Aktien sind teuer und werden auch nicht mehr billig – zumindest nach alten Standards
US-amerikanische Aktien sind historisch hoch bewertet. Doch der Vergleich mit alten Maßstäben hinkt, wie ein genauerer Blick auf den Goldstandard der Bewertungsmetriken zeigt.

Wer sich nach alten Bewertungsstandards richtet, um sich für oder gegen den Einstieg in Aktien zu entscheiden, wird in diesem Leben vielleicht nie wieder Aktien kaufen. Das gilt im Grunde seit Jahren. Kurs-Gewinn-Verhältnissen (KGV) jenseits von 20, 30 oder sogar 40 sind keine Seltenheit, vor allem nicht bei den Überflieger-Aktien aus dem Tech-Sektor.
Wie teuer diese Titel, und mittlerweile der ganze Markt sind, zeigt besonders das Shiller-KGV (auch: CAPE-Ratio) eindrücklich. Hierbei wird der Kurs ins Verhältnis zu den geglätteten und inflationsadjustierten Gewinnen der vergangenen zehn Jahre gesetzt.
Das verhindert, dass Ausreißer die Bewertung verzerren. Das Shiller-KGV ist damit so etwas wie der Goldstandard der fundamentalen Bewertung. Bis heute pflegt der Schöpfer des Shiller-KGVs, Yale-Professor Robert Shiller, eine entsprechende Datenbank.
Selten rangierte das Shiller-KGV höher als heute
Mittlerweile steht das Shiller-KGV beim S&P 500 auf einem schwindelerregenden Niveau von 37 Punkten. Viel höher geht es im Grunde auch gar nicht. Sein bisher höchstes Niveau erreichte der Indikator im Dezember 1999, nach dem Dotcom-Boom der 1990er, mit 44,20 Punkten.

Anders ausgedrückt: US-Aktien sind praktisch historisch teuer. Um auf den langfristigen Mittelwert seit 1881 von 17,6 Punkten zurückzukehren, müsste sich das Shiller-KGV mehr als halbieren. Doch das wird es vermutlich nicht. Und Anleger sollten sich von diesen Bewertungen nicht schrecken lassen.
„Die Firmen verdienen diese Premium-Bewertung“
Denn die Firmen verdienen diese Bewertung, erklärt US-Investmentstratege Michael Batnick auf seinem Blog. Schon 2018 hatte Batnick angemerkt, dass sich die Bewertungen nicht mehr mit historischen Mittelwerten vergleichen lassen könnten.
Damals stand das Shiller-KGV bei 33. Dennoch legte der S&P 500 seitdem um über 100 Prozent zu. „Mein Punkt war, ja, Bewertungen sind hoch, aber die Firmen sind heute besser und verdienen diese Premium-Bewertung“, kommentiert Batnick seine damalige Einschätzung.
„Ich habe ja nicht gesagt, ein hohes Shiller-KGV sei bullisch. Tatsächlich mahnte ich damals oft, dass Anleger mit niedrigeren Renditen rechnen sollten. Ich war aber niemals glücklicher darüber, falsch gelegen zu haben“, so Batnick.
Die jüngere Vergangenheit gibt Batnick Recht. Wer beispielsweise Ende 2022, nach einem verlustreichen Jahr, angesichts des weiter hohen Shiller-KGVs des S&P 500 (damals rund 30 Zähler) nicht eingestiegen wäre, hätte nicht nur ein, sondern gleich zwei Jahre mit Renditen jenseits der 20 Prozent verpasst.
Vergleiche mit dem historischen Shiller-KGV taugen nichts mehr
Generell, sagt Batnick, sei es aus drei Gründen albern, bei Bewertungen wie dem Shiller-KGV historische Mittelwerte heranzuziehen. Erstens habe die „Entdeckung“ der Metrik in den 1990ern selbst das Wesen des Marktes geändert. „Märkte sind lebendig. Sie passen sich an und entwickeln sich weiter, wie ein Organismus.“
Was Batnick damit meint: Anleger im Jahr 1929 kannten das Shiller-KGV nicht. Folglich konnten sie daher keine Entscheidungen anhand der Metrik treffen. Heute richten sich Investoren nach dieser Metrik. Damit beeinflusst das Shiller-KGV den Markt und damit die eigene Basis der Berechnung.
Zweitens stieg der indicator seit den 1980ern stetig an. „In den vergangenen 25 Jahren fiel das Shiller-KGV genau einmal auf den historischen Schnitt, und zwar zum Tiefpunkt der Großen Finanzkrise. Wenn es so ein Ereignis braucht, um auf den historischen Schnitt zurückzukehren, sollte man überdenken, was ein probates Vergleichsniveau wirklich ist.“

Und drittens: Die Unternehmen sind einfach deutlich besser als in der Vergangenheit. Das würden die Margen im S&P 500 deutlich zeigen, so Batnick. In den 1990ern lag die Gewinnmarge (netto!) bei nur 5,5 Prozent, und ist sukzessive auf aktuell 10,5 Prozent gestiegen.
Derartige Margen sind mit der „Old Economy“, die den S&P 500 im letzten Jahrhundert prägte, einfach nicht zu schaffen. Doch heute dominieren Tech-Werte den Markt, nur noch 15 Prozent der Firmen im S&P 500 gehören dem produzierenden Gewerbe an. „Tech-Firmen mit höheren Margen haben übernommen. Das sind einfach nicht die gleichen Geschäftsmodelle, und Investoren behandeln diese zurecht anders.“
Damit bleibt die Frage, was denn ein gerechtes Vergleichsniveau wäre. Statt eines historischen Vergleichs könnte man beispielsweise 10- oder 20-Jahres-Mittelwerte heranziehen. Hier zeigen sich, logischerweise, höhere Niveaus. Noch immer läge das Shiller-KGV so über den langjährigen Schnitten, wenngleich nicht mehr ganz so deutlich, wie die Grafik zeigt.

Statt nur auf den Indikator an sich zu blicken, könnten Anleger ebenso abwägen, ob der entscheidende Faktor für die Bewertungen auch künftig gegeben ist – die laut Batnick hohen Margen. Tatsächlich wird eine weitere Ausweitung der Margen erwartet, wie die „Financial Times“-Kolumnisten Robert Armstrong und Aiden Reiter anmerken.
So erwarten die Märkte sogar noch höhere Margen im S&P 500 als 2021 – dem Jahr mit den höchsten Gewinnspannen seit 30 Jahren. Damals trieben die Stimulusprogramme der US-Regierung sowie eine massive Nachfrage nach dem ersten Pandemiejahr die Margen der Konzerne.
Was für noch höhere Margen spricht
Ein Punkt, der für steigende Margen spricht: Deflation bei den Vorprodukten. Société-Générale-Analyst Andrew Lapthorne erklärt hierzu: „2023 traf es die operativen Margen, weil sich das Umsatzwachstum verlangsamte und Vertriebs- und Administrationskosten nicht schnell genug gekürzt werden konnten. Mittlerweile wachsen diese Kosten im selben Tempo wie die Umsätze, während die Umsatzkosten, das heißt, niedrigere Inputkosten, helfen.“
Das lasse eine Margenausweitung erwarten, so Lapthorne. Allerdings darf hierbei nicht vergessen werden, dass sich Sektoren gerade bei den Umsatzkosten stark unterscheiden. Höhere Rohstoff- oder Energiepreise tangieren Industriefirmen deutlich stärker als beispielsweise Tech-Firmen.
Sicherlich drohen dem Markt generell ebenso Gegenwinde ob dieser hochgesteckten Erwartungen. Unklar ist beispielsweise noch, ob und mit welcher Härte Donald Trump seine Strafzollpolitik durchsetzt. Ebenso dürfen die Märkte nicht mehr auf eine schnelle Lockerung der US-Geldpolitik, also niedrigere Zinsen, hoffen. Dafür hält sich die Inflation dort weiter zu hartnäckig.
Nichtsdestotrotz gibt das hohe Shiller-KGV, allein genommen, keinen Grund zum Ausstieg aus dem Markt. Stattdessen sollten Anleger sich lieber an das „neue Normal“ gewöhnen, was Bewertungen angeht, ihre Renditeerwartungen indes angesichts des aktuellen Niveaus etwas zurückfahren.
Darauf plädiert auch Investmentstratege Batnick, obwohl er damit 2018 falsch lag. „Aber dieses Mal meine ich es ernst: Senkt eure Renditeerwartungen. Wenn ich wieder falsch liege, super. Aber wenn ich richtig liege, ist niemand enttäuscht.“