Merz denkt an "nationale Notlage" bei Migration - Scholz offen für Kooperation

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- von Andreas Rinke und Alexander Ratz

Delitzsch/Berlin/Jena (Reuters) - Als Konsequenz aus dem Anschlag von Solingen haben sich Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) offen für eine Zusammenarbeit gegen illegale Migration gezeigt.

Allerdings wurden am Dienstag nach einem gut einstündigen Gespräch im Kanzleramt gravierende Differenzen deutlich: Merz forderte vom Kanzler, notfalls eine "nationale Notlage" zu erklären, falls es in der EU nicht kurzfristig gelinge, die illegale Migration einzudämmen. "Dem Bundeskanzler entgleitet mittlerweile das eigene Land", kritisierte er. Scholz wiederum begrüßte zwar das Gesprächsangebot, betonte jedoch bei einem Auftritt im sächsischen Delitzsch, die Regierung werde sich auch weiter an internationale und europäische Regeln sowie das Grundgesetz halten.

Merz hatte nach dem Gespräch eine Pressekonferenz anberaumt, in der er Scholz indirekt zu einem Bruch der Ampel-Koalition aufforderte. Union und SPD könnten nötige Gesetze ohne Rücksicht auf Grüne und FDP beschließen, sagte Merz. Es gehe der Union nicht darum, Teil der Regierung zu werden. Aber CDU/CSU seien nicht unschuldig daran, dass die irreguläre Migration in Deutschland aus dem Ruder gelaufen sei. Er wolle deshalb mit den Teilen der Koalition, die guten Willens seien, das Problem lösen. Neben der Zurückweisung von Syrern und Afghanen an der deutschen Grenze seien etwa Änderungen im Aufenthaltsrecht und im Bundespolizeigesetz nötig. "Es reicht, wir müssen jetzt zu Entscheidungen kommen", sagte Merz. "Es gibt kein Tabu, wir können über alle Regeln reden."

Der CDU-Chef forderte von Scholz auch, dass beide Seiten eine Person benennen sollten, die Vorschläge für fundamentale Gesetzesänderungen erarbeiten solle. Für die Union wäre das der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei. Scholz habe in dem Gespräch auf den Vorschlag nicht geantwortet, er sei aber sicher, dass es in den kommenden Tagen eine Antwort geben werde. "Ich habe das Prinzip, aus vertraulichen Gesprächen nicht zu berichten", sagte Scholz am Abend in Delitzsch.

"IN DER SUMME ZU VIELE"

Scholz reagierte auf SPD-Wahlkampfveranstaltungen in Jena und Delitzsch positiv auf das Merz-Angebot, ging aber nicht auf die Aufforderung zum Koalitionsbruch ein. Er wies am Abend darauf hin, dass die Ampel-Regierung schon etliche Maßnahmen ergriffen habe, weshalb die Zahl der irregulären Migration sinken und die der Abschiebungen steigen würde.

"Nur weil man schon gehandelt hat, darf man niemals die Hände in den Schoß legen", fügte der Kanzler in Jena hinzu. "Deshalb ist es richtig, wenn auch der Oppositionsführer im Deutschen Bundestag Zusammenarbeit anbietet bei der Reduzierung der irregulären Migration", sagte der SPD-Politiker. "Wir wollen und müssen die irreguläre Migration begrenzen. Sie ist zu hoch", betonte auch Scholz. Praktische Vorschläge seien willkommen.

"Genauso richtig ist, dass wir das machen entlang der Prinzipien, die für die Demokratie und die Art und Weise, wie wir dieses Land miteinander gestalten, wichtig sind", fügte Scholz hinzu. Vor ihm hatte schon Justizminister Marco Buschmann (FDP) die Forderung nach einer generellen Zurückweisung von Syrern und Afghanen als rechtswidrig abgelehnt.

Ohne Merz namentlich zu nennen, warnte der Kanzler zudem davor, unrealistische Forderungen aufzustellen. Das Schlimmste in dieser Situation seien "lauter wilde Sprücheklopfer, die, weil sie hinterher nichts liefern, noch wildere Sprüche klopfen müssen". Stattdessen müsse man sich sehr genau und immer wieder im Detail anschauen, wo die eigentlichen Probleme etwa bei Rückführungen lägen.

Scholz bekräftigte, dass es zur Abschiebung von Straftätern auch nach Syrien und Afghanistan kommen werde. "Alle können sich darauf verlassen: Wir arbeiten hart daran, dass wir diese Absicht auch in die Tat umsetzen können", sagte er. "Das ist etwas, worauf wir uns verpflichtet haben, die ganze Regierung. Und das ist mein Wille als Bundeskanzler." Allerdings gibt es etwa im grün-geführten Außenministerium Vorbehalte.

LINDNER OFFEN FÜR ABSPRACHEN

Merz hatte bei seinem Auftritt nur Scholz, nicht aber der FDP ein Kooperationsangebot gemacht. FDP-Chef Christian Lindner betonte dennoch gegenüber der "Bild": "Die FDP steht zu überparteilichen Anstrengungen bereit, neuen Realismus in der Migration von Bund und Ländern konsequent durchzusetzen." Die Vorschläge des CDU-Chefs "decken sich stark mit denen der FDP". Kritik kam vom Vize-SPD-Fraktionschef Dirk Wiese: In schwierigen Zeiten müssten Regierung und Opposition zwar Parteigrenzen überwinden, sagte er der Funke-Mediengruppe. "Das muss aber mit voller Ernsthaftigkeit vorgetragen werden. Die Aufforderung zum Koalitionsbruch ist doch eher den Wahlen am Sonntag geschuldet."

(Redigiert von Scot W. Stevenson Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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