Autoland Baden-Württemberg vor der Wahl - Umbruch gemeinsam wuppen

Reuters · Uhr

- von Ilona Wissenbach und Rene Wagner

Frankfurt/Berlin (Reuters) - Das Autoland Baden-Württemberg mit einer von den Grünen geführten Regierung - wer bei dieser Kombination Konflikte erwartet hat, wurde in den vergangenen zehn Jahren eines Besseren belehrt.

Nur ganz zu Anfang hat es zwischen den Umweltschützern als dominierender Koalitionspartei und der Autoindustrie gerumpelt. Heute sagen Wirtschaftsvertreter, das anfängliche Fremdeln mit den Grünen sei rasch vergangen. Zehn Jahre an der Regierung hätten dazu beigetragen, die Grünen "zu erden und ihr Gespür für das Machbare zu schärfen", erklärte Rainer Dulger, Präsident des Verbandes Unternehmer Baden-Württemberg (UBW). Grüne und CDU hätten sich gut ergänzt.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der am 14. März zum dritten Mal als Spitzenkandidat der Grünen antritt, scheut sich nicht davor, an Leitideen konservativer Amtsvorgänger anzuknüpfen: "Das Leitmotiv meiner Politik heißt Innovation", sagte er kürzlich beim CDU-Unternehmerverband Wirtschaftsrat Deutschland. Den Gedanken habe schon der CDU-Mann Lothar Späth in die Landespolitik eingeführt. Innovationen seien entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft im Südwesten. Nach aktuellen Umfragen werden die Grünen ihre Spitzenposition bei der Landtagswahl behaupten. Eine Fortsetzung der grün-schwarzen Regierung wäre möglich. Allerdings gilt auch eine Ampelkoalition aus Grünen, SPD und FDP als nicht ausgeschlossen.

Dulger sagt, die Regierungspolitik von Grün-Schwarz sei im Großen und Ganzen lösungs- und sachorientiert gewesen. Die regierenden Grünen im Südwesten unterschieden sich deutlich von den Bundes-Grünen, da diese in der Opposition sind. Auch der Präsident des Mannheimer Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Achim Wambach, sieht kein Problem: "Das hat recht gut funktioniert. Die Wirtschaft in Baden-Württemberg ist insgesamt sehr robust und steht sehr gut da." Die Volkswirte der Landesbank Baden-Württemberg prognostizieren für dieses Jahr 3,5 Prozent Wachstum - ein Spitzenwert gleichauf mit Bayern im Bundesvergleich.

RUNDER TISCH FÜR AUTOINDUSTRIE

Der Wandel zu klimafreundlicher Mobilität stürzt die Autoindustrie, das Herzstück der Wirtschaft des Landes, in einen tiefen Strukturwandel. Damit der ohne Einbrüche gelingt, ging 2017 der "Strategiedialog Automobilwirtschaft" (SDA) an den Start, das Vorzeigeprojekt der Landesregierung. Es ist eine Arbeitsplattform von Politik, Unternehmen, Gewerkschaft, Wissenschaftlern sowie Umwelt- und Verbraucherschützern. Mehr als 100 Millionen Euro hat das Land seither für rund 50 Projekte in sieben Themenfeldern ausgegeben. So gibt es Beratungsangebote für kleine Zulieferer oder Mittel zur Entwicklung von Wasserstoffantrieben und synthetischen Kraftstoffen.

Kretschmanns Herausforderin, Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), warf dem Regierungschef vor, das Forum mit seinen rund 300 Partnern sei viel zu langsam in der Umsetzung. "Runde Tische sind gut, aber aus diesen Runden Tischen muss es auch vorangehen", sagte sie im TV-Duell des SWR mit Kretschmann. Vertreter von Industrie und Beschäftigten loben dagegen den SDA. "Das Besondere am Strategiedialog ist, dass er nicht nur eine Austauschplattorm aller Stakeholder ist, sondern dass dort ganz konkrete Maßnahmen entstanden sind", sagte Dulger. Kleine und mittelständische Unternehmen dürften bei dem Umbruch nicht unter die Räder kommen. "Es gibt das Verständnis, wir kriegen das nur gemeinsam gewuppt", sagte IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger bei einem Pressegespräch des DGB. Die Initiativen müssten aber konkreter werden und breiter in die Fläche kommen.

Kritisch sehen die Unternehmensverbände die Verkehrspolitik. Sie fordern den Ausbau von Landesstraßen. Nicht akzeptabel ist für sie auch das von den Grünen im Bund beschlossene Aus für den Verbrennungsmotor 2030. Kretschmann habe sich dem nicht angeschlossen. "Wie weit dieses Bekenntnis wirklich tragen kann, wenn bundespolitische Vorstöße für ein Verbrennerverbot quasi an der Tagesordnung sind, bleibt abzuwarten", sagte Dulger.

HALBE MILLIARDE FÜR DIGITALISIERUNG

Ein weiteres wichtiges Feld, in dem das Land eine Spitzenposition erreichen will, ist die Digitalisierung. "Wir waren das erste Bundesland, das überhaupt eine Digitalisierungsstrategie hatte", sagt Kretschmann. Baden-Württemberg hilft Gründern und Unternehmen etwa beim Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) für neue Geschäftsmodelle mit fast einer halben Milliarde Euro an Zuschüssen und günstigen Finanzierungen. Das betriebliche Förderprogramm "Invest BW" ist dabei mit einem Budget von 300 Millionen Euro das größte Projekt dieser Art in der Landesgeschichte. "Mit unserem vielfältigen Förderangebot konnten wir in den letzten Jahren viel bewegen", sagt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU).

ZEW-Chef Wambach rät wie auch der Unternehmer-Verband der künftigen Regierung, mit Bildungspolitik für genug Fachkräfte zu sorgen und die Verwaltung zu digitalisieren. Die Gesundheitswirtschaft müsse als drittes großes Feld nach Autoindustrie und Maschinenbau gestärkt werden. "Die neue Landesregierung kann hier die Schmiermittel bereitstellen, damit die Zusammenarbeit von Gründern, Unternehmen und Universitäten und Forschungsinstituten reibungslos läuft", ergänzte Wambach. Dass sich das lohnt, zeigt das Beispiel Curevac. Es waren Fördermittel des Landes, die dem vielversprechenden Corona-Impfstoffentwickler aus Tübingen auf die Beine halfen.

Neueste exklusive Artikel