Bahn frei für Biden - Demokraten erobern Kongressmehrheit

Reuters · Uhr

- von Rich McKay und Nathan Layne und Christian Rüttger

Atlanta/Washington/Berlin (Reuters) - Im Chaos rund um die Erstürmung des Kapitols in Washington ist am Mittwochabend fast untergegangen, dass der künftige Präsident Joe Biden einen wichtigen Erfolg feiern konnte.

Aus dem etwa 1000 Kilometer weiter südlich liegenden Atlanta kam die Nachricht, dass Bidens Demokraten die zwei Senats-Stichwahlen im Bundesstaat Georgia für sich entschieden hat. Damit verschiebt sich das Machtgefüge in Washington endgültig zu Bidens Gunsten, denn seine Partei übernimmt faktisch die Kontrolle über den Kongress. Biden kann somit Reformvorhaben, Personalentscheidungen und Gesetze deutlich leichter umsetzen. Für Trump und seine Republikaner entpuppten sich die Präsidentschafts- und Kongresswahlen dagegen endgültig als Fiasko.

Die Republikaner mussten bei den Stichwahlen am Dienstag unbedingt wenigstens einen der zwei Sitze verteidigen, um ihre Mehrheit im Senat zu behaupten. Doch nach einer langen Zitterpartie, die sich über die ganze Nacht bis in den nächsten Tag hinzog, stand nach Berechungen des Datenanbieters Edison Research fest, dass die demokratischen Herausforderer sich durchsetzten - wenn auch denkbar knapp. Nach Auszählung von 98 Prozent der Stimmen lag der Baptistenprediger Raphael Warnock 1,5 Prozentpunkte in Führung und der Dokumentarfilmemacher Jon Ossoff 0,6 Punkte. Offiziell wurden ihre Siege zwar noch nicht bestätigt, doch mehrere US-Medien gingen übereinstimmend davon aus, dass ihr Vorsprung am Ende zu groß sein würde, als dass die unterlegenen Republikaner eine Nachzählung beantragen könnten.

BIDEN UND DEMOKRATEN KNACKEN REPUBLIKANER-HOCHBURG

Die Stichwahlen waren nötig geworden, weil im November bei der parallel zur Präsidentenwahl ausgetragenen Kongresswahl keiner der Bewerber in Georgia die absolute Mehrheit erringen konnte. Allein das war eine Überraschung, denn seit Jahrzehnten war der Bundesstaat im konservativen Süden der USA fest in republikanischer Hand. Mit Warnock und Ossoff schafften es erstmals seit 20 Jahren Demokraten, in Georgia einen Senatsposten zu erobern. Bidens knapper Sieg in dem Bundesstaat war gar seit fast 30 Jahren der erste Erfolg für einen demokratischen Präsidentschaftsbewerber in Georgia.

Im Senat kommt es nun zu einem 50-zu-50-Patt zwischen Republikanern und Demokraten. Die entscheidende Stimme hat dann die künftige demokratische Vizepräsidentin Kamala Harris, die zugleich Senatspräsidentin wird. Faktisch kann sie bei unentschiedenen Abstimmungen also das Patt zugunsten der Demokraten auflösen.

Biden macht das das Regieren zumindest bis zur nächsten Kongresswahl in zwei Jahren deutlich einfacher, da er erheblich weniger Widerstand im Senat zu befürchten hat. Unter anderem muss die Kammer die Ernennung von Regierungsmitgliedern bestätigen. Aber auch bei wichtigen politischen Projekten, wie Biden sie etwa im Bereich der Wirtschaft oder dem Klimaschutz plant, hat der Senat mitzureden. Völlig entmachtet sind die Republikaner allerdings nicht, denn die meisten Gesetzesinitiativen benötigen die Unterstützung von mindestens 60 der 100 Senatoren.

GESPALTENES LAND

Ob sich die Republikaner jedoch automatisch auf eine strikte Blockadepolitik verlegen, ist keineswegs ausgemacht. Die Partei ist zerrissen zwischen treuen Trump-Anhängern und jenen, die ihm die Schuld an den Wahlniederlagen geben. Er hinterlässt ein Land, das so sehr gespalten ist wie seit Jahrzehnten nicht.

Trump ficht das nicht an. Noch immer weigert er sich, seine Niederlage im November anzuerkennen und lässt keine Gelegenheit aus, angeblichen Wahlbetrug anzuprangern - ohne Beweise für seine Behauptungen zu liefern. Auch der Wahlkampf in Georgia wurde davon überschattet. Als selbst mehrfache Nachzählungen nichts am Sieg Bidens in dem Bundesstaat änderten, übte Trump am Samstag noch einmal persönlich in einem Telefonat Druck auf den Wahlleiter aus, genügend Stimmen zu "finden", um Bidens Sieg zu kippen. Trumps Anhänger sehen darin nichts Verwerfliches. Auch sie glauben, dass ihr Idol um den Sieg betrogen wurde, und befürchten, dass Biden in den USA ein sozialistisches Zeitalter anbrechen lassen wird. Die Szenen in Washington am Mittwochabend zeigten einmal mehr, wie explosiv die Stimmung ist und worauf sich Biden einstellen muss, wenn er wie vorgesehen am 20. Januar das Präsidentenamt übernimmt.

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