Habeck warnt vor Scheitern der Ampel - Scholz fordert Pragmatismus

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- von Andreas Rinke und Christian Krämer

Berlin (Reuters) - Nach dem ersten Spitzenrunde zur Beilegung des Ampel-Streits über den Wirtschaftskurs der Regierung haben sich Kanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner mahnend zu Wort gemeldet.

Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) warnte ungewöhnlich deutlich vor einem Scheitern der Ampel-Regierung. Scholz (SPD) forderte von den Ampel-Partnern "Pragmatismus" ein. FDP-Chef Lindner wiederum pochte darauf, dass es wirklich einen Neustart in der Wirtschaftspolitik geben müsse. Erstmals deutete sich nach der Gesprächsrunde ein Kompromiss bei einem wichtigen Streitthema an: Habeck signalisierte Bereitschaft, die eigentlich für den Chipkonzern Intel vorgesehenen, nun aber vorerst nicht mehr benötigten Milliarden zur Reduzierung von Haushaltslöchern zu nutzen.

Am Mittag war das Trio zu der ersten von mehreren Beratungen im Kanzleramt zusammengekommen, um bis Mittwoch eine Einigung in der Frage zu finden, wie die lahmende Wirtschaft wieder angekurbelt werden kann. "Jetzt geht es darum, die notwendigen Entscheidungen zu treffen ‑ angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch der Notwendigkeit, dem Parlament noch ein paar zusätzliche Vorschläge für den endgültigen Abschluss des Haushaltes für das nächste Jahr zu machen", sagte Scholz und beanspruchte die Führungsrolle in den Beratungen. "Ich bin der Kanzler", betonte er. "Die Regierung ist gewählt im Amt und wird ihre Aufgaben erledigen. Mir ist wichtig, dass dabei Wirtschaft und Arbeitsplätze im Mittelpunkt der Betrachtung stehen."

SCHWANKEN AM RANDES DES KOALITIONSBRUCHS

Brisanz erhält die Debatte nicht nur dadurch, dass die in Umfragen unbeliebte Ampel schwierige Aufgaben wie die Verabschiedung des Haushalts 2025, des Rentenpakets 2 oder des Wachstumschancengesetzes zu beschließen hat. Seit Wochen wird auch spekuliert, dass die FDP die Koalition verlassen könnte, weil sie sich dadurch bessere Chancen ausrechnet, wieder in den nächsten Bundestag einzuziehen - und deshalb einen Vorwand für den Bruch sucht. Die schon bei Landtagswahlen gebeutelte Partei steht in Umfragen konstant unterhalb der Fünf-Prozent-Schwelle. Auf die Frage, ob mit dem Koalitionsausschuss am Mittwoch Schluss sein könnte, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am Montag: "Das wird man sehen." Er forderte Habeck namentlich auf, seine Politik zu ändern. "Die bisherige Wirtschaftspolitik war nicht erfolgreich."

SPD-Co-Chefin Saskia Esken wiederum heizte den Streit mit Kritik an Lindner an, dem sie bereits Wahlkampf vorwarf. "Ich habe dort keinen Vorschlag gefunden, der geeignet wäre, in dieser sozialdemokratisch geführten Regierung umgesetzt zu werden", sagte sie zu dem vom Finanzminister vorgelegten 18-seitigen Papier mit Vorschlägen wie der Abschaffung des Solidaritätszuschlags, eines Gesetzesmoratoriums oder der Verschiebung des Ziel der Klimaneutralität um fünf Jahre auf 2050. Am Abend forderte Lindner die ersatzlose Streichung des Lieferketten-Sorgfaltgesetzes.

HABECK: SIND IN SCHWEREM FAHRWASSER

Habeck warnte, die Ampel sei in schwerem Fahrwasser. "Die letzten Tage waren schlecht für Deutschland", sagte er. Der Streit habe nicht das Vertrauen in die Regierung gestärkt - und dies zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, weil Russland auf dem Vormarsch in der Ukraine sei, die US-Wahl bevorstehe und die Wirtschaft sich schlecht entwickele. "Dies ist die schlechteste Zeit, dass die Regierung scheitert."

Scholz mahnte auch deshalb die Ernsthaftigkeit aller Partner an. "Dazu muss man seriös arbeiten. Das ist das, was ich von allen erwarte", sagte er. Scholz hat mit Lindner und Habeck vereinbart, dass diese sich mehrfach vor dem Koalitionsausschuss mit den Spitzen der Ampel-Parteien und -Fraktionen am Mittwochabend treffen. Dann soll geklärt werden, ob es gelungen ist, ein für alle Seiten zufriedenstellendes Konzept vorzulegen.

Grünen-Co-Chef Omid Nouripour betonte, dass man in der Ampel weiterarbeiten wolle. "Wir wollen den Bruch nicht. Wir gehen auch davon aus, dass andere vertragstreu sind", sagte er nach der Sitzung der Parteigremien. Dafür brauche es aber eine Ernsthaftigkeit, die der Situation gerecht werde. Linder sagte am Abend in Düsseldorf, dass er hoffe, auf der Frühjahrstagung des IWF im kommenden Jahr verkünden zu können, dass Deutschland die Trendwende geschafft habe.

Kommende Woche sollen sich die Haushälter der drei Ampel-Fraktionen auf einen Bundeshaushalt 2025 einigen. "Was man nicht verkennen darf, ist, dass wir ohne Haushalt ganz lange über einen längeren Zeitraum politisch nicht voll handlungsfähig sind.", sagte Habeck am Abend in der ARD. Die gegenwärtige Situation bezeichnete er als Hängepartie.

Habeck hatte am Nachmittag zudem gefordert, die im Sommer beschlossene Wachstumsinitiative - ein Maßnahmenbündel zur Stärkung des Standorts - müsse schnell und vollständig umgesetzt werden. Dies könnte bis zu 0,5 Prozentpunkte mehr Wachstum bringen. Dieser Impuls werde dringend benötigt.

(Unter Mitarbeit von Matthias Inverardi, Holger Hansen und Alexander Ratz. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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