazu nimmt sowie die weiteren Ankündigungen von Staaten und Notenbanken, der Wirtschaft mit enormen Summen zu helfen, als Pluspunkte betrachtet – die Dauer der Covid-19-Krise und damit ihre Folgen sind noch nicht absehbar.

Von wirklicher Euphorie der Börsianer kann freilich keine Rede sein. Selbst die Bullen sind noch verhalten optimistisch. Und an warnenden Stimmen aus dem Kreis der Volkswirte und Analysten ist kein Mangel. Kein Wunder, denn das Coronavirus stellt die große Finanzkrise im Jahr 2008 in den Schatten. Wachstumsprognosen werden sozusagen am laufenden Band nach unten korrigiert. Und internationale Strategen geben zu: „Sollten die strengen Regelungen weltweit länger aufrechterhalten werden, könnte das Wachstum noch weitaus geringer ausfallen als bislang angenommen.“

Dass die Pandemie und ihre Folgen nach Ländern zunehmend unterschiedlich gesehen werden müssen, bestätigt mir eine heute vorgelegte Analyse von Darren Williams, Chefvolkswirt beim Asset Manager AllianceBernstein (AB). Eine mögliche Erholung nach Aufhebung der Einschränkungen sieht Williams vor allem in den USA gefährdet – trotz rascher und umfangreicher Regierungsmaßnahmen: „Auch wenn die US-Wirtschaft die frühere Trendwachstumsrate von etwa 2 Prozent pro Jahr wieder erreichen könnte, glauben wir dennoch, dass es zu einem dauerhaften Aktivitätsverlust kommen wird.“ Die

Krise werde Wunden in der Wirtschaft hinterlassen, die wahrscheinlich nicht vollständig heilen werden. Die Situation in China beurteilt der Ökonom dagegen durchaus optimistisch. Die Daten für März seien ermutigender, da 90 Prozent der Großunternehmen ihre Geschäftstätigkeit wieder aufnähmen.

Meine Empfehlung an vorsichtige Privatanleger: Noch immer ist Geduld angesagt. Warten Sie mit neuen Aktivitäten noch ein paar Tage ab und beobachten Sie neben den Wirtschaftsprognosen (z.B. vom IWF) die kommenden Meldungen von der Berichtssaison fürs erste Quartal – obwohl die nur begrenzte Aussagekraft besitzen können. Achten Sie für die Aktienauswahl auch auf die Unternehmensaussagen zur Ertragsentwicklung und zur Dividende!

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