EU-Kommissar Schmit dringt auf Stärkung des Sozialsystems

Reuters · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Berlin/Brüssel (Reuters) - Vor Beginn des EU-Sozialgipfels in Porto hat Sozialkommissar Nicolas Schmit auf die Folgen der Corona-Pandemie vor allem für Jugendliche verwiesen und für eine Stärkung des EU-Sozialsystems geworben.

Die Krise wirke sich sehr auf die Arbeitsmöglichkeiten junger Menschen aus, sagte er am Freitag im Deutschlandfunk. "Wir haben auch gesehen, dass Armut gestiegen ist. ... Das ist durch Corona alles noch schlimmer geworden." Deshalb müsse das Sozialsystem der EU gestärkt werden. Allerdings setzten Polen und Ungarn nach Angaben von Diplomaten durch, dass im Entwurf für die Gipfel-Erklärung die Formulierung "Gleichstellung der Geschlechter" gestrichen wurde. Das zeigten auch Dokumente, die der Nachrichtenagentur Reuters vorlagen. Dem Entwurf zufolge, der am Freitag und Samstag beraten werden soll, werden sich die EU-Staaten für Einheit und Solidarität einsetzen. Allen solle Chancengleichheit gewährt, niemand zurückgelassen werden.

Schmit unterstrich, dass die EU in der Sozialpolitik nicht nach mehr Kompetenzen strebe. Am Ende seien es immer die Mitgliedstaaten, die die Politik umsetzten. "Was wir brauchen ist jetzt, dass die Mitgliedstaaten an einem Strang ziehen, dass das Soziale nicht einfach unter den Tisch fällt, dass wir koordinierte Wirtschaftspolitik machen, aber auch koordinierte Sozialpolitik."

Die Mittel des 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds gingen nicht nur in die Sozialpolitik, sondern in den Wiederaufbau und den Umbau der Wirtschaft, erklärte der Luxemburger EU-Kommissar. In vielen Bereichen müsse investiert werden, das gelte vor allem für den Klimawandel, die Digitalisierung und die Modernisierung der Infrastruktur.

Einen europäischen Mindestlohn habe die EU nicht vorgeschlagen, sagte Schmit. Dieser sei unrealistisch. "Wir haben gesagt, wir brauchen in Europa ... in verschiedenen Ländern bessere Mindestlöhne." Es sei aber klar, dass es zwischen Bulgarien mit derzeit rund 300 Euro Mindestlohn und Luxemburg mit 2300 Euro keinen einheitlichen europäischen Mindestlohn geben könne. Schmit zeigte sich überzeugt, dass Länder auf Dauer nicht allein über Lohnkosten konkurrenzfähig sein könnten. Auch sie müssten in Technologie und Kompetenz investieren. "Wir brauchen auch hier eine Anpassung der Lebensstandards. Wir können nicht einen Binnenmarkt haben, wo es solche großen Differenzen gibt. Das ist auch eine Gefahr für den Zusammenhalt Europas."

"GLEICHSTELLUNG DER GESCHLECHTER" GESTRICHEN

Risse zeigten sich beim Entwurf für die Gipfel-Erklärung beim Thema Gleichstellung. Polen und Ungarn lehnten es ab, dass die "Gleichstellung der Geschlechter" direkt erwähnt wird. Während ein früherer Entwurf besagte, dass die EU die "Gleichstellung der Geschlechter fördern" werde, hieß es nun in der Reuters vorliegenden Fassung: "Wir werden unsere Bemühungen zur Bekämpfung von Diskriminierung verstärken und aktiv daran arbeiten, geschlechtsspezifische Lücken zu schließen ... und die Gleichstellung zu fördern."

Die in Polen regierende national-konservative PiS-Partei und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban treten für katholische, streng konservative Werte ein und liegen häufig mit liberaleren EU-Mitgliedern im Streit über die Rechte von Frauen, Migranten und Homosexuellen. Für Konflikt sorgen auch die wachsende staatliche Kontrolle über Medien, Justiz und Universitäten in den beiden Ländern.

An dem EU-Gipfel im portugiesischen Porto nehmen 24 Staats- und Regierungschefs persönlich teil. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf die Corona-Lage verwies, und zwei ihrer Amtskollegen werden sich per Konferenzschaltung beteiligen.

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