Steuerschätzung beschert Ampel Zündstoff für Etat-Planung

- von Holger Hansen und Maria Martinez und Rene Wagner
Washington/Berlin (Reuters) - Die ohnehin über den Haushalt für 2025 streitende Ampel-Koalition steht nach der Steuerschätzung vor nochmals erschwerten Verhandlungen.
Finanzminister Christian Lindner bezifferte den Handlungsbedarf für den Etatentwurf unter dem Strich auf einen einstelligen Milliardenbetrag, "der näher bei zehn als bei eins ist". Der FDP-Chef forderte Einsparungen im Ressort von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), etwa durch eine Pauschalierung der Unterkunftskosten beim Bürgergeld und durch eine Absenkung der monatlichen Zahlungen für 2025. Eine Aufweichung der Schuldenbremse lehnte Lindner erneut ab.
"Wir sind jetzt mitten angekommen im von mir so genannten Herbst der Entscheidungen", sagte Lindner, der sich zum Treffen der G7- und G20-Finanzminister in Washington aufhielt, mit Blick auf SPD und Grüne. "Neue Ausgabenwünsche können nicht erfüllt werden. Im Gegenteil: Wir müssen weiter konsolidieren." Dabei gehe es um ineffiziente Subventionen und die Treffsicherheit des Sozialstaates: "Konkret werden wir eine neue Diskussion über weitere Maßnahmen etwa beim Bürgergeld führen müssen."
LINDNER PLANT MEHR SCHULDEN UND INTEL-FÖRDERGELDER EIN
Streit in der Koalition ist damit programmiert, da SPD und Grüne Kürzungen beim Bürgergeld bisher ablehnen. Zudem will Lindner nicht benötigte Fördergelder für eine Chipfabrik von Intel in Magdeburg in voller Höhe zur Verringerung von Etat-Lücken heranziehen. Das seien für 2024 und 2025 sieben Milliarden Euro. "Es gibt dazu keine Alternative", sagte Lindner. "Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass es hier kein Einvernehmen gibt." Das Wirtschaftsministerium unter dem Grünen Robert Habeck hatte darauf gepocht, dass zumindest ein Teil des Geldes im Klima- und Transformationsfonds verbleibt. Der FDP-Chef machte auch deutlich, dass er an der geplanten Steuerentlastung für 2025 bei der kalten Progression festhalte.
Keinen Widerstand bei den Koalitionspartnern dürfte es indes bei Lindners Vorhaben geben, den Verschuldungsspielraum im Rahmen der Schuldenbremse 2025 in voller Höhe auszunutzen. Das wären nochmals 5,4 Milliarden Euro. Zudem will Lindner im Etat eine Lücke von bis zu 9,6 Milliarden Euro lassen, die zum Jahresende 2025 durch übliche Ausgabenreste geschlossen würde.
Lindner wollte seine Schlussfolgerungen nicht als Kampfansage verstanden wissen. "Ich verbinde mit dieser Pressekonferenz nichts, als auf Realitäten hinzuweisen", sagte Lindner. Denen müsse sich jeder stellen.
GESAMTSTAAT MUSS MIT 58,1 MRD EURO WENIGER AUSKOMMEN
Bund, Länder und Gemeinden müssen in den Jahren bis 2028 mit 58,1 Milliarden Euro weniger auskommen als noch im Mai erwartet, erklärte der Arbeitskreis Steuerschätzung. Allein auf den Bund entfallen Mindereinnahmen von rund 12,6 Milliarden Euro. Für das laufende Jahr verbucht der Bund gegenüber der Mai-Schätzung demnach ein Minus von 3,4 Milliarden Euro. Für 2025 seien im Bund 700 Millionen Euro mehr zu erwarten. Unterm Strich fehlen laut Finanzministerium 13,5 Milliarden Euro an Steuereinnahmen im Bund für 2025, wenn geringere Beiträge an die EU und in der Etatplanung getroffene höhere Annahmen berücksichtigt würden.
Ökonomen machten die Konjunkturflaute für das Einnahmeloch verantwortlich. Der Abschwung schlage "voll auf die Einnahmen durch", sagte der Finanzexperte des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Friedrich Heinemann.
Unions-Vizefraktionschef Mathias Middelberg warf SPD, Grünen und FDP vor, die reduzierte Steuerschätzung sei "das Ergebnis der chaotischen Wirtschaftspolitik". Der Chefhaushälter der Unions-Fraktion, Christian Haase, erklärte: "Drei Jahre Ampel-Koalition mit zwei Jahren Rezession hinterlassen deutliche negative Spuren. Das Land wirkt wie gelähmt."
Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler forderte "neue wirtschaftliche und soziale Impulse". Die Herausforderungen für den Bundeshaushalt seien beherrschbar. SPD-Vizefraktionschef Achim Post forderte die zeitnahe Verabschiedung der Wachstumsinitiative der Koalition. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai plädierte erneut für eine Wirtschaftswende. Die Gewerkschaft Verdi forderte, auf Steuersenkungen 2025 zu verzichten. Die Wirtschaft warnte vor Steuererhöhungen.
(Mitarbeit: Alexander Ratz; Redigiert von Scot W. StevensonBei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)