Wie Fremdenfeindlichkeit Deutschlands Firmen Fachkräfte kostet

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- von Christoph Steitz und Sarah Marsh

Chemnitz (Reuters) - Deutsche Unternehmen suchen händeringend nach Fachkräften.

Die zunehmende Fremdenfeindlichkeit erschwert ihnen allerdings die Anwerbung von Mitarbeitern aus dem Ausland.

Einige Firmen müssen wegen des raueren politischen Klimas zugezogene Beschäftigte sogar wieder ziehen lassen. "Zwei unserer ausländischen Mitarbeiter haben Deutschland verlassen, weil sie gesagt haben, dass sie sich hier nicht mehr wohl und sicher fühlen", berichtet Detlef Neuhaus, Chef der Solarfirma SolarWatt aus Dresden. "Das sind direkte Folgen der sich eintrübenden Stimmung hier im Lande. Es gab in beiden Fällen keine konkreten Bedrohungen, aber die Atmosphäre im Land hat sich einfach aufgeheizt."

Bei der Chemnitzer Chemiefirma CAC Engineering haben in den vergangenen zwölf Monaten etwa fünf der 40 ausländischen Beschäftigten wegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit gekündigt, berichtet Geschäftsführer Jörg Engelmann. "Wir tun, was wir können. Aber wir können kein Bodyguard sein. Es gibt Teile der Bevölkerung, die nicht erkennen, dass es sich um ausländische Fachkräfte handelt, die in Deutschland einen echten Beitrag leisten wollen."

Auch Karsten Schulze, Geschäftsführer des Chemnitzer Software-Anbieters FDTech, berichtet von Kündigungen ausländischer Mitarbeiter. "Ja, wir haben hier ein Problem mit Fremdenfeindlichkeit. Aber das haben nicht nur wir hier in Sachsen, in Chemnitz, sondern das haben wir in ganz Deutschland. Und by the way, auch in ganz Europa."

Bei Community4You, einem weiteren Chemnitzer Softwarehaus, sind einige Beschäftigte in andere Teile der Republik gezogen. Dazu gehört auch der für das Tagesgeschäft zuständige Chef, Lavinio Cerquetti. "In Chemnitz hatte ich manchmal das Gefühl, dass die Tatsache, dass ich vorsichtig sein musste, auch damit zusammenhing, dass ich Ausländer bin", sagt der Italiener. Er wohnt inzwischen in der Nähe von Leipzig, das er als kosmopolitischer empfindet.

DEUTSCHLANDS IMAGE LEIDET

Im Ausland habe sich der Rechtsruck bereits herumgesprochen, berichtet Deniz Ates, der die auf IT-Kräfte spezialisierte Personalvermittlung Who Moves leitet. Er sei im vergangenen Jahr auf einer Informationsveranstaltung in Indien erstmals auf die politische Stimmung in Deutschland angesprochen worden. Für einige der Teilnehmer sei ein Umzug in die Bundesrepublik keine Option mehr. "Der wichtigste Faktor bei der Entscheidung für eine Bewerbung ist: Fühle ich mich sicher? Fühle ich mich willkommen?"

Der indische Anwalt Romy Kumar hat wegen der wachsenden Fremdenfeindlichkeit seinen geplanten Umzug nach Europa auf Eis gelegt, obwohl er dort mehrere Monate des Jahres verbringt. "Das dämpft die Risikobereitschaft, in das nächste Flugzeug zu springen und dort etwas aufzubauen. Deshalb gehe ich es langsam an und versuche abzuschätzen, wohin die Reise geht."

Einer Umfrage der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) aus den Jahren 2022 und 2023 zufolge ist Deutschland für ausländische Fachkräfte zwar weiterhin attraktiv. Allerdings berichteten zahlreiche der 30.000 Befragten von Diskriminierungserfahrungen nach ihrem Umzug.

WACHSENDE FREMDENFEINDLICHKEIT

Dem Bundesinnenministerium zufolge hat sich die Zahl der Straftaten mit fremdenfeindlichen Hintergrund zwischen 2013 und 2022 auf gut 10.000 mehr als verdreifacht. Gleichzeitig werden den Unternehmen wegen des demografischen Wandels nach offiziellen Schätzungen im Jahr 2035 sieben Millionen Fachkräfte fehlen, bei insgesamt 46 Millionen Erwerbstätigen.

Besonders auffällig ist der Rechtsruck in Ostdeutschland, wo wegen der Firmenschließungen nach der Wiedervereinigung 1990 ein großer Teil der jüngeren Bevölkerung abgewandert ist. So ist die Einwohnerzahl von Chemnitz, dem früheren Karl-Marx-Stadt, seither um etwa 20 Prozent auf 250.000 geschrumpft. Gleichzeitig sei der Ausländeranteil auf 14 von zwei Prozent gestiegen, ergibt eine Auswertung des örtlichen FOG-Instituts für Markt- und Sozialforschung.

Ähnlich wie in anderen Orten treffen sich in Chemnitz wöchentlich etwa 250 Personen zu Demonstrationen, bei denen zuletzt nationalistische Lieder gesungen und russische Fahnen geschwenkt wurden. Die 84-jährige Chemnitzerin Christine Willauer beklagt, dass Asylsuchende finanzielle Zuwendungen bekämen, die älteren Menschen vorenthalten würden. "Wenn ich in der Stadt bin, habe ich an manchen Tagen das Gefühl, dass nicht mehr viele Menschen meine Muttersprache sprechen."

AUFSTIEG DER AFD - DISKUSSION UM "REMIGRATION"

Der politische Hauptprofiteur dieser Stimmung ist die Alternative für Deutschland (AfD), die teilweise als rechtsextrem eingestuft und vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Bei den anstehenden Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern könnte sie jeweils stärkste Partei werden. Führende Mitglieder der Organisation verbreiten immer wieder rassistische Verschwörungstheorien wie die des "Großen Austauschs", derzufolge die politischen Eliten die weiße europäische Bevölkerung durch nicht-weiße Immigranten ersetzen wollen.

Im Januar 2024 sorgte ein Bericht des Recherchenetzwerks Correctiv über ein Treffen von AfD-Funktionären mit Rechtsextremen für Aufsehen. Dabei sei unter anderem die Massenausweisung von Einwanderern diskutiert worden. Einer der Redner war der als rechtsextrem eingestufte Martin Sellner, der seit Jahren die sogenannte Remigration propagiert. Zuwanderer sollten zur Anpassung gedrängt werden, sagt er der Nachrichtenagentur Reuters. Dies könne Anreize für eine freiwillige Rückkehr beinhalten. Deutschland solle wieder deutscher werden.

Diese Entwicklung bereitet inzwischen nicht nur kleineren Unternehmen und Mittelständlern Sorgen. Auch Spitzenmanager großer Konzerne aus Deutschland und den Niederlanden positionieren sich zunehmend gegen Rechts. Sie befürchten, beim Wettbewerb um ausländische Talente ins Hintertreffen zu geraten. Wirtschaftliche Schäden durch eine verschärfte Abschottung befürchtet die AfD dagegen nicht. Die Regierung lenke von ihren hausgemachten Problemen ab und benutze die AfD als Sündenbock, teilt die Partei Reuters mit und verweist auf die hohen Energiepreise, die durch den deutschen Atomausstieg und den Ausbau der erneuerbaren Energien verschärft würden.

EUROPÄISCHE KULTURHAUPTSTADT CHEMNITZ

Bei einem Massenexodus ausländischer Arbeitskräfte würde Chemnitz "auseinanderfallen", warnt Matthias Nowak, Sprecher der Stadt. So seien 40 Prozent des Klinikpersonals Migranten. Ohnehin sei die Mehrheit der Bürger gegen Extremismus. Die Gemeinde versuche, diese "Schweigende Mitte" mit verschiedenen Initiativen zu aktivieren. Seit 2018, als ausländerfeindliche Demonstrationen in Ausschreitungen endeten, seien die Hilfen für anti-rassistische und demokratiefördernde Projekte erhöht worden. Damit bereitet sich Chemnitz auf die Ernennung zur europäischen Kulturhauptstadt des Jahres 2025 vor.

Die rechtsextreme Partei Pro Chemnitz will den Geburtsort des Schriftstellers Stefan Heym dagegen zur "Hauptstadt der Remigration" machen. "Von jener Kultur, die seit 2015 nach Deutschland herübergeschwappt ist, haben wir wahrlich genug - dazu reicht ein Blick in die Innenstadt", schreibt Pro Chemnitz auf dem Messengerdienst Telegram. Für einen Kommentar hierzu war die Partei nicht zu erreichen.

(Mitarbeit von Toby Sterling und Andreas Rinke; geschrieben von Hakan Ersen, redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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