Bund rückt von striktem Nein zu AKW-Laufzeit-Verlängerung ab

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Berlin (Reuters) - Die Bundesregierung rückt von ihrem bisherigen Nein zu einer Laufzeit-Verlängerung der verbliebenen drei Atomkraftwerke ab.

Das Wirtschaftsministerium verwies am Montag auf eine neu angeordnete Prüfung der Sicherheit der Stromversorgung unter bestimmten Szenarien. "Auf der Basis dieser Ergebnisse wird dann entschieden, was zu tun ist", sagte eine Sprecherin auf die Frage nach einer möglichen Laufzeitverlängerung. Ein erster Stresstest für das Stromsystem hatte laut Ministerium ergeben, dass eine Verlängerung nicht nötig sei. Jetzt aber habe man die Stromnetz-Betreiber zu einem zweiten Test unter verschärften Annahmen aufgefordert, das Ergebnis soll in einigen Wochen vorliegen. "Wir rechnen jetzt nochmal und entscheiden dann auf der Basis von klaren Fakten." Die FDP sprach von einem richtigen Schritt, lehnt aber einen Deal gegen ein Tempolimit ab. In der SPD wurde betont, weiter spreche vieles gegen eine Verlängerung.

Derzeit laufen noch drei Atomkraftwerke, Emsland Niedersachsen, Neckarwestheim II in Baden-Württemberg sowie Isar II in Bayern. Sie erzeugen noch gut fünf Prozent des deutschen Stroms. Ihre Laufzeit ist bis Ende des Jahres gesetzlich begrenzt. Dann stünden neue Sicherheitsüberprüfungen an und auch die Brennstäbe wären weitgehend aufgebraucht. Im Frühjahr kam die Regierung nach einer Prüfung aus einem Bündel von Gründen zu dem Schluss, dass eine Laufzeitverlängerung keine Lösung sei. Dennoch hielt ein Gutachten des TÜV-Süd einen begrenzten Weiterbetrieb etwa über den gesamten Winter für möglich und befeuerte die Debatte. Auch die Union und Teile der FDP sprechen sich für einen Weiterbetrieb aus und warfen den Grünen eine ideologische Blockade vor. Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann betonte mit Blick auf den nun neuen Stresstest für die Stromversorgung, die Frage der Laufzeitverlängerung sei nie eine ideologische, sondern immer eine fachliche für die Regierung gewesen.

PAPIER WIRTSCHAFTSMINISTERIUM - BAYERN BESONDERS IM BLICK

Laut einem Papier des Wirtschaftsministeriums soll der zweite Stresstest unter nochmals verschärften Annahmen von den Übertragungs-Netzbetreibern umgesetzt werden. Dazu gehören zum Beispiel noch höhere Preisannahmen für Gas, was Rückwirkungen auf den Strompreis hat. Zudem wird ein "noch gravierenderer Ausfall von Gaslieferungen und ein stärkerer Ausfall von französischen Atomkraftwerken" angenommen. Zudem werde die Sondersituation im Süden Deutschlands noch stärker in den Blick genommen, insbesondere in Bayern, heißt es in dem Papier. Dort gebe es zwar Gaskraftwerke, aber wenig Kohlekraftwerke und die letzten Kernkraftwerke würden abgeschaltet. Gleichzeitig habe Bayern wenig Windenergie.

FDP-Energieexperte Michael Kruse lobte das Vorgehen der Regierung: "Der nun angekündigte aktuelle Stresstest ist notwendig, um die Gefahren der Versorgung im Vorhinein realistisch zu bewerten und noch rechtzeitig reagieren zu können." Er verwies auf einen möglichen massenhaften Einsatz von Heizlüftern, sollte Gas noch knapper und teurer werden. "Mit dem befristeten Weiterbetrieb der laufenden Kernkraftwerke können wir uns zusätzlich für den kommenden Winter wappnen und aktiv einer Strommangellage entgegenarbeiten", sagte er Reuters.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr sprach sich zwar erneut für längere Laufzeiten aus, lehnt aber einen Deal gegen ein Tempolimit mit den Grünen ab. Das nütze im Winter nichts, da Sprit nicht Teil des Strommarkts sei. "Was bringt es denn, etwas zu machen, wenn es in der Sache nicht hilft, sondern nur politisch vermeintlich schick aussieht?", sagte er "Bild-TV"

Die SPD-Energieexpertin Nina Scheer nannte den Stesstest richtig, warnte aber: "Es fehlen Sicherheitsüberprüfungen, Atomenergie ist schwer regelbar, die teuerste Form der Energiegewinnung, sie bleibt Risikotechnologie und produziert hochradioaktiven Müll." Wichtiger sei der Ausbau Erneuerbarer Energien.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte noch vor kurzem etwa auf Fragen aus der bayerischen Wirtschaft gesagt, er sehe keinen Anlass für eine Laufzeitverlängerung. Auch Umwelt- und Reaktorsicherheitsministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte sie mit Hinweis auf das Risiko der Atomkraft strikt abgelehnt. Die bisherige Rechtslage sieht ein Abschalten der Anlagen bis Jahresende vor. Auch die Betreiber hatten überwiegend erklärt, sie hätten kein Interesse daran, die Meiler weiterlaufen zu lassen.