Union und FDP lehnen Scholz-Vorschlag für Mehrwertsteuersenkung ab

Reuters · Uhr
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Berlin (Reuters) - SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat für seinen überraschenden Vorschlag zur Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel wenig Unterstützung erhalten.

Union und FDP kritisierten das Vorhaben am Mittwoch als durchschaubares Wahlkampfmanöver. Auch der Handelsverband HDE äußerte sich ablehnend. Bei Ökonomen stieß die Idee auf ein geteiltes Echo.

Für die meisten Lebensmittel gilt in Deutschland der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent. Scholz will diesen auf fünf Prozent senken. "Das würde ganz vielen, die wenig Geld verdienen, helfen. Und es wäre für den Bundeshaushalt keine übermäßige Belastung", sagte er am Dienstagabend in der ARD. Auf die Frage, ob Scholz auch den Mehrwertsteuersatz für die Gastronomie senken würde, sagte der SPD-Politiker, dass es nun erst einmal wichtig sei, "dass wir etwas sehr Überschaubares machen, was jeder beim täglichen Bedarf jeden Tag merkt".

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, wertete dies in einem Interview der Sender RTL und ntv als Wahlgeschenk. Zwar seien Steuersenkungen grundsätzlich positiv, aber sie müssten eingebettet sein in ein wirtschafts- und finanzpolitisches Gesamtkonzept. Hier agiere der Bundeskanzler auf brüchigem Boden. "Er hat nämlich keinen Haushalt für das kommende Jahr. Insofern stellt sich die Frage, woher möchte er es denn eigentlich finanzieren? Und das ist die Fortsetzung rot-grüner Haushalts- und Finanzpolitik, nämlich alles auf Pump und zulasten zukünftiger Generationen zu machen." Sinnvoller wäre eine Wirtschaftspolitik, die mehr auf Wachstum ausgerichtet sei. CDU-Chef Friedrich Merz sagte in einem Reuters-Interview, haushaltswirksame Entscheidungen werde die Union vor der Wahl Ende Februar nicht mehr mit der rot-grünen Minderheitsregierung gemeinsam fällen.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr kritisierte, die SPD mache Steuerversprechen immer nur im Wahlkampf, nicht aber in der Regierung. "Als FDP mussten wir während unserer gesamten Regierungszeit dafür sorgen, dass SPD und Grüne die Steuern auf Lebensmittel nicht erhöhen. Die Verlängerung der Gastro-Mehrwertsteuersenkung ist an der SPD gescheitert." Speisen in Restaurants und Kantinen seien dadurch teurer geworden. "Sinnvoller wäre es, die Einkommensteuer zu senken und damit die Menschen und die kleinen Betriebe in der Breite zu entlasten."

WIRTSCHAFT NICHT BEGEISTERT

Der HDE betonte, das Mehrwertsteuerrecht sei schon kompliziert, die Verwaltung mit Kosten von ein bis vier Prozent des Umsatzes der Unternehmen teuer genug. "Wenn jetzt noch zusätzlich zu den bestehenden Differenzierungen neue Absenkungen hinzukommen, steigen diese Verwaltungskosten noch weiter an", sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth zu Reuters. "Absenkungen der Mehrwertsteuer sind Entlastungen mit der Gießkanne. Das ist nicht zielgenau."

Dem Steuerschätzer Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Wirtschaftsforschungsinstitut IfW zufolge könnten sich die Einnahmeausfälle auf etwa fünf Milliarden Euro belaufen. Allerdings gebe es ein "Rückspiel". Die geringere Steuer dürfte zu etwa 80 Prozent über niedrigere Preise weitergereicht werden. Die anderen 20 Prozent erhöhten die Gewinne der Anbieter, was zu höheren Steuereinnahmen führen sollte. Inhaltlich lehnte IfW-Forscher Stefan Kooths den Vorschlag ab: "Sinkt die Mehrwertsteuer für Lebensmittel, futtern auch die Millionäre billiger, und ein Teil dürfte auch auf der Produzentenseite hängenbleiben."

Anderer Meinung ist hier der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher: "Eine Senkung der reduzierten Mehrwertsteuer ist ein gutes Instrument, um vor allem Menschen mit geringen Einkommen schnell und unbürokratisch zu entlasten", sagte der Ökonom der "Rheinischen Post" laut Vorabbericht. "Die Stimmung bei den Unternehmen und auch bei den Bürgerinnen und Bürgern ist äußerst negativ, daher ist es klug, wenn die Politik die Menschen stärker unterstützt und ein klares Signal setzt."

Der Finanzwissenschaftler Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung konterte, je mehr die Anwendung des normalen Mehrwertsteuersatzes von 19 Prozent durchlöchert werde, desto stärker werde der Druck, diesen noch weiter anzuheben. "Meine Prognose ist, dass wir 2026 einen Mehrwertsteuersatz von 20 oder 21 Prozent haben werden, wenn die nächste Regierung noch mehr Ausnahmen zulässt."

(Bericht von Christian Krämer, Rene Wagner und Andreas Rinke, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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