Top-Ökonomen kritisieren Intel-Förderung - "Augenwischerei"

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Berlin (Reuters) - Top-Ökonomen kritisieren die milliardenschweren Subventionen für die Ansiedlung einer Fabrik des US-Chipherstellers Intel in Magdeburg.

"Lieferrisiken gibt es bei vielen Produkten, das gehört zum normalen Geschäftsleben", sagte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, am Montag der Nachrichtenagentur Reuters angesichts der Halbleiteroffensive der EU, die damit die Abhängigkeit von Lieferungen aus Asien und den USA verringern will. "Absicherung dagegen ist primär Aufgabe der Unternehmen, nicht des Staates." Die im Raum stehende Fördersumme von bis zu zehn Milliarden Euro sei eine sehr hohe Versicherungsprämie. Zudem gebe es Alternativen zu heimischer Produktion wie etwa Diversifizierung der Lieferanten, Lagerhaltung und Recycling. "Darüber hinaus ist nicht klar, was eigentlich genau in Magdeburg produziert wird, ob es die Chips sind, die Deutschland oder Europa brauchen, und an wen diese Chips im Krisenfall geliefert werden", kritisierte Fuest.

"IN BILDUNG BESSER ANGELEGT"

Kritik kommt auch vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). "Das Geld wäre definitiv besser angelegt in Bildung als für solche Prestigeprojekte", sagte IfW-Vizepräsident Stefan Kooths. "Bildungsrenditen sind ungleich höher als die jeder Sachkapitalinvestition." Deutschland habe hier große Probleme, wie etwa die hohen Abbrecherquoten im Schulsystem zeigten. Zudem werde mit der hohen Förderung ein Signal der Schwäche in die Welt gesendet. "Wir zeigen, dass Intel nur kommt, wenn Standortnachteile durch Subventionen ausgeglichen werden", sagte Kooths. "Die Intel-Milliarden fehlen, um Standortnachteile wie etwa die hohe Abgabenquote anzugehen." Der Ökonom bezweifelt auch, dass unterm Strich tatsächlich Tausende neue Jobs entstehen würden. "Ich halte das Arbeitsplatzargument für Augenwischerei." Intel ziehe zwar gut qualifizierte Beschäftigte an. Die aber wären wohl auch woanders untergekommen. "Intel wird kleineren Unternehmen Arbeitskräfte abjagen", sagte Kooths und rät der Politik: "Den Subventionsgeist, der jetzt aus der Flasche gelassen wurde, muss man wieder in die Flasche zurückbekommen."

Auch das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sieht die Förderung kritisch. "Mit dem europäischen Chip-Gesetz hat sich Europa in den internationalen Subventionswettlauf begeben", sagte ZEW-Präsident Achim Wambach. Da die USA ihre Chipindustrie massiv förderten, um unabhängiger von Taiwan zu werden, verliere folglich für Europa die sicherheitspolitische Begründung für einen Ausbau der heimischen Chipindustrie an Gewicht. "Für den proklamierten Ausbau der technologischen Führungsrolle Europas wäre eine Förderung von Forschung und Entwicklung zielführender", sagte Wambach.

DOPPEL-SUBVENTION?

Ifo-Chef Fuest kritisiert zudem, dass die als extrem energieintensiv geltenden Chipfabriken durch den geplanten Industriestrompreis zusätzlich subventioniert werden sollen. "Im Übrigen passt die Neuansiedlung derartig energieintensiver Firmen nicht zu anderen Maßnahmen wie etwa der Deckelung des Energieverbrauchs durch das Energieeffizienzgesetz", sagte der Ökonom. "Zumindest sollte man darauf bestehen, dass in erheblichem Umfang Forschung und Entwicklung in Magdeburg angesiedelt werden." Wegen der positiven Wirkung auf andere Unternehmen und Akteure, zum Beispiel durch Wissensübertragungen, ließen sich Subventionen dann eher rechtfertigen.

Nach monatelangem Poker ist der Vertrag für den Bau einer neuen Chipfabrik von Intel in Magdeburg in trockenen Tüchern. Eine entsprechende Vereinbarung wurde im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz und Intel-Chef Pat Gelsinger in Berlin unterzeichnet. Bis zuletzt war um die Höhe der Subventionen für dieses Projekt gerungen worden. Reuters-Informationen zufolge ist von rund zehn Milliarden Euro die Rede. Ursprünglich waren 6,8 Milliarden Euro in Aussicht gestellt worden.

(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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