Israel und Iran bombardieren sich den sechsten Tag in Folge

(Durchgehend neu)
- von Steve Holland und Parisa Hafezi und Alexander Cornwell
Washington/Dubai/Jerusalem (Reuters) - Israel und der Iran setzen ihre gegenseitigen Angriffe im Konflikt um das Atomprogramm der Islamischen Republik auch sechs Tage nach Beginn der kriegerischen Auseinandersetzung fort.
Iranische Raketen trafen am Donnerstag ein israelisches Krankenhaus. Nach Angaben des Militärs schlugen mehrere iranische Raketen in bewohnten Gebieten Israels ein. Betroffen war auch das Soroka Medical Center in der südlichen Stadt Beerscheba, das Schäden meldete. Über Tel Aviv waren Raketenbahnen und Abfangversuche am Himmel zu sehen. Explosionen waren zu hören, als anfliegende Geschosse abgefangen wurden.
Israelische Rettungsdienste erklärten, Dutzende Menschen seien an drei verschiedenen Orten verletzt worden. In einem Stadtteil im Süden Tel Avivs waren Menschen in einem Gebäude eingeschlossen. Bilder zeigten erhebliche Schäden an Gebäuden in Ramat Gan nahe Tel Aviv. Rettungskräfte halfen Bewohnern, darunter auch Kindern. Die iranische Revolutionsgarde erklärte, sie habe israelische Militär- und Geheimdienstzentralen in der Nähe des Krankenhauses angegriffen.
In Iran meldete die Nachrichtenagentur ISNA, israelische Streitkräfte hätten ein Gebiet nahe der Schwerwasseranlage des Atomstandorts Chondab ins Visier genommen. Zuvor waren in Teheran Luftabwehrsysteme aktiviert worden. Sie fingen Drohnen am Rand der Hauptstadt ab, wie die halbamtliche Nachrichtenagentur SNN berichtete. Iranische Nachrichtenagenturen meldeten zudem die Festnahme von 18 "feindlichen Agenten". Ihnen wird vorgeworfen, Drohnen für israelische Angriffe in der nordöstlichen Stadt Maschhad gebaut zu haben.
"NIEMAND WEISS, WAS ICH TUN WERDE"
Der Iran hat seit Freitag etwa 400 Raketen auf Israel abgefeuert. Etwa 40 durchdrangen die Luftabwehr und töteten 24 Menschen, allesamt Zivilisten, wie israelische Behörden mitteilten. Es ist das erste Mal seit Jahrzehnten des Schattenkriegs, dass eine bedeutende Anzahl von Geschossen aus Iran die Verteidigung Israels durchbrochen und Israelis in ihren Häusern getötet hat.
Iran hat mindestens 224 Todesopfer bei israelischen Angriffen gemeldet, meist Zivilisten. Die Zahl wurde jedoch seit Tagen nicht mehr aktualisiert. Die in den USA ansässige iranische Aktivisten-Nachrichtenagentur HRANA berichtete, dass bis zum 18. Juni 639 Menschen bei den israelischen Angriffen getötet und 1329 verletzt wurden. Reuters konnte den Bericht nicht unabhängig überprüfen.
Israel hat am vergangenen Freitag damit begonnen, Atomanlagen und militärische Einrichtungen im Iran aus der Luft zu bombardieren. Dabei wurden weite Teile der obersten Führungsebene des iranischen Militärkommandos sowie führende Atomforscher getötet und die Atomkapazitäten der Islamischen Republik beschädigt. Israel begründet seine Angriffe damit, dass der Iran kurz vor dem Bau einer Atombombe stehe, was die Führung in Teheran zurückweist. Ziel des israelischen Vorgehens ist die Zerstörung des iranischen Atomprogramms.
"WIR KÖNNTEN DAS TUN"
Experten weisen jedoch darauf hin, dass Israel dabei letztendlich auf die Hilfe der USA angewiesen sei, um die teils tief unter der Erde liegenden Anlagen mit Bunker brechenden Waffen zu zerstören. US-Präsident Donald Trump hat es bislang offengelassen, ob er Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dabei direkt unterstützen will. Am Mittwoch lehnte es Trump vor Reportern ab zu sagen, ob er eine Entscheidung über eine Beteiligung an Israels Luftkrieg getroffen habe. "Ich könnte es tun. Ich könnte es nicht tun. Niemand weiß, was ich tun werde", sagte er.
In weiteren Äußerungen deutete Trump an, iranische Vertreter wollten für ein Treffen nach Washington kommen. "Wir könnten das tun", sagte er, es sei aber "ein bisschen spät" für solche Gespräche. In Social-Media-Beiträgen am Dienstag sinnierte Trump über die Tötung des Obersten Führers Ajatollah Ali Chamenei. Chamenei selbst wies Trumps Aufruf zu einer Kapitulation Irans in einer aufgezeichneten Rede zurück, die im Fernsehen ausgestrahlt wurde. "Jede militärische Intervention der USA wird zweifellos mit irreparablen Schäden einhergehen", sagte er. "Die iranische Nation wird nicht kapitulieren."
Die Internationale Atomenergiebehörde hatte vergangene Woche erklärt, der Iran verstoße zum ersten Mal seit 20 Jahren gegen seine Verpflichtungen. Iran bestreitet, Atomwaffen anzustreben, und erklärt, sein Programm diene ausschließlich friedlichen Zwecken. Verhandlungen mit dem Westen haben bislang keinen Durchbruch gebracht. Die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens planen für Freitag in Genf dazu ein Treffen mit ihrem iranischen Kollegen, um Iran zur Rückkehr an den Verhandlungstisch zu bewegen, wie es in diplomatischen Kreisen in Berlin hieß.
Wegen seines Schlingerkurses gerät Trump innenpolitisch zunehmend unter Druck. Führende Demokraten im US-Senat forderten Trump auf, der Diplomatie Vorrang einzuräumen und ein bindendes Abkommen anzustreben, das Iran daran hindert, Atomwaffen zu erlangen. "Wir sind alarmiert über das Versäumnis der Trump-Regierung, Antworten auf grundlegende Fragen zu geben. Laut Gesetz muss der Präsident den Kongress konsultieren und eine Genehmigung einholen, wenn er erwägt, das Land in einen Krieg zu führen", erklärten sie. "Er schuldet dem Kongress und dem amerikanischen Volk eine Strategie für das US-Engagement in der Region."
(Bearbeitet von Alexander Ratz; Redigiert von Christian Rüttger; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)