Metaller vor stürmischem Tarifherbst - acht Prozent mehr Lohn gefordert

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- von Ilona Wissenbach

Hamburg/Frankfurt (Reuters) - In der Metall- und Elektroindustrie zeichnet sich ein harter Tarifstreit ab.

Die Tarifkommissionen der Gewerkschaftsbezirke der IG Metall beschlossen eine Lohnforderung von acht Prozent - das obere Ende der von Gewerkschaftsboss Jörg Hofmann kürzlich empfohlenen Spanne. "Die Forderung heißt acht Prozent, und die wollen wir tatsächlich durchsetzen", betonte der Chef des Bezirks Baden-Württemberg, Roman Zitzelsberger. Mit Arbeitskampf sei nach Ablauf der Friedenspflicht Ende Oktober zu rechnen, wenn es bis dahin keine Lösung gäbe. "Die Beschäftigten erwarten angesichts der stark steigenden Preise und der guten Auftrags- und Ertragslage in vielen Betrieben eine ordentliche Erhöhung", erklärte NRW-Bezirksleiter Knut Giesler. Die regionalen Arbeitgeberverbände wiesen die Forderung als überzogen zurück.

Die IG Metall sieht die Unternehmen trotz steigender Kosten und Lieferengpässen in einer guten Lage. Die Auftragsbücher seien voll, die Gewinne teils außergewöhnlich hoch. "Wir gehen sehr selbstbewusst in diese Tarifrunde mit guten Argumenten", sagte Hofmann. Die Gewerkschaftsspitze beschließt die Forderung endgültig am 11. Juli. Die Verhandlungen mit den Arbeitgebern des mit 3,9 Millionen Beschäftigten größten Industriezweigs sollen Mitte September beginnen. Die Friedenspflicht endet am 28. Oktober, danach wäre Streik möglich.

WINDSTÄRKE ZWÖLF

Die acht Prozent Lohnplus bei zwölf Monaten Laufzeit wurden in den regionalen Tarifkommissionen zumeist einstimmig beschlossen. In Baden-Württemberg mit seiner gut verdienenden Autoindustrie standen auch Forderungen von zehn Prozent im Raum, wie sie etwa vom Betriebsrat des Autobauers Mercedes-Benz laut wurden. Betriebe im Maschinenbau oder unter Autozulieferern müssen dagegen kämpfen, um schwarze Zahlen zu schreiben. Verhandlungsführer Zitzelsberger zufolge gab es daher auch mäßigende Stimmen in der Tarifkommission. Er rechne mit "orkanartigem Gegenwind" der Arbeitgeberseite "mit Windstärke elf", doch die IG Metall sei dann zu Windstärke zwölf fähig.

Die acht Prozent seien für die Belegschaften in großen Unternehmen wie Airbus und Mercedes-Benz eher die Untergrenze, sagte der IGM-Bezirkschef Küste, Daniel Friedrich. "Aber wir haben natürlich auch Betriebe und Regionen, wo die wirtschaftliche Situation nicht so gut ist." Auch er erwartet einen stürmischen Herbst. "Wir sind gegebenenfalls schnell in einer Eskalation", sagte Friedrich. Mit dem Arbeitgeberverband gebe es einen guten Gesprächskanal. "Aber bei Geld hört die Freundschaft auf."

ARBEITGEBER WARNEN - JOBS IN GEFAHR

Die Arbeitgeber werfen der Gewerkschaft Realitätsverlust vor. Volle Auftragsbücher nützten bei Produktionsproblemen durch gestörte Lieferketten nichts. Die acht Prozent seien außerhalb aller Möglichkeiten, erklärte der Chef von Südwestmetall, Joachim Schulz. Das Gros der Unternehmen habe mit gestörten Lieferketten und steigenden Produktionskosten zu kämpfen, während die Aussichten ungewisser seien denn je. "Einen zusätzlichen Schub bei den Personalkosten können sie sich gar nicht leisten", sagte Schulz. Die IG Metall beschwöre zur Unzeit einen Tarifkonflikt herauf.

Die NRW-Metallarbeitgeber konterten die "völlig unrealistische" Forderung mit dem Hinweis, die Metall- und Elektrobranche liege nach Einbrüchen in der Corona-Pandemie teilweise deutlich unter dem Vorkrisenniveau von 2019. Die Firmen seien Preisschocks ausgesetzt und stünden unter massivem Veränderungsdruck. Eine auch Umsetzung dieser Forderung würde zahlreiche Arbeitsplätze aufs Spiel setzen. "Ich kann die IG Metall vor den Folgen einer überzogenen Tarifpolitik auch für die Beschäftigung nur warnen", erklärte Verbandspräsident Arndt Kirchhoff. Die Verhandlungsführerin der Nord-Arbeitgeber, Lena Ströbele, nannte die Forderung übertrieben. Seit 2007 seien die Bruttoverdienste in der Branche um 40 Prozent gestiegen, die Verbraucherpreise aber nur um 25 Prozent.

LOHN-PREIS-SPIRALE?

Die ohnehin schon hohe Inflation drohe durch falsche tarifpolitische Weichenstellungen angeheizt zu werden, erklärte NRW-Arbeitgeberchef Kirchhoff. Nach Ansicht der Gewerkschaft dagegen kurbelt ein kräftiges Tarifplus keine Lohn-Preis-Spirale an. Höhere Löhne stärkten die Kaufkraft und seien daher ein Beitrag gegen drohende Stagflation, sagte Zitzelsberger.

Die Ökonomen des RWI-Instituts gehen nicht davon aus, dass sich Löhne und Preis gegenseitig hochschaukeln. Die Löhne seien zwar zuletzt stärker gestiegen als im Schnitt der vergangenen Jahre, erklärten die Essener Ökonomen und Regierungsberater kürzlich. Gleichzeitig ziehe die Inflation kräftig an und erhöhe die Lebenshaltungskosten deutlich. Daher müssten deutschlandweit Arbeitnehmer fallende Reallöhne hinnehmen. Es sei auch nicht zu erwarten, dass kommende Lohnsteigerungen 2022 und 2023 mit der Inflationsrate Schritt hielten, "so dass sich derzeit keine Lohn-Preis-Spirale abzeichnet". Das RWI schätzt, dass die Tariflöhne in diesem Jahr nominal um 2,6 Prozent steigen, 2023 dann um 3,6 Prozent.

(Mitarbeit von Jan C. Schwartz, Rene Wagner, Matthias Inverardi; redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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