Boeing-Absturz: Hat der Flugzeugbauer bei der Zulassung der 737 Max 8 geschummelt? Aktie unter Druck

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Nach dem Absturz von zwei Boeing-Passagierjets nehmen US-Ermittler einem Pressebericht des „Wall Street Journal“ zufolge die Entwicklung und den Zulassungsprozess für den Flieger unter die Lupe. Eine Grand Jury in Washington habe dazu von mindestens einer Person Dokumente und Korrespondenz eingefordert, berichtete die US-Zeitung am Sonntag in ihrer Online-Ausgabe und berief sich dabei auf mit der Sache vertraute Personen. Das Verkehrsministerium habe unterdessen die Zulassung der Modellreihe Boeing 737 Max durch die US-Luftfahrtbehörde FAA im Auge.

In der Anforderung der Unterlagen durch die Grand Jury wird dem Bericht zufolge ein Ermittler des US-Justizministeriums als Kontakt genannt. Das Schreiben wurde demnach am 11. März verschickt – einen Tag nach dem zweiten Absturz, bei dem alle Insassen einer Boeing 737 Max 8 von Ethiopian Airlines ums Leben gekommen waren. Bereits im Herbst war eine Maschine der indonesischen Fluggesellschaft Lion Air abgestürzt. Es handelte sich um denselben Flugzeugtyp. Derzeit wird untersucht, ob beide Unglücke dieselbe Ursache hatten.

Hat Boeing beim Zulassungsprozess getrickst?

Wie unter anderem der „Spiegel“ berichtet, soll es zu schwerwiegenden Verstößen bei der Entwicklung des Flugkontrollsystems MCAS gekommen sein, die von der US-Luftfahrtbehörde nicht erkannt worden sind. Das MCAS-System steht im dringenden Verdacht, die Hauptursache für die beiden Abstürze gewesen zu sein.

Laut Bericht wurde ein Großteil der Entwicklung und Flugtests ohne die Aufsicht durch die FAA durchgeführt. Im Raum steht zudem, dass die Behörde die Zertifizierungsunterlagen nicht genau genug geprüft hat oder sogar falsche Informationen von Boeing über die Funktionsweise des Kontrollsystems erhalten hat.

Laut Insidern wurden der FAA wichtige Informationen vorenthalten, mit der Absicht, Zeit bei Entwicklung und Zulassung des Flugzeugs zu sparen. Dabei ging es wohl auch um den Wettbewerb mit Rivale Airbus, die im Zeitraum der Entwicklung ein Konkurrenzmodell in den Startlöchern stehen hatten. Laut Insideraussage hat das Boeing-Management wiederholt Einfluss auf die Behörden genommen, um Prüfungsaufgaben von den Prüfern fern zu halten.

Flugkontrollsystem MCAS ein Sicherheitsrisiko?

Das MCAS ist von Boeing als Ausgleich für die neueren, verbrauchseffizienteren Triebwerke eingeführt worden, die aufgrund ihres erhöhten Gewichts die Aerodynamik und den Schwerpunkt des Flugzeuges beeinflussen. Besonders im Steigflug nach dem Start des Flugzeugs kann der Schub der Triebwerke so stark werden, dass sich die Maschine nicht mehr gerade ausrichten lässt.

Das Kontrollsystem ist unter anderem dazu gedacht, diesen durch den Schub verursachten Strömungsabriss in der Luft zu erkennen und sofort Gegenmaßnahmen einzuleiten, wenn dies der Fall ist. Dabei wird dann das Höhenruder verstellt und die Nase des Flugzeugs heruntergedrückt. Laut Bericht ist das System jedoch von Informationen eines einzigen Sensors abhängig und damit äußerst störanfällig. Zudem kann das System das Höhenruder anscheinend viel stärker bewegen, als offiziell an die FAA-Behörde im Zuge der Zulassungsprüfung mitgeteilt wurde. Dies wurde im Zuge der Flugschreiber-Auswertungen nach dem letzten Absturz erkannt. Aus den Daten geht auch hervor, dass beide Maschinen nach dem Start eine unregelmäßige Flugkurve und erhöhte Geschwindigkeit inne hatten und dann unkontrolliert nach unten gezogen sind.

Laut der Aussage des Insiders hat die Sicherheitsanalyse von Boeing, die als Grundlage der Zertifizierung des neuen Flugzeugmodells von den Behörden im Jahr 2017 genommen wurde, die Wirkung als um das Vierfache zu gering angegeben. Damit sei das Steuern des Flugzeuges bei so einem extremen Ausschlag nicht mehr kontrollierbar.

Zudem gab es laut Bericht zunächst keinerlei Informationen in den Handbüchern für die Piloten, dass das MCAS-System überhaupt exisitert. Ziel dessen sollte sein, das Training für den neuen Flugzeugtyp möglichst gering ausfallen zu lassen, um Kosten zu sparen. Erst nach dem ersten Absturz wurde den Piloten Informationen über das System und die richtige Verhaltensweise im Ernstfall mitgeteilt.

Boeing wollte sich auf Nachfrage des „Wall Street Journal“ nicht zu dem Thema äußern. Bei den Ministerien war laut Bericht am Sonntag niemand für eine Stellungnahme erreichbar.

Gegenüber der „Seattle Times“, die als erstes über den Verdacht berichtet hatte, äußerte sich Boeing auf Anfrage nach der Zulassung: Wegen der Unfalluntersuchungen sei man „nicht in der Lage, in detaillierte Anfragen intensiv einzusteigen“. Die FAA habe „die finale Konfiguration von MCAS untersucht und daraus gefolgert, dass es alle Zertifizierungs- und Regulierungserfordernisse“ erfülle.

Boeing-Aktie vorbörslich unter Druck

Letzten Freitag war die Boeing-Aktie noch mit einer leichten Erholung von 1,5 Prozent ins Wochenende gegangen, dürfte allerdings aufgrund der neuesten negativen Schlagzeilen weiteren Kursverlusten entgegenblicken. In den US-Märkten liegt das Papier des Flugzeugbauers vorbörslich bei einem Minus von 2,9 Prozent. In den deutschen Märkten notiert die Aktie derzeit bei einem Minus von 3,2 Prozent.

Boeing Tageschart (Tradegate)

Seit dem Absturz am 10. März 2019 musste Boeing knapp 29 Milliarden Euro an Marktkapitalisierung einbüßen. Der vorherige Absturz am 29. Oktober 2018 hatte keine unmittelbar negativen Auswirkungen auf den Kurs, der danach sogar um 10 Prozent nach oben ging. Bis Mitte Dezember 2018 büßte die Aktie jedoch 15,9 Milliarden Euro an Marktkapitalisierung ein, um dann bis März 2019 zum Höhenflug und bisherigen Allzeithoch von knapp 392 Euro anzusetzen, der durch den jüngsten Absturz gestoppt wurde.

Boeing Jahreschart (Tradegate)

(onvista/dpa-AFX)

DAS WICHTIGSTE DER BÖRSENWOCHE – IMMER FREITAGS PER E-MAIL

Zum Wochenende die Top Nachrichten und Analysen der Börsenwoche!

Hier anmelden >>

Titelfoto: vaalaa/shutterstock

Neueste exklusive Artikel