Die unterschätzte Bedrohung

HANDELSBLATT · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Das Bild ging durch die Medien und demonstriert auf grausame Weise, womit es der deutsche Inlandsgeheimdienst zu tun hat, wenn es darum geht, Anschläge von Islamisten zu verhindern: Ein 24 Jahre alter Mann aus dem nordrhein-westfälischen Dinslaken posiert im Internet mit abgetrennten Köpfen. Der radikale Islamist kämpft in Syrien für einen „Gottesstaat“. Er gehört der „Lohberger Gruppe“ an, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Noch hält sich Mustafa K. angeblich in Syrien auf. Kehrt er wieder nach Deutschland zurück, zählt er zu den vielen „ticken Zeitbomben“, die im Fokus der Sicherheitsbehörden stehen. „Wir haben zu etwa einem Dutzend dieser Personen Erkenntnisse, dass sie sich aktiv am bewaffneten Kampf in Syrien beteiligt haben“, erklärte jüngst der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen. „Damit wächst die Gefahr terroristischer Handlungen auch in Deutschland.“

Der Strom von Dschihadisten aus Deutschland nach Syrien sei unterdessen ungebrochen, die Zahlen stiegen kontinuierlich an. Seit Beginn des Bürgerkriegs seien rund 300 Islamisten dorthin ausgereist, aus der gesamten EU etwa 2000. Es gebe Hinweise, wonach bereits mehr als 20 aus Deutschland stammende Islamisten in den Kämpfen in Syrien getötet worden seien.

Allein 110 der jungen Salafisten, die in Syrien das blutige Handwerk des Krieges lernen, sollen aus Nordrhein-Westfalen stammen. Das Bundesland ist als Rückzugs- und Rekrutierungsraum für die Salafisten offenbar besonders attraktiv. Nach Bonn, Mönchengladbach und Solingen taucht in diesem Zusammenhang immer öfter die Gemeinde Dinslaken auf, aus der auch Mustafa K. stammt. Auch Berlin, Hamburg und Umgebung, Frankfurt und Umgebung sowie in Nürnberg gelten als Schwerpunktregionen, aus denen sich die Syrien-Reisenden auf den Weg machen.

Insgesamt seien bisher etwa 20 bis 30 Islamisten aus dem Bürgerkrieg nach Deutschland zurückgekommen, verlautete aus Sicherheitskreisen. Etwa ein Dutzend von ihnen gelte immer noch als radikal. Sie könnten mit Waffen umgehen und Bomben bauen. „Im Grundsatz kann man diesen Personen Anschläge zutrauen“, hieß es in Sicherheitskreisen. Die Islamisten würden nun observiert, um Gewalttaten zu verhindern. Es gebe Anzeichen, wonach Syrien-Heimkehrer in anderen europäischen Ländern bereits Anschlagspläne geschmiedet hätten. Diese seien jedoch vereitelt worden. Für die Polizeigewerkschaften in Deutschland ist das kein Grund für Entwarnung. Im Gegenteil.

Gesetzesverschärfung soll Islamisten zurückdrängen

Von der Politik erwarten sie wirksame Maßnahmen, um gegen die Islamisten effektiv vorgehen zu können. Der Gesetzgeber müsse die Strafbestimmung in Paragraf 89 a Strafgesetzbuch zum Aufenthalt in Ausbildungslagern von Terroristen ändern. „Solange dort gefordert wird, dass es konkreter Anschlagsvorbereitungen bedarf, damit die Strafbarkeit einsetzt, bleibt das ein stumpfes Schwert“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, Handelsblatt Online. „Schon der Aufenthalt in solchen Lagern und die Ausbildung müssen unter Strafe gestellt werden.“

Der Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, nannte die derzeitige Regelung unglücklich. Sie sei vor den Anschlägen des 11. September 2001 „zu schnell gestrickt“ worden. „Die Justiz ergeht sich in akademischen Grundsatzdebatten über die Begriffe Vereinigung, Mitgliedschaft in Abgrenzung zur Bande, Mittäterschaft, sodass eine effektive Strafverfolgung schwer möglich ist“, sagte Schulz Handelsblatt Online. Für diese mangelhafte Umsetzung der Anti-Terror-Gesetze beziehungsweise der Vorgaben der EU sei die Bundesregierung von der EU-Kommission bereits gerügt worden.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, forderte mehr Personal. „Die Radikalisierung der Dschihadisten-Szene in Deutschland durch den Syrienkrieg stellt eine ernstzunehmende Bedrohungslage dar“, sagte Malchow Handelsblatt Online. „Den Ermittlungsbehörden stehen zwar strafgesetzliche Möglichkeiten zur Ahndung von terroristischen Vorbereitungshandlungen im Ausland zur Verfügung, die Terrorabwehr in Deutschland ist aber durch die viel zu geringe personelle Ausstattung im Bereich des polizeilichen Staatsschutzes eklatant.“ Es werde auf Dauer nicht gelingen, „radikale und gewaltbereite Dschihadisten, wo auch immer sie herkommen, im Griff zu behalten, wenn die politisch Verantwortlichen, die Polizeistärke in Deutschland zurückfahren“.

Auch DPolG-Chef Wendt sagte: „Wenn es gelingen soll, alle gefährlichen Personen im Fokus nachrichtendienstlicher oder polizeilicher Beobachtungen zu behalten, wird es nicht ohne Stärkung unserer Sicherheitsbehörden gehen.“ Auch deshalb gingen die Pläne des Bundesinnenministers Thomas de Maiziere (CDU) zur Reform des Verfassungsschutzes in Deutschland in die richtige Richtung. Es sei zu hoffen, dass diese Bemühungen nicht an „Ländereitelkeiten“ scheiterten“. „Aber auch der Finanzminister muss die Zeichen der Zeit erkennen, ohne zusätzliches Geld für mehr Personal, moderne Technik und Stärkung der Analysekompetenzen wird es nicht gehen“, sagte Wendt.

Sind Rückkehrer Deutsche, sind die Möglichkeiten begrenzt

BDK-Chef Schulz unterstrich, dass die Syrien-Rückkehrer die deutschen Sicherheitsbehörden vor ein „riesiges Problem“ stellten. Die Zahl der Rückkehrer erhöhe sich fast täglich. „Das Bedrohungspotenzial dieser Personen ist dabei aber unmöglich einzuschätzen“, sagte Schulz. Damit erhöhe sich das Anschlagsrisiko im Inland ebenfalls täglich. Die „schwachen Mittel“ des deutschen Rechtsstaats seien aber eher ungeeignet, um adäquat darauf reagieren zu können. „Präventiv bleibt letztlich nur die ständige Beobachtung als Gefährder“, sagte der BDK-Chef und fügte hinzu: „Gerade wenn die Rückkehrer Deutsche sind, sind die Möglichkeiten mehr als begrenzt.“

„Wir müssen präventiv und repressiv verstärkt tätig werden“, forderte GdP-Chef Malchow. „De-Radikalisierungsprogramme müssen verhindern, dass junge Menschen in den gewaltbereiten Islamismus abgleiten, eine effektive Strafverfolgung aus Polizei und Justiz muss konsequent einschreiten, wenn Straftaten vorliegen.“ Auf beiden Feldern bestehe Handlungsbedarf, die gesetzlichen Grundlagen dafür seien aber vorhanden, sagte Malchow.

In der Politik ist der Weckruf angekommen. Der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer warnte jüngst vor einer „steigenden Zahl tickender menschlicher Zeitbomben, geschult im Handwerk des Tötens“. Die Ausreise der radikalisierten deutschen Islamisten müsse frühzeitig verhindert werden, sagte Mayer der „Welt“. „Sonst droht uns ein riesiges Sicherheitsproblem. Hier ist der Verfassungsschutz gefordert, der dafür zusätzliche Mittel und Personal bekommen sollte.“

Auch Generalbundesanwalt Harald Range sieht die „Reisebewegungen“ nach Syrien „mit einer gewissen Sorge – auch mit Blick auf die Sicherheit in Deutschland“. Die Entwicklung müsse daher „sehr genau im Auge behalten“ werden, und zwar auf allen Ebenen im Bund und in den Ländern. Bislang gebe es aber „keine belastbaren Anhaltspunkte für konkrete Planungen oder Vorbereitungen von Anschlägen“ in der Bundesrepublik.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) kündigte inzwischen Konsequenzen für deutsche Dschihadisten an, die aus dem syrischen Bürgerkrieg zurückkehren: Wenn es Anhaltspunkte für Straftaten gebe, erwarte sie ein Strafverfahren, sagte er. Jäger reagierte damit unter anderem auf den Dinslakener Mustafa K.

Unter Experten werden solche Vorstöße aus der Politik zurückhaltend aufgenommen. „Religiös oder politisch motivierte Täter lassen sich kaum vom Strafrecht abschrecken“, gibt der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Schulz, zu bedenken. Es daher „ein gesellschaftlicher Konsens gefunden darüber werden, wie der Staat mit diesen Personen umgehen will, wann der Staat - Polizei und Justiz) - in Rechte eingreifen dürfen soll und wie oder ob wir mit dieser Bedrohung leben wollen oder müssen“.

Meistgelesene Artikel