Börsenweisheit: „….but remember to come back in September!“

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Die Aktienkurse steigen wieder. Seit gut zwei Wochen geht es aufwärts. Glaubt man einer alten Börsenweisheit, war das auch abzusehen. Doch was ist dran an „Sell in May…“?

Erste positive Signale im Handelsstreit zwischen den USA und China, ordentlich Rückenwind durch die Notenbanken und auch sonst Entspannung an dem ein oder anderen Krisenherd – nach einem ziemlich unerfreulichen Börsensommer steigen die Kurse wieder. Für die Anhänger der alten Börsenweisheit „Sell in May and Go away. But remember to come back in September.“ ist das keine Überraschung.

Doch was ist wirklich dran an der alten Regel und ist jetzt Zeit für den Einstieg? „Börsenweisheiten funktionieren in der Regel gut - das ist der Grund, warum sie existieren“, sagt Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank. „Diese Börsenweisheit ist sicherlich eine der besseren.“ Das beweist auch die Statistik. Eine Analyse von Fidelity International zeigt, dass sich die Börsenweisheit für den Dax in den vergangenen 30 Jahren bewahrheitet hat. Wer im Mai 1989 10.000 Euro in den deutschen Leitindex investiert hätte, jedes Jahr im Mai verkauft hätte und im September wieder eingestiegen wäre, hätte sich im August 2018 über eine stattliche Summe von 119.162 Euro freuen können. Ein Anleger, der seit Mai 1989 permanent im Dax investiert geblieben wäre, hätte 90.713  Euro erzielt - knapp 30.000 Euro weniger.

Seit 1989 hat die Börsenweisheit für den deutschen Leitindex in 17 Jahren funktioniert. In 13 Jahren hätten Anleger durch „Sell in May“ dagegen Verluste erzielt. Generell erlebt der Dax im August und September seine schwächsten Monate, wie die Auswertung der durchschnittlichen Monatsrenditen des Dax von 1989 bis 2018 zeigt. Demnach müsst man also im Juni verkaufen und im Oktober wieder einsteigen anstatt im Mai zu verkaufen und im September wieder einzusteigen. „Allerdings ist es unmöglich, den richtigen Ein- und Ausstiegszeitpunkt abzupassen“, sagt Andreas Telschow, Anlageexperte bei Fidelity International. „Börsenweisheiten lassen sich nicht verallgemeinern, auch wenn Analysen immer wieder zeigen, dass ein Stück Wahrheit in ihnen steckt.“ Anleger sollten sich dennoch nicht auf diese Weisheiten verlassen und sich vor allem in ihrer langfristigen Anlagestrategie nicht davon beirren lassen.

Denn keine Regel ohne Ausnahme. Es spricht aber einiges dafür, dass die alte Börsenregel in diesem Jahr wieder stimmt. Zumindest der erste Teil hat bereits funktioniert. „Man hat diesen Sommer nichts verpasst und seine Nerven geschont“, sagt Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank. „Nach dem Rückgang im Mai sind wir heute wieder bei plus/minus null.“ Auch er warnt davor, sich blind auf Börsenweisheiten zu verlassen. „Zwar gibt diese Börsenweisheit gute Anhaltspunkte für die Markt- und Portfoliodiskussion“, ergänzt er. „Aber sie ist alleine nicht ausreichend für eine langfristig erfolgreiche Anlagestrategie.“

Es gibt keine Erfolgsgarantie

Der Statistik zum Trotz kann Robert Halver „Sell in May…“ auch wenig abgewinnen. „Ich bin kein großer Freund von Börsenregeln. Für mich sind  das eher Börsenkalauer wie Bauern- oder Wetterregeln“, sagt der Kapitalmarktstratege der Baader Bank. Es hänge von der konkreten Datenlage ab, ob Aktien in einem Monat oder in einer Jahreszeit steigen, fallen oder flach verlaufen. „So waren die schlimmen Krisen 2018 alles andere als die Bestätigung der September-Regel“, argumentiert Halver. Auch Stephan gibt zu bedenken, dass jedes Jahr unterschiedlich läuft. „2018 wäre es fatal gewesen, im September groß einzusteigen“, sagt er. Das vierte Quartal bescherte Börsianern herbe Verluste. „Auch dieses Jahr gibt es keine Erfolgsgarantie.“

Aber jede Menge Hoffnung. Für höhere Aktienquote spreche laut Stephan, dass der Internationale Währungsfonds keine Rezession prognostiziert, auch nicht in den USA. Auch der Deutsche-Bank-Experte rechnet nicht mit einer Rezession. „Der Markt erwartet einen expansiven Kurs der Notenbanken, das sollte die Märkte weiterhin unterstützen“, sagt er. „Nach vorne gerichtet rechne ich außerdem mit einer offensiveren Fiskalpolitik, insbesondere in Europa und China.“ Darüber hinaus sollte sich der Handelsstreit beruhigen, vor allem bei einem Abkommen mit Europa. „Mit China dürften einige Punkte möglich sein, aber der politische und technologische Disput dürfte uns länger erhalten bleiben“, ergänzt Stephan. Und schließlich seien im kommenden Jahr US-Präsidentschaftswahlen. „Es dürfte dafür gesorgt werden, dass in den USA ökonomisch nicht viel anbrennt.“ Doch es gebe auch Argumente für einen Abbau der Aktienquoten, nämlich die Zinsstrukturkurve und Konjunkturrisiken. Doch der Chefanlagestratge der Deutschen Bank ist optimistisch:  „In jeden Fall wäre ich in Aktien investiert“, sagt Stephan. „Im Gegensatz zu 2018 könnte das vierte Quartal 2019 ganz ordentlich werden, wenngleich die Märkte in diesem Jahr schon jetzt gut gelaufen sind.“

Auch der Baader-Bank-Experte glaubt an stabile bis steigende Aktienkurse – unabhängig von der September-Regel. Trump brauche für seien Wiederwahl ein gutes Aktienklima. „Auf der mittlerweile erreichten Eskalationsstufe scheint eine transpazifische Handelsbefriedung zwar der Quadratur des Kreises zu entsprechen“, ergänzt Halver. „Doch die Prinzipienlosigkeit von Trump, der sich für sein Geschwätz von gestern selbst nicht mehr interessiert, lässt für positive Überraschungen viel Platz.“ Und hinter der Maske der chinesischen Unbekümmertheit schlummere ebenso der Wunsch nach einer vernünftigen Handelseinigung, um im Außenhandel wieder punkten zu können.

Und noch ein Argument spricht für Aktien: Im anhaltenden Nullzinsumfeld gibt es keine Alternative. „Der langfristige Anlagehorizont ist dabei viel wichtiger als der Einstiegszeitpunkt, wie die Börsenweisheit „but remember to come back in September“ suggeriert“, betont Fidelity-Experte Telschow. Diesen Anlagenotstand attestiert auch Halver. Er rechnet sogar damit, dass das Zinsvermögen „für immer“ als konkurrenzfähige Anlageform ausscheidet. „Denn die Überschuldung der Welt verträgt keine Zins- und Renditesteigerungen mehr“, sagt er. „Ansonsten erhält die Eurozone (finanz-)politisch die letzte Ölung.“ Die normalerweise strikte Trennung von Finanz- und Geldpolitik werde weiter aufgegeben. „Eine planwirtschaftlich agierende EZB wird weiter marktwirtschaftliche und bonitätsgebotene Preisfeststellungen von Anleihen aushebeln“ ergänzt er. „Im Zweifel wird die EZB – wie bislang bereits praktiziert – für die politische Stabilität der Eurozone weiterhin die ehemals vereinbarten Finanzstabilitätsregeln brechen.“ Da die Kollateralschäden des Handelsstreits auf die US-Wirtschaft unverkennbar seien, werde die US-Notenbank die Zinsen in diesem Jahr noch mindestens zwei Mal senken. „Insgesamt führt also an Aktien kein Weg vorbei, zumal wenn sie mit zinsalternativ hohen Dividendenrenditen glänzen“, ist Halver überzeugt. „Ansparpläne sind das A und O.“ Und zwar in jedem Monat, auch zwischen Mai und September.

Autorin: Jessica Schwarzer

Foto: Everett Collection / Shutterstock.com

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