Ifo-Geschäftsklima: Sorgenfalten deutscher Manager werden immer größer - Ökonomen-Einschätzungen zum schwachen Ifo-Index

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Gasknappheit, Inflation, Materialengpässe: Die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft hat sich im Juni wegen einer Vielzahl von Risiken unerwartet deutlich eingetrübt.

Der Ifo-Geschäftsklimaindex fiel nach zuvor zwei Anstiegen in Folge um 0,7 auf 92,3 Punkte, wie das Münchner Ifo-Institut am Freitag zu seiner Umfrage unter rund 9000 Managern mitteilte. Von Reuters befragte Ökonomen hatten nur einen Mini-Rückgang auf 92,9 Punkte erwartet. "Steigende Energiepreise und die drohende Gasknappheit bereiten der deutschen Wirtschaft große Sorgen", erklärte Ifo-Präsident Clemens Fuest den Abwärtstrend. Die Führungskräfte äußerten sich zu ihrer Geschäftslage etwas und zu den Aussichten für die kommenden sechs Monate deutlich skeptischer als zuletzt.

Gas-Lieferungen für europäische Wirtschaft das größte Damoklesschwert

Dass der wichtigste Frühindikator für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft moderat gefallen ist, hat vor allem einen Grund: Die befragten Unternehmen antworteten, bevor Russland seine Gaslieferungen deutlich eingeschränkt hat. "Tatsächlich ist die konjunkturelle Situation labil", warnte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. "Zum einen könnte es nach einer weiteren Reduzierung der russischen Gaslieferungen zu einer folgenschweren Rationierung von Gas in der Industrie kommen. Zum anderen dürften die massiven Zinserhöhungen der US-Notenbank im kommenden Jahr eine Rezession auslösen." Die USA sind der wichtigste deutsche Exportkunde.

Vor allem in Handel und Industrie hat sich die Stimmung merklich eingetrübt. "Insbesondere die chemische Industrie ist höchst beunruhigt", sagte Fuest mit Blick auf die Gasversorgung, auf die diese Branche besonders angewiesen ist und für die Wirtschaftsminister Robert Habeck die zweite Stufe das Notfallplans ausgerufen hat. Am Bau und bei den Dienstleistern hat sich die Stimmung dagegen aufgehellt, bei letzteren vor allem wegen der Corona-Lockerungen. "Besonders das Gastgewerbe setzt auf einen guten Sommer", sagte Ifo-Experte Wohlrabe.

Die Einschätzungen von Ökonomen im Überblick

Ulrich Kater, Chefvolkswirt Dekabank: "Angesichts einer gefährdeten Energieversorgung, rekordhoher Inflationsraten und zerrütteten Produktionsketten ist es erstaunlich, dass sich die Stimmung in den Unternehmen auf diesem Niveau hält. Die verschlechterten Erwartungen zeigen ganz klar, dass für die Firmen die wesentliche Herausforderung in der Energieversorgung im kommenden Winter besteht. Insgesamt wird wohl nicht mehr als eine Stagnation für die deutsche Volkswirtschaft in diesem Jahr drin sein."

Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank: "Zwar war der Rückgang des Geschäftsklimas etwas größer als vom Durchschnitt der zuvor befragten Volkswirte erwartet. Aber mit Blick auf die reduzierte Lieferung russischen Gases ist der Rückgang moderat. Denn die am 13. Juni verkündete Beschränkung der Gaslieferungen dürfte sich nur in einem Teil der Antworten bei der Ifo-Umfrage niedergeschlagen haben. Ein Großteil der vom Ifo befragten Unternehmen antwortet nämlich normalerweise bereits zu Beginn des Monats. Erst zur Monatsmitte fasst das Ifo-Institut bei den Unternehmen nach, die noch nicht geantwortet haben. "

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank: "Die deutsche Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Rezessionsgefahren sind nicht von der Hand zu weisen. Dass die Auftragseingänge für die deutsche Industrie zuletzt dreimal in Folge deutlich nachgaben, ist Warnzeichen genug. Die Unternehmen blicken nicht nur mit Sorge auf die kommenden Quartale, sondern lassen dem auch Taten folgen. Es wird weniger investiert und damit weniger bestellt. Das sind keine gute Vorzeichen für die Konjunktur. Der ifo-Geschäftsklimaindex bläst heute in das gleiche Horn."

Jörg Zeuner, Chefvolkswirt Union Investment: "Die Unsicherheit erhält weiter Nahrung, wenn die kürzlich von Russland gekappten Gaslieferungen von Dauer sind oder gar weiter reduziert werden. Sollten sich hier anhaltende Versorgungsengpässe abzeichnen, dann dürften die Erwartungen in den kommenden Monaten weiter absacken. Entsprechend unsicher bleibt es an der Börse: Die Kurse dürften weiter schwankungsanfällig bleiben."

Ulrich Wortberg, Analyst Landesbank Hessen-Thüringen: "Unternehmen haben mit hohen Rohstoffpreisen, Lieferengpässen, geopolitischer Verunsicherung und steigenden Zinsen zu kämpfen. Insofern zeichnet sich eine Abkühlung der konjunkturellen Dynamik ab. Dennoch sollten die von der EZB avisierten Zinserhöhungen nicht in Frage gestellt werden. Die Währungshüter haben sich klar dazu bekannt, der viel zu hohen Inflation mit Zinserhöhungen zu begegnen. Bei den längerfristigen Zinserwartungen könnte es aber eine Korrektur geben, die gestern bereits nach den enttäuschenden Einkaufsmanagerindizes eingesetzt hat."

Rezession als unausweichliches Szenario?

Der russische Einmarsch in die Ukraine sorgt für steigende Rohstoffpreise, zunehmende Lieferengpässe und erhöhte Unsicherheit bei Firmen und Verbrauchern. Das Ifo-Institut hat deshalb gerade erst seine Prognose für das Wachstum der deutschen Wirtschaft in diesem Jahr gesenkt - und zwar von 3,1 auf 2,5 Prozent. Im kommenden Jahr soll sich das Wachstum dann auf 3,7 Prozent beschleunigen.

Allerdings befürchten Ökonomen bei ausbleibenden russischen Gaslieferungen eine schwere Rezession im Winter. "Die Lage auf dem Gasmarkt ist bedrohlich", sagte der Regierungsberater und Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Jens Südekum. "Es drohen dann eine Rationierung des Gasbezugs und damit Produktionsstopps in der Industrie. Eine schwere Rezession könnte die Folge sein."

onvista/dpa-AFX/reuters

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