EZB: Handelskonflikte bedrohen Finanzsystem-Stabilität
Frankfurt (Reuters) - Die Handelskonflikte und das sich rasch ändernde geopolitische Umfeld bedrohen nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) die Stabilität des Finanzsystems im Euroraum.
Eskalierende Spannungen im Handel könnten negative Auswirkungen für Unternehmen und Haushalte haben, warnte die EZB am Mittwoch. "Die Unsicherheit bezüglich der Handelspolitik hat noch nie dagewesene Niveaus erreicht", sagte EZB-Vizepräsident Luis de Guindos. Überzogene Bewertungen und geringe Liquiditätspuffer von Schattenbanken machten die Finanzmärkte in diesem Umfeld zudem anfällig für weitere Schocks.
De Guindos äußerte sich auf einer Pressekonferenz zum halbjährlichen Finanzstabilitätsbericht der EZB, der in Frankfurt veröffentlicht wurde. "Der abrupte Wandel in der US-Zollpolitik ist Teil einer umfassenderen Veränderung des geopolitischen Umfelds mit wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen, die die Finanzstabilität im Euroraum noch auf die Probe stellen könnten", warnte er. Über die Handelspolitik hinaus gebe es von der Regulierung bis hin zur nationalen Sicherheit Unsicherheit in vielen wichtigen Politikfeldern.
In dieser Situation bleiben laut EZB die Aktienmärkte anfällig für plötzliche und scharfe Korrekturen. Neben anhaltend hohen Kursen zähle auch die Konzentration von Risiken zu den Gründen. Die Notenbank verwies unter anderem auf US-Technologiefirmen, bei denen Kurskorrekturen Schockwellen durch die Börsen weltweit aussenden könnten. Die Risikoaufschläge bei Anleihen seien zudem gestiegen. Sie stünden aber immer noch nicht im Einklang mit dem sehr hohen Niveau an Unsicherheit.
Die Zollankündigungen von US-Präsident Donald Trump hatten Anfang April heftige Turbulenzen an den Aktien- und Anleihemärkten ausgelöst. Ein Teil der neuen Zölle gegen die EU und China wurde inzwischen auf Eis gelegt, um 90 Tage Zeit für Verhandlungen zu haben. Die Finanzmärkte haben sich seitdem etwas beruhigt. Sie sind aber weiterhin schwankungsanfällig.
Nach Einschätzung der EZB könnten negative Überraschungen weitere abrupte Stimmungsumschwünge aufseiten der Anleger bewirken. Dazu zählten eine deutliche Verschlechterung der Konjunkturaussichten, eine plötzliche Veränderung der geldpolitischen Erwartungen oder eine Zuspitzung der Handelskonflikte. Unternehmensinsolvenzen könnten zunehmen - insbesondere in zollanfälligen Sektoren der Wirtschaft. Sollte zudem das Wirtschaftswachstum schwächer als erwartet ausfallen und sich die Bedingungen am Arbeitsmarkt verschlechtern, könnte die Schuldendienstfähigkeit mancher Haushalte beeinträchtigt werden.
HOHE SCHULDENSTÄNDE MANCHER EURO-LÄNDER BEREITEN SORGEN
Einige Euro-Länder hätten wegen hoher Schuldenstände nur eine begrenzte Fähigkeit, haushaltspolitisch auf Konjunkturrisiken zu reagieren. Bisher sei die Lage in Europa ruhig - die Märkte zeigten sich unaufgeregt, sagte de Guindos. "Das kann sich in naher Zukunft ändern, und haushaltspolitische Nachhaltigkeit wird in naher Zukunft sicherlich von den Märkten berücksichtigt und beachtet werden", warnte er. Die geplanten höheren Verteidigungsausgaben könnten angesichts des schwächeren Wachstums und anderer Herausforderungen - etwa durch den Klimawandel, die Digitalisierung und die alternde Bevölkerung - die angespannte Haushaltslage einiger Euro-Länder noch verschärfen.
Aus Sicht der EZB zeigen die Immobilienmärkte zwar Anzeichen einer Erholung. Sie seien aber angesichts der erhöhten Unsicherheit mit Gegenwind konfrontiert. Die Bewahrung und Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems sei in diesem Umfeld entscheidend. Daher sollten aus Sicht der EZB auch aufsichtliche Maßnahmen wie etwa die Kapitalpuffer-Anforderungen für Banken aufrechterhalten bleiben.
(Bericht von Frank Siebelt; Redigiert von Christian Rüttger.; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)