Deutschland hofft Freitag auf Einigung auf Reform der EU-Schuldenregeln

Berlin (Reuters) - Die Bundesregierung hält eine politische Einigung auf Grundpfeiler für eine Reform der EU-Schuldenregeln noch diese Woche für möglich.
"Ich glaube, man kann jetzt sagen, dass an uns - also an Deutschland und Frankreich - eine politische Einigung am Ende nicht scheitern würde", sagte ein deutscher Regierungsvertreter am Mittwoch vor den womöglich entscheidenden Beratungen der europäischen Finanzminister am Donnerstag und Freitag in Brüssel. Es habe zuletzt sehr intensive Gespräche zwischen Berlin und Paris gegeben - und sich dabei seit September einiges bewegt. Die Chance für eine Einigung bezifferte er auf mindestens 50 Prozent.
Es gebe allerdings noch eine große Hürde im Defizitverfahren, also beim Umgang mit Staaten, die eine zu hohe Neuverschuldung haben, erläuterte der deutsche Regierungsvertreter. Hier pochten einige EU-Staaten darauf, die Zinskosten herauszurechnen beim Abbau von strukturellen Defiziten. Das sei vor allem in Zeiten steigender Zinskosten bedeutend. Deutschland könne dies nicht mittragen, so der Regierungsvertreter. "Das ist für uns tatsächliche eine rote Linie." In Defizitverfahren sollen EU-Staaten ihre Defizite unter die Marke von drei Prozent im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung bringen - und zwar in Schritten von 0,5 Prozentpunkten.
EU-Vertreter hatten sich Anfang dieser Woche deutlich skeptischer geäußert, dass eine Grundsatzeinigung noch in diesem Jahr gelingen kann. Die Differenzen seien zu groß, sagten mehrere EU-Insider der Nachrichtenagentur Reuters. Eine gemeinsame Position müsste dann Anfang 2024 mit dem Europäischen Parlament verhandelt werden. Dafür könnte sonst weniger Zeit bleiben. Diese ist ohnehin knapp, weil das Parlament im Juni 2024 neu gewählt wird und sich schon davor auflöst.
Die EU-Kommission will künftig individuell ausgehandelte Abbaupfade für EU-Staaten mit zu hohen Haushaltsdefiziten und Schuldenständen - statt bislang pauschaler Vorgaben. EU-Länder sollen in der Regel in einem Zeitraum von vier Jahren ihre Werte verbessern müssen, teilweise innerhalb von sieben Jahren. Deutschland pocht aber auf konkrete und jährliche Abbauziele sowie insgesamt mehr Ambitionen beim Schuldenabbau.
Die EU-Schuldenregeln sind seit 2020 zunächst wegen der Corona-Pandemie und später wegen der Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ausgesetzt worden, sollen aber ab 2024 wieder greifen. In der Zeit sind die Schuldenstände deutlich gestiegen. Eigentlich gilt in der Europäischen Union eine Obergrenze beim Haushaltsdefizit von drei Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung und 60 Prozent beim gesamten Schuldenstand. Gegen die Vorgaben wurde in der Vergangenheit aber immer wieder verstoßen, ohne dass dies nennenswerte Konsequenzen gehabt hätte.
AMPEL-HAUSHALTSKRISE AUCH THEMA IN BRÜSSEL
Die alten Regeln werden ab Anfang 2024 zwar wieder greifen. Allerdings werden erst die Haushaltsentwürfe für 2025 dann vermutlich auf Basis reformierter Regeln bewertet. Das gibt der EU noch etwas Zeit, bis alle Verhandlungen zwischen den Institutionen abgeschlossen sind und alle Rechtstexte in Kraft getreten.
Thema in Brüssel dürfte auch werden, wie Deutschland auf das weitreichende Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Mitte November reagieren will. Seitdem liegen die Beratungen über den Etatentwurf 2024 im Bundestag auf Eis. Fieberhaft suchen die Spitzen der Ampel-Koalition eine Lösung - bislang aber vergeblich. Im Kern geht der Streit um die Frage, ob die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wegen einer Notlage 2024 erneut und dann schon das fünfte Jahr in Folge ausgesetzt werden sollte. Dies wollen SPD und Grüne, die FDP lehnt es ab. Durch den Karlsruher Richterspruch wurden 60 Milliarden Euro aus dem Klimafonds KTF gestrichen. Auch andere Sondertöpfe müssen nun auf eine verfassungsrechtlich solide Grundlage gestellt werden.
In der EU wird teilweise befürchtet, dass Deutschland auf einen strengen Sparkurs umschwenken könnte, was die Wirtschaft zusätzlich abwürgen würde. Trotz zahlreicher Verhandlungen in Berlin wird Finanzminister Christian Lindner (FDP) von Donnerstagnachmittag bis Freitagnachmittag in Brüssel erwartet. Dort treffen sich zunächst die Euro- und dann die EU-Finanzminister.
(Bericht von Christian Krämer, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)